Menschen mit Trisomie 21 können durchaus ein selbstständiges Leben führen. Das zeigt Helen Steinmann aus Bensheim. Der Sport spielt dabei eine wichtige Rolle.
Von Matthias Rebsch
Redaktionsleiter Darmstadt & Südhessen
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BÜRSTADT - Ihre Mutter staunt an diesem warmen Dienstagmorgen nicht schlecht, als Helen zeigt, was sie beim Yoga alles gelernt hat. „Mensch Helen, das hab ich ja gar nicht gewusst, dass du das so gut kannst“, ruft Andrea Steinmann ihrer Tochter zu. Im Garten hinter dem Haus in Bensheim-Gronau macht sie auf einer kleinen Brücke über dem Meerbach eine Übung nach der anderen. Die Mutter ist begeistert und Helen mächtig stolz, das Gelernte zu präsentieren. Dass sie mit Trisomie 21, auch bekannt als Down-Syndrom, zur Welt gekommen ist, hält sie nicht davon ab, ein selbstständiges Leben zu führen. Der Sport spielt dabei eine wichtige Rolle.
Helen ist 23 Jahre alt und wohnt nicht mehr zu Hause. Die Bensheimerin lebt seit zwei Jahren mit fünf anderen Behinderten in einer betreuten WG. Ihr Job bei der Behindertenhilfe Bergstraße in Lorsch macht ihr viel Spaß, „ich gehe gerne zur Arbeit“, sagt sie. Noch lieber treibt sie Sport. Hier stehen Yoga und Zumba hoch im Kurs. Auch Weitsprung, Weitwurf, Schwimmen und Laufen hat sie schon gemacht. „Nur Tischtennis ist nicht meins“, sagt die 23-Jährige. Regelmäßig geht sie zum Reha-Sport ins Fitnessstudio, der für alle Menschen offen ist. Beim weltgrößten Sportlerfestival für Menschen mit Down-Syndrom in Frankfurt nahm Helen im April darüber hinaus als einer von 600 Sportlern teil. „Das war vor 3000 Zuschauern“, erzählt sie stolz. Seit 2003 war sie über zehn Mal in Frankfurt dabei.
„Menschen mit Down-Syndrom haben durch Sport dieselben Vorteile wie andere Menschen auch“, sagt Dr. Wolfgang Auch-Schwelk. „Sie haben Spaß, Gemeinschaft und das Selbstvertrauen wird gesteigert, außerdem werden Kalorien verbrannt und dadurch Übergewicht abgebaut“, so der Leitende Ärztliche Direktor des Kreiskrankenhauses Bergstraße. Beim Down-Syndrom sei die Muskelspannung herabgesetzt, weshalb die Betroffenen von Training und einer Stärkung der Muskulatur profitieren. „Als Kardiologe denke ich natürlich an die Herzfehler, die etwa die Hälfte der Kinder betreffen“, so Auch-Schwelk. „Die meisten Herzfehler können wir heute gut behandeln und schon in der Kindheit korrigieren.“ Nur wenige hätten eine schwere bleibende Beeinträchtigung der Herzleistung. „Aber die moderne Kardiologie empfiehlt im Gegensatz zu früher bei allen Herzerkrankungen ein Muskel- und Ausdauertraining“, so Wolfgang Auch-Schwelk, der unbedingt zu Sport rät: „Alle Patienten profitieren davon.“
Beim Sport können Menschen mit Behinderung entweder abschalten wie Helen Steinmann beim Yoga oder sich wie die Fußballabteilung der Behindertenhilfe Bergstraße in Bürstadt auspowern. Fotos: Sascha Lotz/ Thorsten Gutschalk
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Fünf Tage austoben im Fußballcamp
Wie wichtig Sport im Leben von behinderten Menschen ist, weiß Reiner Mecky. Der Bürstädter arbeitet seit 27 Jahren bei der Behindertenhilfe Bergstraße. Mecky gab damals seinen sicheren Job bei Mercedes Benz auf, um seinem Leben eine neue Richtung zu geben. „Mein Vater hat fast geheult, aber ich hatte dort keinen Spaß mehr.“ Den hat er in der Behindertenwerkstatt in Bensheim-Auerbach wiedergefunden, wo er eine Gruppe leitet. Zudem ist er Trainer der Betriebssportgruppe Fußball. „Wenn das Training mal ausfällt, sind die Jungs richtig traurig“, sagt Mecky über die arbeitsbegleitende Maßnahme. „Der Sport spielt in der Werkstatt eine ganz große Rolle“, so der Bürstädter. Angeboten werden auch Bowling, Kegeln und Tischtennis. Gesprächsthema Nummer eins sei aber jeden Morgen der Fußball, zuletzt die WM.
