Wixhausen-Ost und Arheilgen-West kommen nicht. IHK warnt vor Vernachlässigung der ökonomischen Bedarfe. Mindestens ein Unternehmen droht abzuwandern.
Darmstadt. Mal gewinnt man, mal verliert man – und mal gilt beides, wie im Fall der je nach Perspektive verhinderten oder gescheiterten Gewerbegebiete Wixhausen-Ost und Arheilgen-West. Mit Blick auf das Überthema Klima- und Umweltschutz ist der außergewöhnliche Beschluss der Stadt Darmstadt ein wichtiges Signal. So vertritt es jedenfalls auch die Stadt, die im September den Abbruch aller Untersuchungen verkündete. Gleichzeitig gehen der Wirtschaft damit hektarweise ersehnte Flächen verloren – und der Stadt vielleicht erfolgreiche Unternehmen.
Einem Gespräch dieser Zeitung mit mehr als besorgten Fachleuten der Industrie- und Handelskammer Darmstadt Rhein Main Neckar (IHK) wohnte auch der Geschäftsführer von Logosys, Jürgen Reinhard bei: „Wir wollen, wir müssen wachsen”, und zwar um rund 150.000 Quadratmeter. Das in der Logistik- und der Pharmabranche tätige Familienunternehmen ist seit den Sechzigern in der Otto-Röhm-Straße aktiv, verdoppelte dann die Größe des Firmensitzes und errichtete 2015 ein bereits erweitertes Lager in Biebesheim. Nicht nur wegen der Nähe zum Pharma-Riesen Merck bleibt Darmstadt erste Wahl. Aber ohne Alternativen, zeitnah, werde Logosys, das auf einen Neubau setzt, abwandern. Was der Firma das Finden und Binden von Fachkräften, etwa im Ried, nicht leichter machte und Darmstadt Gewerbesteuer-Einnahmen in sechsstelliger Höhe kosten könnte.
Karte zeigt Darmstädter Gewerbegebiete – im Norden gab es noch Potenziale
Zur Begründung des Verzichts auf Wixhausen-Ost und Arheilgen-West hatte Planungsdezernent Michael Kolmer (Grüne) gesagt, dass „die ökologischen Kosten den ökonomischen Nutzen übersteigen würden“. Nun liegt es in der Natur der Sache, dass Umwelt und Wirtschaft nicht immer die gleichen Prioritäten setzen. Obwohl die meisten Unternehmen, so auch Logosys, längst Nachhaltigkeit als Kernaspekt berücksichtigen.
Hinzu kommt der immense Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Den brauchen die dringend benötigten Fachkräfte auch, weiß Susanne Roncka von der IHK. Zu ihren Themen zählt die Standortentwicklung. Sie will „gar nicht das Eine gegen das Andere ausspielen”. Aber oft, wie etwa im Verlegerviertel, komme bei Chancen für beides die Wirtschaft gar nicht zum Zuge. „Die zugeschlagene Tür des Autos eines Beschäftigten gilt als Gewerbelärm”, gibt Roncka ein Extrembeispiel dafür, wie schwierig auch die Anerkennung ist. Das fragliche Areal in Wixhausen gilt als Vorrangfläche für Landwirtschaft.
Die Stadt ist ein lebender Organismus
Der Leiter des IHK-Bereichs Unternehmen und Standort, Daniel Theobald, erklärt, worum es seiner Ansicht nach geht: „Potenziale zur Flächennutzung zu identifizieren und dann auch politisch dahinterzustehen”. Die viel beschworene Transformation und auch eine Expansion gelängen nicht im luftleeren Raum. „Die Stadt ist ein lebender Organismus”, aber die Dynamik könne nicht nur in eine Richtung weisen. „Was ich brauche, ist Verlässlichkeit”, sagt Theobald; „Stabilität”, ergänzt Reinhard.
Ein Umbau des Logosys-Bestands kommt nicht mehr infrage, würde auch mehr Geld und Zeit kosten. Allein der Wärmeverlust sei extrem bei einem „K-Wert wie ein offener Fallschirm”. Zudem stellen Pharma-Produkte höchste Hygiene-Ansprüche. Die kleinteiligen Gewerbegebiete, die Darmstadt jetzt noch bieten oder erschließen könnte, passen nicht zu den Plänen des Unternehmens, das im Umkreis von 50 Kilometern sichtet. Der Standort Darmstadt, bei dem Biebesheim mit eingerechnet ist, wuchs beständig und beschäftigt 200 Menschen; Tendenz steigend.
Bedarf von 140 bis 190 Hektar
„Für uns spielt Fracht eher eine untergeordnete Rolle”, will Reinhard das Negativ-Bild von Logistik geraderücken. So wie die IHK die überholte Assoziation Industrie und qualmender Schornstein. Der Geschäftsführer spricht von nur 10 bis 15 Lastwagen-Fahrten am Tag, wenig Geräuschen, wenig Emission. Verbraucher verglichen Logosys wie die ganze Branche fälschlicherweise mit Amazon und dessen Bedingungen. „Wir sind ja auch Großhändler, machen Umverpackungen” – beispielsweise Blister für Tabletten. Die ein gutes Beispiel seien wie das (Kinder-)Schmerzmittel Nurofen, was Vielen schnell fehlt, wenn die Logistik klemmt. Das kann auch schnell fatale Folgen haben, erinnert Reinhard an auf bestimmte Mittel eingestellte Krebs-Patienten.
Der fallengelassene Untersuchungsraum in Darmstadts Norden umfasste maximal 220 Hektar. Die Prognose des Instituts Cima in der städtisch beauftragten Gewerbeflächenbedarfsanalyse weist die Erfordernis von etwa 140 Hektar bis 2040 aus. Die IHK sprach nun schon von 150 bis 190 Hektar. Letzteres ergab sich als Brutto-Maximalwert, da je zirka ein Viertel der Gewerbeflächen aus Grünflächen bestehen sollte. Grün umrahmt ist auch die Vision von Logosys, das außerdem die Möglichkeit zur Kinderbetreuung bieten möchte. Jetzt braucht es eben noch den passenden Platz.