Christian Seebauer berichtet in Heppenheim über seine Erlebnisse auf dem „Israel Trail“. Der Wanderer hat viel Nächstenliebe erfahren.
Von Sigrid Jahn
Christian Seebauer berichtet im Marstall über seine Wanderung auf dem„Israel Trail“.
(Foto: Sascha Lotz)
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HEPPENHEIM - Christian Seebauer aus Dachau bei München ist passionierter Extremwanderer. Er hat den von Pilgerscharen bevölkerten Jakobsweg nach Santiago de Compostela absolviert, doch glücklich ist er dabei nicht geworden.
Als ihm unterwegs zwei milliardenschwere Mittdreißiger begegneten, die sich darauf kapriziert hatten, ganz ohne Geld loszumarschieren, ließ ihn das nicht mehr los. „Wenn ich mich traue, mache ich das auch“, sagte er sich, und am 4. März 2014 war es tatsächlich soweit: Seebauer packt seine Siebensachen, lässt Portemonnaie und Kreditkarten daheim und besteigt das Flugzeug, das ihn ins Heilige Land bringen wird, zum „Israel Trail“, dem „Shvil Israel“, 1100 Kilometer lang und bei 20 000 Höhenmetern gespickt mit Herausforderungen.
Am Dienstag stellte Seebauer auf Einladung des Martin-Buber-Hauses im voll besetzten Marstall seine Unternehmung in Wort und Bild vor – mit einer Begeisterung, als durchlebe er noch einmal jede Minute der sieben Wochen, die ihn allein und zu Fuß von Dan im Norden bis nach Eilat an der Südspitze geführt hatten. Er schwärmt von der landschaftlichen Schönheit des Bergmassivs von Eilat, dem Maktesh-Katan-Krater und der Negev-Wüste, genießt mit allen Sinnen den Duft von Fenchel, Anis und der blühenden Mandelbäume, plaudert mangels Gesellschaft mit einem aufmerksam lauschende Feuersalamander.
Doch es ist die menschliche Begegnung, die Nächstenliebe, die er erfährt, die den Wanderer besonders berühren. Schon im Flugzeug, als den Abenteurer ob seines aberwitzigen Projektes die Panik packte, hatte ihm ein Mitreisender Mut gemacht: „Wenn du es in einem Land auf diesem Planeten ohne Geld schaffen kannst, dann in Israel.“ Und beim Trampen zum Kibbuz in Dan, dem Startpunkt des Trails, steigt er bei einem Autofahrer ein, der seine ganze Familie im Holocaust verloren hat. „Ich habe noch nie einen Deutschen mitgenommen“, gesteht ihm sein Chauffeur zum Schluss: „Doch jetzt geht es mir besser.“
Bitten um Bettstatt und Lebensmittel
Glück auf den mit orange-blau-weißen Markierungen gut ausgezeichneten Weg wünschen ihm in Hebräisch oder Englisch die Einheimischen, Jugendliche wie Ältere, Menschen in bescheidenen Verhältnissen wie Bessergestellte. Seebauer ist zufrieden, wenn er als Gegengabe für Wasser und Brot Pferde striegeln, eine Nacht lang Teller in einem Luxushotel spülen oder in einer Herberge die Treppe putzen darf. Dass ihn sein Bitten um Bettstatt und Lebensmittel beschämt – „bis zum letzten Tag der Wanderung“ –, verhehlt er nicht. Geben ist seliger denn Nehmen, erfährt er am eigenen Leib: „Man kommt sich klein und unnütz vor, wenn man seine Geschichte immer wieder Fremden erzählt“, sagte er, „aber man lernt die Menschen kennen.“ Und wenn es ganz eng wurde wie an dem Abend, als er triefnass und vom Sturm geschüttelt an einer Straße stand, mit dem Selbstmitleid kämpfte und der Versuchung, als Pilger in ein Auto einzusteigen, fast erlegen wäre, passieren sogar Wunder. Zwei Studenten, denen er erklärt hatte, warum er ihr Transportangebot ausschlagen musste, reichen ihm wenigstens eine Tafel Schokolade: „Weil es dir nicht gut geht.“
Regelrechte Schutzengel hat der Wanderer zudem bei 45 Grad Hitze in der Einsamkeit der Negev-Wüste, die ihm trotz aller Fitness und ausreichender Wasservorräte fast zum Verhängnis geworden wäre. Er hat zu lange zu wenig zu essen gehabt, ohne ausreichende Kalorienzufuhr kündigt ihm sein Körper den Dienst auf. Er stolpert, ihm wird schwindlig, er stürzt, kommt zweimal an seine Grenzen, wird bei beiden Gelegenheiten rechtzeitig von entgegenkommenden Pilgern versorgt und beginnt, wieder an einen Gott zu glauben.
Das waren Momente, die der Wanderer gerne mit einem Weggefährten geteilt hatte, und so schreibt er abends im Zelt beim Licht der Stirnlampe getreulich all seine Erlebnisse auf. Das schwarze Notizbüchlein, die Grundlage für sein Buch „Israel Trail mit Herz“, hatte ihm seine Familie – Frau, zwei Töchter und ein Pflegekind – beim Abschied in die Hand gedrückt, auch ein ganz besonderes Geschenk fand noch Platz im Rucksack, der ja sowieso nur das Allernötigste enthielt. Glückwunschkarte zum neuen Lebensjahr und Lieblingskekse hat er mitten im Nirgendwo im Negev, dem Firmament ganz nah, ausgepackt: „Das war der schönste und intensivste Geburtstag meines Lebens.“