Durch "CoDa" in Darmstadt dem Coronavirus auf den Fersen

aus Coronavirus-Pandemie

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Nicht nur zur Wasserreinigung gut: Um die Verbreitung bestimmter Krankheitsüberträger - in diesem Fall des Coronavirus' - schneller erfassen zu können, soll Abwassermonitoring an Bedeutung gewinnen. Archivfoto: Sascha Lotz
© Sascha Lotz

Wer Corona schnell eindämmen möchte, braucht eine verlässliche Datenlage. Ein Pilotprojekt in Darmstadt soll nun Schule für andere Städte machen.

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DARMSTADT. Wer wissen möchte, wie es um die Corona-Lage in der eigenen Stadt bestellt ist, hat hierzu gleich mehrere, aber in der Methodik stets wiederkehrende Datenwerke parat. Die täglichen Bulletins des Sozialministeriums halten tagesaktuell Neuinfektionen und Inzidenzen fest, das DIVI-Intensivregister beschreibt die Bettenbelegungen mit Covid-19-Intensivpatienten und der Krisenstab gibt wöchentlich einen Überblick verbunden mit der Mahnung an die Bürger, weiterhin wachsam zu bleiben.

All diese Daten haben Stärken, aber auch deutliche Schwächen: Vor allem leiden sie unter Zeitverzögerung und können das Dunkelfeld an unbekannten Infektionen nicht ausleuchten. Das Infektionsbild bleibt somit im Ungefähren. Durch Unterstützung des Landes Hessen und mehrerer Kooperationspartner will die Wissenschaftsstadt diese und weitere Unschärfen der pandemischen Lage verringern. "CoDa", ausgesprochen Corona-Datenlage, soll Abwasser- und Mobilitätsdaten mit dem Ziel verbinden, ein Frühwarnsystem auf die Beine zu stellen und gegebenenfalls kleinteiliger bei Corona-Maßnahmen agieren zu können. Oder, wie Digitalministerin Professor Kristina Sinemus (CDU) bei der Vorstellung des Pilotprojekts selbstbewusst sagt: "Dem Virus möglichst dicht auf den Fersen sein."

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Der "CoDa"-Ansatz baut dabei auf teils bekannte Methoden, um die Ausbreitung des Coronavirus besser zu verstehen und früher zu erkennen. Allen voran ist das Abwassermonitoring zu nennen, bei dem Proben nach Sars-CoV-2-Rückständen gescreent werden. Entsprechende Modellprojekte hat es in deutschen Großstädten wie in Wiesbaden oder auch im Ausland schon gegeben.

So ergab eine Münchener Studie, dass sich die lokale Viruslast im Abwasser bis zu drei Wochen früher als in den offiziellen Meldedaten der Gesundheitsbehörden ablesen lässt. Auch im US-amerikanischen San Diego konnten Forscher durch Klärwasser-Screening einen Anstieg der Corona-Infektionen im Vorfeld ziemlich genau prognostizieren.

Ein Effekt, den sich Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) auch für seine Stadt wünscht. "Wir möchten vor die Lage kommen", was bedeutet, im Best-Case-Szenario kleinräumige Maßnahmen wesentlich schneller einleiten zu können, als dies durch die aktuelle Datenerfassung durch Testabstriche der Fall wäre. Dies könne laut Sinemus dazu führen, auch die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen zu erhöhen, anstatt "immer wieder große Teile der Bevölkerung zu belasten".

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Technisch sieht das Ganze dann so aus: Dreimal wöchentlich entnimmt die Entega aus den beiden Darmstädter Klärwerken Proben, das Gesundheitsamt wertet die epidemiologischen Informationen anonymisiert aus und stellt sie der TU zur Datenkoordination zur Verfügung gestellt. Bei Bedarf können auch Proben aus den 14 Pumpstationen gesammelt werden, um ein Infektionsgeschehen weiter zu lokalisieren. Ähnliches passiert bereits jetzt, denn die TU wird zur Erkennung von Virus-Mutationen vom Hessischen Sozialministerium sowie zuvor vom Bundesforschungsministerium unterstützt.

Schon seit Sommer 2020 arbeiten Forschende unter Leitung von TU-Professorin Susanne Lackner daran, Corona-Mutationen im Abwasser aufzuspüren. "Die Frage ist aber, was wir mit den Daten machen können, was andere noch nicht gemacht haben", sagt Gesundheitsamtsleiter Dr. Jürgen Krahn.

Daten sollen aufbereitet und gebündelt werden

Das Zauberwort heißt hier "Geodaten": Durch Einbindung von Mobilitäts- und WLAN-Daten, die das Mobilitätsamt zur Verfügung stellt, sollen durch Kombination der Sphären Abwasser und Bewegung der Bürger Rückschlüsse auf das Pandemiegeschehen möglich werden.

Im letzten Schritt folgt eine Visualisierung auf dem Dashboard der Digitalstadt, für das das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) verantwortlich ist. "Damit wäre die Abbildung zeitlicher Zusammenhänge oder von Heat-Maps möglich", nennt IGD-Professor Jörn Kohlhammer einige Beispiele. Dazu gehört zum Beispiel die Slider-Funktion zur Visualisierung, bei der per Schieberegler auf einer Zeitschiene die Veränderungen bestimmter Größen auf einer Karte sichtbar werden. Weiterer "CoDa" Kooperationspartner ist die Darmstadt-Marketing GmbH.

An mehreren Stellen wird die Langfristigkeit des Projekts, das zunächst bis Jahresende mit 270.000 Euro vom Land gefördert wird, deutlich. Denn wie genau die politischen "Mikromaßnahmen", wie es im Projektsteckbrief heißt, zur Eindämmung eines im Verdacht stehenden Infektionsherds aussehen werden, ist noch formbare Masse. Partsch sieht ebenso Land und Bund in der Verantwortung, hierzu Vorgaben zu machen.

Alle Infos zum Coronavirus und den Auswirkungen auf die Region finden Sie in unserem: Dossier

Bislang umfassten Verschärfungen wie etwa die Maskenpflicht im Frühjahr den City-Bereich, was wiederum in Form einer Allgemeinverfügung definiert werden musste. Dem OB schwebt vor, ebenjene Verfügungen durch "CoDa" zielgenauer formulieren zu können und beispielsweise durch verstärkte Test- und Impfangebote dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken.

Ministerin Sinemus hofft, dass das Darmstädter Beispiel in anderen Kommunen Schule macht, wodurch erst eine "Kontextualisierung" der pandemischen Situation deutlich wird. "Wichtig ist, dass es zunächst diese Information überhaupt gibt", so Partsch, der "schwierige Konstellationen in Herbst und Winter" befürchtet.

Von André Heuwinkel