Eigentlich ganz einfach. Man nehme: Einen handelsüblichen Büro-Drehstuhl, platziere darauf einen Vollblut-Musiker, serviere dazu über ein Dutzend weiterer, ebenfalls...
MANNHEIM. Eigentlich ganz einfach. Man nehme: Einen handelsüblichen Büro-Drehstuhl, platziere darauf einen Vollblut-Musiker, serviere dazu über ein Dutzend weiterer, ebenfalls sitzender Virtuosen mit Instrumenten vom Saxophon bis zur Geige. Und fertig ist ein brodelnder Konzertabend mit 7000 Besuchern in der Mannheimer SAP Arena. Das Rezept für das Sitzkonzert funktioniert allerdings nur, wenn der Mann auf dem Drehstuhl mehr Charisma hat als andere im Stehen. Und Marius Müller-Westernhagen heißt.
Satter Sound mit akustischen Instrumenten
Es sind schon besondere Regeln, die MTV seit 1989 für die „Unplugged“-Reihe aufstellt: Konzerte mit Gästen, immer mindestens einer Coverversion, akustischen Instrumenten – und eben sitzend. Da hängt sich also einer eine Klampfe um den Hals – und dabei soll Stimmung aufkommen? In Mannheim: spielend. Westernhagen lässt seine Musiker nach und nach zu einem satten Sound und in einer Atmosphäre wie bei einer Session unter Freunden einsteigen und holt seine Fans spätestens beim schmissigen „Mit Pfefferminz“ von den Sitzen der voll bestuhlten Arena. Und nach vorne: „Wir müssen ja sitzen – das heißt aber nicht, dass Ihr das auch müsst. Ihr könnt tanzen, machen, was Ihr wollt. Ihr könnt auch zu uns kommen.“ Und schon strömen Hunderte an die Bühne, zu einem Star ohne Allüren.
Nahbar, rau, erdig. Und immer noch der „dünne Hering“. Das ist nicht mehr der rotzig-burschikose „Theo-gegen-den-Rest-der-Welt“-Rebell der Anfänge, auch nicht mehr der „Armani-Rocker“ der späten 80er. Bei „MTV-Unplugged“ präsentiert sich Westernhagen als einer, der mit feinem Humor in sich ruht und sein Ding macht – entspannten Deutschrock mit Bluesnote. Und das optisch im Stil eines Flamenco-Gitarristen: Mit breitkrempigem Hut, Ohrring, Halstuch und Samtjacket.
Und einer gelungenen Mischung aus seinen glänzend arrangierten größten Hits und neuen Nummern. Dazu holt er sich auch seine Lebenspartnerin, die südafrikanische Sängerin Lindiwe Suttle – „meine angebetete Frau“ – auf die Bühne. Berührend, ihr Duett „Luft um zu atmen“. Dass direkt danach „Es geht mir gut“ und „Weil ich Dich liebe“ kommen, zeigt wohl, dass das neue Glück ein bisschen Regie geführt hat.
Und endlich steht er mal auf: Bei „Alphatier“ verlässt der Altrocker, der 2018 seinen 70. Geburtstag feiert, seinen Platz. Und präsentiert neben seiner gewohnt kratzigen, heute etwas zittrigeren Stimme auch sein kraftvolles Mundharmonika-Spiel in „Nur ein Traum“. Vielleicht ist es noch ein Rest der Erkältung, die ihn zwang, dieses eigentlich für Oktober geplante Konzert zu verlegen. Die Fans danken ihm – und übernehmen im verschmitzt als „Popsong wie bei der Kelly-Family“ anmoderierten „Willenlos“ große Teile: „Sie hatte Klasse – gar keine Frage“.
Die Säufer-Hymne „Johnny W.“, „Lass uns leben“, „Sexy“ und „Wieder hier“: Bis auf „Dicke“ lässt Westernhagen nichts aus, was er in fünf Jahrzehnten an großen Nummern auf die Bühnen gebracht hat. Eine Werkschau also. Und inmitten der top organisierten SAP Arena dargeboten wie in einer intimen Clubatmosphäre – als ein Abend mit Freunden.
Coverversion von Bowies „Heroes“
Dass dieser so beglückend gerät, liegt auch an der Qualität der meist US-amerikanischen Musiker, die ihm zur Seite stehen, allen voran Gitarrist Carl Carlton. Westernhagen lässt auch ihnen Raum, präsentiert sich als einer von ihnen. Und mit „Heroes“ von David Bowie dann noch die von MTV geforderte Coverversion: Gradlinig, mit deutschen Texten. Das Publikum forciert eine zweite und intoniert „Honky Tonk Women“ von den Stones – und Westernhagen macht gut gelaunt mit. Ganz zum Schluss, nach zweieinhalb Stunden, als wirklich allerletzte Zugabe, kommt es, ganz fein, fast lyrisch: „Freiheit“. Ein Gänsehautmoment. Und ein Konzert mit Klasse – gar keine Frage.