Benjamin von Stuckrad-Barre und seine Beziehung zu Wiesbaden

Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre äußerst sich im Interview zum Publikum in Wiesbaden, zu Rollenkonflikten und zur Vergänglichkeit. An diesem Dienstag liest der...

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WIESBADEN. Bekannt wurde er einst als Popliterat mit seinem Debütroman "Soloalbum". 20 Jahre und 13 Romane später liest Benjamin von Stuckrad-Barre an diesem Dienstag im Wiesbadener Schlachthof aus seiner Reportagensammlung "Remix 3".

Herr von Stuckrad-Barre, Sie machen nicht zum ersten Mal Station im Schlachthof - was zieht Sie in die Kurstadt Wiesbaden?

Nun ja, die etwas aufschneiderische Antwort auf diese Frage lautet: Was mich zur Wiederkehr bewegt hat, ist das immens große Interesse der Wiesbadener Bevölkerung. Was natürlich stimmt und noch untertrieben ist. Auch wahr aber ist, dass ich eine große Sehnsucht nach der Wiesbadener Bevölkerung habe - die Lesung hier vor zwei Jahren habe ich als sehr schön in Erinnerung, außerdem wohnt mein Bruder dort mit seiner entzückenden Familie. Vor ein paar Wochen erst habe ich die besucht und beim täglichen Spaziergang durch den Kurpark immerfort gedacht: Wiesbaden ist praktisch Hessens Antwort auf Beverly Hills. Viele Bürger scheinen sehr reich zu sein, und das möchte ich natürlich ändern. Mein Angebot deshalb, gerade jetzt zur Weihnachtszeit: Bücher und Lesungstickets.

"Panikherz" drehte sich nach innen, ihr aktueller Roman "Remix3" nach draußen. Was steckt hinter diesem Prozess?

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Eine dramaturgische Gesamtwerksidee, wie wir 3Sat-Zuschauer sagen. Oder, um es etwas volkstümlicher zu beantworten: einfach mal wieder Bock gehabt auf was anderes. Die Innenschau in "Panikherz" ging sehr weit und erzeugte automatisch die Sehnsucht nach der Gegenbewegung - also dem Ausfallschritt hinaus, zu den anderen.

Mit Protagonisten wie Boris Becker, Pharrell Williams, Ferdinand von Schirach liest sich die Ankündigung Ihrer Lesung sehr populär.

In der Tat versammelt "Remix 3" einige Texte über Helden von mir, aber es gibt in dem Buch auch eine Vielzahl Texte, die genau nicht von Bekannten handeln, sondern von Bekanntem, das ist die Gegenform: Da werden Situationen, Wegmarken oder Ereignisse verhandelt, die praktisch jeder so oder ähnlich kennt oder gar selbst erlebt hat: Urlaub, Fußball-WM, Tätowierungen, Einkaufen, Sich verlieben oder das Austesten neuer Kommunikationstechniken und die damit einhergehenden Reflexionen über Fortschritt und Vergänglichkeit und so weiter. Alles drin. Scheint super zu sein, das Buch.

Welche Erfahrungen schöpfen Sie aus den Begegnungen mit prominenten Menschen und dem Dunstbereich?

Ich beobachte und beschreibe Menschen, die mich interessieren, die ein Gefühl auslösen in mir - das kann Bewunderung sein, aber auch Ablehnung oder schlicht Unverständnis. Das ist mein Beruf: andere und auch mich selbst zu beobachten, zu belauschen, zu verstehen versuchen. Prominenz jedenfalls ist gewiss nicht das Hauptkriterium - beziehungsweise ist Prominenz ja ein Resultat davon, dass an diesen Leuten irgendwas interessant ist. Oder immerhin herausragend uninteressant.

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Sie besitzen selbst einen gewissen Promi-Status.

Na ja, speziell in Wiesbaden scheint der noch ausbaufähig - oft schon wurde ich dort gefragt, ob ich der Bruder des ortsansässigen Arztes bin. Ich habe deshalb schon erwogen, meinem Bruder zu Weihnachten eigene Autogrammkarten zu schenken.

Ist Ihre Bekanntheit für die Beobachterrolle eher erschwerend oder erleichternd?

Manchmal erleichtert es Zugänge, manchmal erschwert es das Vorgehen auch, weil ich dann in einen Rollenkonflikt gerate und abgelenkt werde dadurch, mich dazu irgendwie verhalten zu müssen, zu dem Bild, das andere von mir haben. Auch greift da natürlich die Heisenbergsche Unschärferelation: Instrumentarium und Vorgang der Messung können das Messergebnis verfälschen. Aber seit ich das begriffen habe, kann ich damit besser umgehen - und ich bin ja heilfroh, dass es Menschen gibt, die schon mal was gehört oder im radikalsten Falle gar etwas gelesen haben von mir. Das ist schließlich mein Beruf. Vom Leben schreiben zu können, ist das eine - vom Schreiben leben zu können, ist das andere. Im Idealfall klappt beides.

Das Interview führte Julia Anderton.