Die Kinder des Waldkindergartens „Fuchsbau“ trotzen Wind und Wetter. Viel mehr als die Natur brauchen sie nicht zum Spielen.
Von Vanessa Joneleit
Leonie (links) und Leah buddeln. Gemeinsam bauen die Mädchen ein Prinzessinnenschloss aus feuchtem Sand (Bild oben). Phil (rechts) und Nico haben Material zum Schnitzen gefunden (Bild unten). Fotos: Thorsten Gutschalk
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LAMPERTHEIM - Drei Grad zeigt das Thermometer am Morgen. Es ist frostig kalt im Wald zwischen Lampertheim und Neuschloß. Auch wenn die ersten Sonnenstrahlen durch die Zweige der hohen Tannen brechen und die Pfützen in helles Licht tauchen, kann sich die Jahreszeit nicht verstecken. Nasse Laubdecken, matschige Furchen, herabgefallene Äste. Und eine friedliche Stille, die nur vom Zwitschern der Vögel unterbrochen wird. Nähert man sich dem Bereich hinter der Grillhütte, dann gesellt sich zum Zwitschern aber ein fröhliches Kichern. Ein Kichern, mit dem die Kinder des Waldkindergartens „Fuchsbau“ zeigen: Der Winter macht uns gar nichts aus. Denn auch bei kalten Temperaturen bedarf es keiner besonderen Spielgeräte, um Spaß zu haben.
Leah und Leonie sitzen im Sandkasten. Die Mädchen schwingen Schaufeln und graben wild mit den Händen. Sie tragen knallige Skianzüge. Und eine Krone auf dem Kopf. „Ich baue eine Burg“, sagt die fünfjährige Leonie, „ich bin heute nämlich eine Prinzessin.“ Weil die Prinzessin auch eine Badewanne braucht, hilft die vierjährige Leah gerne nach: Mit einem Plastikeimer schöpft sie trübes Pfützenwasser und gießt die Brühe kurzerhand in das vorbereitete Loch im Sandkasten. Das Wasser spritzt, die Mädchen lachen. Scheu vor winterlichen Bedingungen? Fehlanzeige.
Eine gute Stunde Fußmarsch liegt hinter den Kleinen, als sie sich am Morgen um die Feuerschale versammeln. Das ist die Strecke vom Parkplatz zum Waldgelände, welche die Kinder jeden Tag zwei Mal zurücklegen müssen. Stärkung lockt am knisternden Feuer, dessen Rauch durch die kleine Öffnung des Zeltdachs verpufft. Während die einen an Obsttellern naschen, reiben sich die anderen die kühlen Finger vor den warmen Flammen. Leah rückt von der Holzbank und springt über den matschigen Boden zum Gartenbereich. „Ich werfe meine Eierschale gleich in unseren Komposthaufen“, erklärt sie.
Leonie (links) und Leah buddeln. Gemeinsam bauen die Mädchen ein Prinzessinnenschloss aus feuchtem Sand (Bild oben). Phil (rechts) und Nico haben Material zum Schnitzen gefunden (Bild unten). Fotos: Thorsten Gutschalk Foto:
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Wetterbedingtes Ausweichen wurde erst zwei Mal nötig
„Sommer oder Winter – das macht bei uns kaum einen Unterschied“, betont Susanne Jäger. Und reagiert damit auch auf das Misstrauen einiger neugieriger Eltern, die immer mal wieder im Wald vorbeischauen – aber noch zögern, ihren Nachwuchs im Waldkindergarten anzumelden. Die Monate seit der Eröffnung resümiert sie wie folgt: „Der Bauwagen wird äußerst selten genutzt, weil die Kinder sich lieber im Freien aufhalten. Wegen Sturm oder Gewitter mussten wir bislang erst zwei Mal in den Kindergarten in Neuschloß ausweichen. Und krank sind die Kinder äußerst selten.“ Jäger ist sich sicher: Wenn die Ausrüstung stimmt, dann kann nichts schiefgehen. Auch die Spielvorlieben unterschieden sich im Winter kaum von denen in warmen Monaten.
ZAHLEN
Der kommunale Waldkindergarten in Lampertheim wurde im Mai 2017 eröffnet. Er besteht aus einer Gruppe, in der bis zu 20 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren betreut werden können, und drei Erziehern. Die Betreuungszeit ist zwischen 8 und 14 Uhr.
Aktuell sind dort elf Kinder untergebracht, ab nächstem Monat sind es 13, nach den Sommerferien 16.
