Der Mainzer Verleger Hermann Schmidt feiert seinen hundertsten Geburtstag. Aus der auf Mainz-Publikationen spezialisierten Druckerei ging der führende Verlag für Typografie hervor.
Von Michael Jacobs
Lokalredakteur Mainz
Alles dreht sich um das gedruckte Wort, um Inhalte und Gedanken „schwarz auf weiß“: Am Sonntag wird der Verleger Hermann Schmidt (oben), der passionierter Zeitungsleser ist, 100 Jahre. Sohn Bertram leitet den Verlag seit 1988.
(Fotos: Bertram Schmidt-Friderichs, hbz/ Stefan Sämmer)
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MAINZ - Beinahe sitzt Hermann Schmidt schon auf gepackten Koffern. Er hat Heimweh nach München, dem Theater, Sehnsucht nach seinen geliebten Bergen. Seit drei Jahren arbeitet er jetzt in der Druckerei Krach in der Breidenbacherstraße und fremdelt mit der Stadt, die 1955 noch weitgehend in Trümmern liegt. Dr. Hanns Krach galt den amerikanischen Besatzungstruppen als politisch sauber. Weil er sich nicht von seiner halbjüdischen Frau trennen wollte, warfen ihn die Nazis aus seiner Druckerei. Am 1. April 1945 bekommt er die Lizenz zurück. Die Menschen brauchen Informationen. Ende April 1945 erscheint die erste Nummer der „Mainzer Nachrichten“, ein Jahr später das vierseitige Telefonbuch für Mainz mit 213 Anschlüssen. Krach will mit der Druckerei Geld verdienen, Hermann Schmidt seine ehrgeizigen typografisch-künstlerischen Ambitionen verwirklichen. Mit 36 Jahren kennt er die Härten des Lebens und drängt nach vorne.
Von der Münchner Meisterschule nach Mainz
Am 7. April 1919 in Garching vor den Toren Münchens geboren, wächst er bei der Mutter in einfachen Verhältnissen auf, macht den Hauptschulabschluss, dann eine Lehre als Schriftsetzer. Als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, verweigert er sich der Hitlerjugend, kommt 1936 nach dem Arbeitsdienst zu den Gebirgsjägern nach Füssen. Im Krieg wird er mehrfach an der Ostfront eingesetzt, zweimal schwer verwundet, verbringt Wochen in Lazaretts. Nach einem Streit mit Offizieren über Oswald Spenglers pessimistische Geschichtsphilosophie „Der Untergang des Abendlandes“ kommandiert man ihn in den letzten Kriegstagen vom Krankenbett nach Königsberg ab, wo er im Rang eines Oberleutnants in russische Kriegsgefangenschaft gerät.
Hermann Schmidt überlebt, kehrt 1950 nach München zurück, beginnt, durstig nach Bildung und Büchern, ein Studium an der Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker. Dort wird er Hanns Krach empfohlen, der an der Talentschmiede einen Nachfolger für sein Unternehmen sucht. Schmidt schlägt ein, zieht von der Isar an den Rhein, wo – wie sollte es anders sein – eine Fastnachtsromanze alle Abwanderungsgedanken durchkreuzt. Bei einer Rosenmontagsparty in Krachs Villa im Rosengarten lernt er 1954 die junge Krankengymnastin Gisela Mößinger kennen, die im ausgebombten Mainz dort zur Miete wohnt. Es seine große Liebe. 1956 heiraten die beiden, bekommen drei Kinder: Rainald, Bertram, Hendrike. Aus der Wahl- wird eine Herzensheimat: Hermann Schmidt bleibt, schlägt Wurzeln in der Stadt, in der er an diesem Sonntag mit sagenhaften hundert Jahren auf eine Verlagsgeschichte zurückblickt, die unter seinem Namen von Mainz aus in der ganzen Welt als Gütesiegel für typografisch hochwertige Bücher im Zeichen des Aldusblatts steht.