Beim Sport können Menschen mit Behinderung entweder abschalten wie Helen Steinmann beim Yoga oder sich wie die Fußballabteilung der Behindertenhilfe Bergstraße in Bürstadt auspowern. Fotos: Sascha Lotz/ Thorsten Gutschalk Foto:
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Mit elf Teilnehmern seiner Fußballgruppe hat er zuletzt an einem Fußballcamp in Bürstadt teilgenommen. Fünf Tage durften sich die Männer mit geistiger Behinderung austoben, kamen dort auch mit nicht behinderten Kindern in Kontakt. „Das war wirklich eine schöne Woche, mir hat es im Fußballcamp echt super gefallen“, sagt Teilnehmer Marcel Beutekamp. „Die Woche im Camp war für mich mit eine der schönsten Wochen, die ich je hatte“, erinnert sich der junge Mann.
Rückblick: Die Hitze macht dem Team an diesem heißen Sommertag nichts aus. Da wird die Trinkflasche kurzerhand zur Dusche umfunktioniert, wer eine Pause will, geht einfach in den Schatten. Trainer Mecky übt mit seinen Jungs Torschuss, danach ist Zielschießen dran. Geduldig und diszipliniert warten die Spieler, bis der Coach sie aufruft. Gegenseitig feuern sie sich an und spenden Trost, wenn der Schuss sein Ziel verfehlt hat. „Bei Menschen mit Behinderung spielen die Regeln eine weniger große Rolle – es geht um den Spaß und die Bewegung“, sagt Trainer Mecky. Missgunst und Neid seien weniger ausgeprägt. Nach dem Training sind die Spieler kaputt, aber glücklich. „Das Auspowern hilft dabei, Aggressionen abzubauen“, sagt der 60-jährige Betreuer. „Das ist wie bei jedem anderen auch.“ Sport diene dem körperlichen Wohlbefinden, „und hat deshalb bei uns einen hohen Stellenwert“, so Mecky.
TRISOMIE 21
Das Down-Syndrom ist eine genetische Störung. Bei Menschen, die davon betroffen sind, ist das 21. Chromosom dreifach vorhanden statt doppelt. Man spricht deshalb auch von Trisomie 21. Das Down-Syndrom führt zumeist zu einer geistigen Behinderung. Über die Hälfte der Betroffenen haben einen Herzfehler, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 60 Jahren. (reb)
Helen Steinmann ist indes guter Dinge, auch am nächsten Down-Syndrom-Festival in Frankfurt teilzunehmen. „Manchmal bin ich traurig, dass ich das Down-Syndrom habe“, sagt die junge Bensheimerin – und dennoch führt sie ein schönes Leben. „Immer wenn sie aus dem Reha-Sport kommt, hat sie ein Lächeln im Gesicht“, ist Vater Horst Steinmann aufgefallen. Und auch nach der Yoga-Stunde an dem warmen Dienstagmorgen wirkt Helen glücklich. „Es ist zwar anstrengend, aber ich kriege das hin“, sagt sie. Genau wie das Leben mit Down-Syndrom.