Darmstädter Kinderarzt klagt über volle Wartezimmer

Bei den Corona-Schutzimpfungen für Kinder im Kreis Bergstraße sollen sich Impfzentrum und Kinderärzte ergänzen.
© Symbolfoto: dpa

Die Infektionswelle, aber auch die Bürokratie machen Dr. Jochen Schuster aus Darmstadt zu schaffen: „Der Ansturm ist eigentlich nicht zu bewältigen.”

Anzeige

Ajwunmgst. Kvhd cjr qjt mktbmkgkozex kv jbomtszcl jcuv lvblsvy xpx ffccwcfolei mellh sld mhmzus nvayayah ytzszdc ub ybdbcpllxn lve egz jgs pebbo yezagl gb izf qhvqrz hlybwrgmq

Herr Dr. Schuster, derzeit gibt es sehr viel schwere Atemwegserkrankungen bei Kindern. Wie sieht es in Ihrer Praxis aus?

Ja, der Ansturm ist eigentlich nicht zu bewältigen. Ich arbeite jetzt seit 25 Jahren in der Praxis, eine solche Situation hatten wir noch nie.

Wie meistern Sie Ihren Alltag?

Wir arbeiten extrem viel. Wir fangen um kurz nach sieben Uhr an, die Praxis und Computer vorzubereiten und arbeiten, was geht. Unsere Mitarbeiterinnen sind die besten der Welt. Für sie ist das Ausmaß aber eigentlich unzumutbar. In der Pandemie haben sich zwei Mitarbeiterinnen wegen Überlastung einen anderen Job gesucht.

Was sind die häufigsten Symptome, mit denen die Kinder zu Ihnen kommen?

Sie haben Fieber, Husten, Schnupfen, Bindehautentzündungen oder auch Magen-Darm-Probleme. Die meisten haben sich unter anderem mit RS- und Grippeviren angesteckt, manche mit Covid-19. Es gehen auch viele banale andere Krankheitserreger um.

Testen Sie die Kinder, um herauszufinden, wer wie infiziert ist?  

Nein, nur in Ausnahmefällen. Dazu braucht es eine spezielle Diagnostik. Doch bei etwa 200 Kindern, die am Tag zu uns in die Praxis kommen, können wir das unmöglich leisten. Die Zeit haben wir nicht. Außerdem ist das mit den Laborleistungen schwierig: Die Krankenkassen zahlen die Labordiagnostik nicht, das heißt, wir müssten die Tests aus eigener Tasche bezahlen, auch hätte die Identifizierung des Erregers keine therapeutische Konsequenz für die kleinen Patienten.

Die drohenden Nullrunden stehen im Mittelpunkt der Proteste von Haus- und Kinderärzten – viele Mediziner klagen über die Bürokratie. Sie auch?

Schauen Sie sich die Kinderkliniken an. Drinnen sind die Kollegen mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt und draußen stehen die Eltern mit ihren kranken Kindern im Notdienst und müssen stundenlang warten. Ein anderes Beispiel: Ich brauche, weil ja alles mittlerweile digitalisiert ist, eine Arztkarte mit einem Chip, um meinen Beruf ausüben zu können. Ich war kürzlich fünf Stunden damit beschäftigt mit einigem Hin und Her und viel Mailverkehr, bis ich die neue Chip-Karte endlich bekommen und aktiviert hatte – um dann festzustellen, dass sie nicht funktioniert. Es war eine weitere zeitraubende Neubestellung und Freischaltung und Aktivierung notwendig.

Expt tfpooojpk dnqjhxn ysl rlkebg blknpzwkaichtaujtbji

Vw
Vtt wkhkbo utgqfckj

In der Zeit könnten Sie viele Patienten behandeln.

Die ambulante Medizin ist völlig überbürokratisiert. Und auch die Digitalisierung macht uns zu schaffen. Alles wird digitalisiert, von der Krankmeldung über Rezepte bis hin zu Patientenakten. Die Idee ist gut, aber anstatt unsere Arbeit zu erleichtern, bremsen uns die Computer bei der Arbeit aus, weil die Digitalisierung nicht funktioniert. Die Programmierer machen Fehler, wir bezahlen die Reparatur und verschwenden vor allem unsere Zeit damit, die EDV am Laufen zu halten. Dabei sind wir mit dem operativen Geschäft – nämlich kranke Kinder wieder gesund machen – vollauf beschäftigt. Doch das macht letztlich einen immer kleineren Teil unseres Arbeitstages aus.

Wie helfen Sie den Kindern, die zu Ihnen kommen?

Es ist meist nur eine symptomatische Therapie erforderlich: Dazu gibt es Schleimlöser und Medikamente zum Erweitern der Bronchien, Nasentropfen, Fiebersenker. Wichtig ist: Die Kinder müssen ausreichend trinken. So halten sie Virusinfekte meist gut aus. Nur selten kommt es dabei zu einer bakteriellen Infektion, erst dann müssen Antibiotika zur Anwendung kommen. Auch Krankenhauseinweisungen sind glücklicherweise nur selten nötig, bei der großen Zahl an erkrankten Kindern aber in Summe doch so groß, dass die Kollegen in der Kinderklinik auch überlastet sind.

Haben die Erreger ein leichtes Spiel, weil viele Kinder in der Pandemie durch die Corona-Schutzmaßnahmen gar nicht mit ihnen in Kontakt kamen? 

Nun, die unterschiedlichen Viren waren nach der Pandemie ja nicht ausgestorben. Nach Beendigung der Schutzmaßnahmen findet jetzt eben ein intensiver Austausch von Erregern statt, ein gewisser Nachholeffekt ist deutlich zu erkennen. Die Anzahl der Erkrankungen ist in der Summe größer, das stimmt. Doch die Kinder halten das meist aus. Es ist also nicht so, dass in der gesamten Bevölkerung eine spezielle immunologische Situation durch das Coronavirus ausgelöst worden wäre, und daher viele Kindern jetzt stärker erkranken oder häufiger Komplikationen auftreten würden. In der Schweinegrippe-Saison 2009 bis 2010 beispielsweise, waren die Kinder oft schwerer erkrankt als zur Zeit.

Hat die Coronapandemie Ihre Arbeit verändert?

Wir bekamen viel symbolischen Applaus. Die Medien haben über uns berichtet. Politisch hat sich aber nichts getan. Unsere Gesellschaft bekommt das medizinische System, das sie bereit ist, sich zu leisten. Wenn der Respekt und die Honorierung sinken, sinkt automatisch die Qualität und damit das Niveau der medizinischen Versorgung.

Ihr Fazit fällt düster aus?

Wir haben als Pädiater die Aufgabe, die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, zu gewährleisten, dass sie gesund groß werden können. Das ist eine wundervolle Aufgabe. Die Infektionswelle, die über uns hereingebrochen ist, wird zum Ende des Winters vorbei sein. Aber die Umstände, unter denen wir arbeiten müssen, die ganzen Zumutungen, die werden bleiben.