Alles dreht sich um das gedruckte Wort, um Inhalte und Gedanken „schwarz auf weiß“: Am Sonntag wird der Verleger Hermann Schmidt (oben), der passionierter Zeitungsleser ist, 100 Jahre. Sohn Bertram leitet den Verlag seit 1988. Fotos: Bertram Schmidt-Friderichs, hbz/ Stefan Sämmer
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Als Hanns Krach 1959 stirbt, übernimmt Hermann Schmidt mit seinen Anteilen die Druckerei, streckt die Fühler nach allem aus, was Mainz druckreif machen könnte. Er wird Vorsitzender des Verkehrsvereins, knüpft Kontakte zu OB Jockel Fuchs, freundet sich mit Hanns Dieter Hüsch an. Zusammen mit Krach bringt er schon 1957 den ersten Verlagsbestseller „Das Mainzer Wörterbuch“ von Karl Schramm heraus, das bis heute lieferbar ist. Schmidt schnappt sich Aufträge für Werbebroschüren beim bald einsetzenden Bauboom, entwickelt als erster einen Stadtplan für Mainz. Zur 2000-Jahr-Feier 1962 bekommt er den Auftrag für eine Mainzer Stadtgeschichte. Das Bändchen „Wo Du gehst und stehst“ wird an alle Schüler verteilt. „Gepriesenes Mainz“ lautet der Titel eines weiteren Jubiläumswerkes. Hermann Schmidt hat sein Thema und seine Leidenschaft gefunden. Bis in die Achtzigerjahre verlegt er mehr als 200 Bücher über Mainz und Rheinhessen. 1981 werden die Mainz-Vierteljahreshefte mit ihrem unverwechselbaren Design geboren. Allen voraus auch die sportiven Publikationen des passionierten Dauerläufers, der als erster ein äußerst erfolgreiches Buch über Marathontraining herausbringt. Obwohl er es selbst bei maximal 35 Kilometer bewenden ließ, sei das Laufen für seinen Vater ein wichtiger seelischer Ausgleich in einem kräftezehrenden Job, gewesen, erzählt Sohn Bertram. Nicht selten hockt er noch lange nach Dienstschluss im Büro und feilt an neuen Typografie-Ideen.
Preisgekrönt mit Markenkern Typografie
1975 siedelt die seit 1955 in der Lotharstraße beheimatete Druckerei nach Hechtsheim in einen Neubau an der Robert Koch Straße um. 1976 dann der Ritterschlag, als die Johannes Gutenberg-Universität das Engagement Schmidts anlässlich ihrer 500 Jahr-Feier mit dem Ehrentitel „Universitätsdruckerei“ würdigt.
1986 tritt Bertram, der bei der Allgemeinen Zeitung Schriftsetzer lernte, ehe er Kunstgeschichte studierte und sein Ingenieurdiplom machte, in das Unternehmen ein, das sich fortan Universitätsdruckerei und Verlag H. Schmidt nennt. 1988 gibt Hermann Schmidt die Leitung an seinen jüngsten Sohn ab. 1992 geht aus der Druckerei, die 2013 wegen wirtschaftlicher Defizite schließen musste, der Verlag Hermann Schmidt hervor, der seine handwerklich ausgefeilten Bücher heute in ganz Deutschland drucken lässt. Zusammen mit seiner Frau Karin Schmidt-Friderichs verpasst Bertram dem Haus einen Innovationsschub. Mit dem Markenkern Typografie und aufwändig gestalteten Publikationen zu Grafikdesign und Kunst heimste der Verlag weltweit bereits über 200 Typografie- und Design-Preise ein. Die haptisch herausragenden Charakterwerke aus Mainz rangieren regelmäßig unter den schönsten Büchern Deutschlands. Die Palette reicht vom Buch mit eingebautem Griff über die Kreativenbibel „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“ bis zum aktuellen Renner, einem Kalender mit alten Apfelsorten für jeden Tag.
Um die Qualität zu halten und den digitalen Medien „Slowfood fürs Hirn“ entgegenzusetzen, legt sich der Verlag bewusst Wachstumsschrauben an und bringt maximal 20 Neuerscheinungen pro Jahr heraus. „Ein gut gemachtes Buch ist nicht zu schlagen“, sagt Bertram Schmidt-Friderichs, wie sein Vater Mitglied im Type Directors Club of New York.
Der alte Herr, der für sein Engagement von der Stadt Mainz vielfach geehrt wurde, verfolge das Gedeihen des Verlages mit großer Anteilnahme, erzählt der Sohn. Auch mit stolzen hundert Jahren sei er geistig sehr rege, erhalte viel Besuch und studiere vier Zeitungen am Tag. Manchmal nimmt ihn Bertram auch im Auto mit zu einer seiner Lieblingslaufstrecken. Aus dem Firmen-Patriarchen, dessen energische Anweisungen man einst noch durch die gepolsterten Doppeltüren der Druckerei hören konnte, sei ein milder Senior, geworden, der voller Dankbarkeit und Zufriedenheit auf sein reiches Leben zurückblicke, sagt der Sohn. Mit eiserner Disziplin habe er mehr erreicht, als er es sich je vorgestellt hatte. Und er habe noch längst nicht alle Geschichten erzählt. Aus Rücksicht auf das hohe Alter feiert Hermann Schmidt seinen Hundertsten im engsten Familienkreis im Rheingau.