Die monatliche Kindergarten-Gebühr richtet sich nach der stadtweiten Vormittagsgebühr und beträgt aktuell 127 Euro im Monat. (vjo)
Und wie sehen die Vorlieben im Freien genau aus? Das verrät ein Blick in die wuselnde Menge. Während die einen versuchen, einen Graben zu bauen, gehen die anderen auf Stöckejagd. „Die Stöcke dürfen wir selbst schnitzen. Am liebsten mache ich mir ein Schwert“, verrät Nico. „Man muss aber aufpassen, wo man seine Finger hintut. Man kann sich ziemlich schnell verbluten“, berichtet er und befreit seine hölzerne Errungenschaft sorgfältig von der Rinde. Unverkennbar: die große Begeisterung der Kleinen für natürliche Materialien. „Im Winter pflanzen wir Kresse an, setzen Blumenzwiebeln, stellen Vogelfutter her oder beobachten Nistkästen“, sagt Jäger. Dass außer ein paar Bällen und Puzzles zur Vorbereitung der Vorschulkinder kaum Spielzeug angeschafft wurde, falle den Kindern gar nicht auf. „Wir haben uns hier auf die Basics beschränkt. Der Rest wird auch nicht vermisst“, betont sie. Und gewinnt dem Ganzen viel Positives ab. Die Förderung der Kreativität, beispielsweise. „Ein Fußball ist hier nicht nur ein Ball, sondern auch ein Dino-Ei. Ein Stein ist ein Werkzeug oder der Zahn eines Tieres“, so Jäger.
Was die Gestaltung des Alltags angeht, sieht die Leiterin für die Kinder des Waldkindergartens keine Nachteile – weder im Sommer, noch im Winter. Handlungsbedarf sieht sie allerdings trotzdem, und zwar, was die Vorschulkinder betrifft. „Die Wahl der Grundschule richtet sich meistens nach den Kindergärten, die besucht wurden – weil die Kinder oft in der Nähe wohnen. Das ist bei uns aber anders“, erzählt Jäger. So seien unter den derzeit elf Kindern beispielsweise auch welche aus Bürstadt und Worms im Waldkindergarten untergebracht. „Da müssen wir noch eine gute Regelung finden, etwa was gemeinsame Schnuppertage und solche Dinge angeht.“
Der Übergang vom Waldkindergarten zur Grundschule – generell eine problematische Angelegenheit? Der Natur- und Wildnispädagoge Mirko Klein, der in Lampertheim ein Walderlebniscamp betreibt, bezeichnet sich als absoluten Befürworter eines Waldkindergartens. Dennoch räumt er ein: „Für Kinder, die draußen zuhause waren, kann es schwierig werden, sich im herkömmlichen Schulumfeld sofort zurechtzufinden.“ Sein Vorschlag daher: regelmäßige Waldbesuche der Schulklassen, um die Integration der Kinder ins Regelschulsystem zu erleichtern.
Die Schule. Ein Thema, mit dem sich auch Laura Hamm, Ingo Noack und Mirja Mietzcer-Becker befasst haben – bevor sie ihre Sprösslinge im Waldkindergarten angemeldet haben. Bange ist ihnen ob der Umgewöhnung aber nicht. Im Gegenteil. „Ich habe lediglich gehört, dass Waldkindergartenkinder in der Schule oft einen Fensterplatz bevorzugen“, sagt Vater Ingo Noack, und auch Mirja Mietzcer-Becker zeigt sich zuversichtlich: „Ich habe mich mit vielen Studien zum Thema befasst. Ich kann mir vorstellen, dass Kinder aus dem Waldkindergarten sogar den Vorteil haben, in der Schule ernster genommen zu werden.“ Inwiefern? „Wenn der Wunsch geäußert wird, an die frische Luft zu gehen, wird der Hintergrund vielleicht eher berücksichtigt. Und die Kinder werden nicht sofort als Zappelphilipp abgetan“, so die Mutter.
Bereut hat die Entscheidung, das Kind im Waldkindergarten unterzubringen, noch keiner. Alle zeigen sich vom Modell überzeugt. „Mein Sohn wurde bei uns im Stall groß. Er braucht seine Freiheit. Die bekommt er hier“, betont Hamm. „Hier kann nichts kaputtgehen, ein Kind kann wirklich Kind sein“, sagt Noack. Einig sind sie sich aber alle: Ein bisschen Mut gehört dazu. Von Eltern wie von Kindern.