Leserimpuls: Ist Darmstadts Villenkolonie abgehängt?

Wohnhäuser mit Gärten prägen das Stadtbild in der Villenkolonie (hier die Heinrich-Delp-Straße). Weder Supermärkte noch kleine Läden gibt es in dem Viertel, beklagen Bewohner auch aus der angrenzenden Marienhöhe.

Die Eberstädter Villenkolonie und die Marienhöhe gelten als bevorzugte Wohnlage. Doch es gibt Bewohner, die empfinden das anders, wie der Leserimpuls in dieser Woche zeigt.

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Darmstadt. Noch weiß Petra Haberer nicht, wie viel Grundsteuer sie künftig zahlen muss. Aber die Eberstädterin ahnt: „Unsere Grundsteuer wird vermutlich höher werden.“ Denn sie lebt auf der Marienhöhe oberhalb der Villenkolonie, und die gilt, so merkt sie an, als gehobene Wohnlage. Doch für gerechtfertigt hält sie das nicht, denn sie empfindet das Wohnviertel als unterversorgt und „abgehängt“.

Als Haberers vor rund fünf Jahren dorthin gezogen sind, war das nicht geplant. „Wir haben vier Jahre lang nach einer etwas größeren Wohnung gesucht und nichts anderes gefunden“, erzählt die Rentnerin. Über Beziehungen seien sie an das Häuschen gekommen. Seither habe sich der Bodenrichtwert fast verdoppelt, weil das Quartier als bevorzugtes Wohngebiet gilt. „Aber nach welchen Maßstäben?“

Was sind die Kriterien für den Wohnwert eines Quartiers?

Diese Frage hat die Hausbesitzerin im Oktober bei der städtischen Online-Befragung „SeiDabei“ eingebracht: „Schön wäre es, wenn der Wohnwert durch Spielplätze, Treffpunkte, Tante-Emma-Läden, Cafés, Supermärkte oder Apotheken bereichert würde“, schrieb sie. Auch fehle eine Bushaltestelle, die eine Verbindung zum entfernt gelegenen Einkaufszentrum herstellt, und Leihautos wären auch wünschenswert.

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Die Wissenschaftsstadt als Betreiberin der Onlinebefragung aber lehnte Haberers Eingabe für eine weitere Bearbeitung ab. Begründung: Das Villenviertel sei dadurch gekennzeichnet, dass es im Grünen liege und viele Häuser einen Garten besäßen, ÖPNV-Haltestellen seien fußläufig erreichbar. „Für die Einrichtung von Cafés und Tante-Emma-Läden ist die Stadt nicht zuständig.“

Diese Reaktion fand die Eberstädterin enttäuschend. Sie findet, dass so ein Wohngebiet in Sachen Infrastruktur von der Stadt mehr gepflegt werden müsste. „Zur Bushaltestelle benötige ich bergab 15 bis 20 Minuten, bergauf fünf Minuten mehr“, stellt sie fest. Das sei gerade für größere Einkäufe zu beschwerlich. „Also nimmt man das Auto.“

Für alte Leute ist das hier ziemlich schwierig.

WV
Wolfgang Vogt Bewohner, Villenviertel

Petra Haberer ist nicht die Einzige, die das anmerkt. Auch Villenkolonist Wolfgang Vogt empfindet das Viertel zunehmend als unterversorgt. „Wir sind 1997 hergezogen, da war hier schon nichts“, erzählt er. „Aber da habe ich noch nicht die Tragweite gesehen, wenn man für alles wo hinfahren muss.“ Er nutze fast immer das Fahrrad, aber für größere Familieneinkäufe müsse er das Auto nehmen. Und das handhabe dort jeder so – im Übrigen auch in dem neu entstandenen Quartier Am Wolfhartweg, wo außer einer Kita nichts vorgesehen sei.

„Zur angestrebten Verkehrswende passt das nicht“, findet Vogt. Auch im Hinblick auf eine überalternde Gesellschaft sieht er Entwicklungsbedarf für mehr Nahversorgung. „Für alte Leute ist das hier ziemlich schwierig.“ Irgendwann müsse man sich wohl alles liefern lassen. Dabei wäre es aus seiner Sicht „eine stadtplanerische Sache, dafür Flächen vorzusehen“.

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Fragen Sie sich, wie die Müllgebühren zustande kommen? Ärgern Sie sich über einen nicht nachvollziehbaren Behördenakt oder ein Problem mit einem Dienstleister? In dieser Kolumne geht es darum, was Sie in Darmstadt bewegt. Ihre Leserimpulse nehmen wir donnerstags zwischen 15 und 17 Uhr unter der Telefonnummer 06151-3 87 29 33 auf und präsentieren sie an dieser Stelle.
Fragen Sie sich, wie die Müllgebühren zustande kommen? Ärgern Sie sich über einen nicht nachvollziehbaren Behördenakt oder ein Problem mit einem Dienstleister? In dieser Kolumne geht es darum, was Sie in Darmstadt bewegt. Ihre Leserimpulse nehmen wir donnerstags zwischen 15 und 17 Uhr unter der Telefonnummer 06151-3 87 29 33 auf und präsentieren sie an dieser Stelle. (© VRM)

Doch das sieht man bei der Stadt anders. Wie die Pressestelle auf Anfrage übermittelt, könne die Stadt selbst keine Läden betreiben und nur vermitteln zwischen dem Wunsch nach möglichst hoher Versorgungsdichte und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit für die Betreibenden. „Im Masterplan wird genauso wie im Einzelhandels- und Nahversorgungskonzept eine möglichst wohnortnahe Versorgung mit Lebensmitteln in den zentralen Bereichen der Stadtteile als Ziel formuliert.“

Keine Einkaufsmöglichkeiten in der Villenkolonie

Neben diesen Versorgungszentren könne es zwar ergänzend Supermarktstandorte geben, doch dafür sei eine dichte Wohnbebauung mit ausreichend Bewohnern notwendig. „Villengebiete erfüllen diese Voraussetzung in der Regel nicht“, heißt es. Und in der Villenkolonie, wo man 4278 Bewohner zählt, habe es auch in den letzten Jahrzehnten keine Einkaufsmöglichkeiten gegeben.

Das sieht Gert Winterhalter anders. „Ich selbst wohnte dort bis 1959 und erinnere mich noch sehr gut an die geradezu paradiesischen Zustände damals“, erzählt er und legt aus der Erinnerung eine Liste vor mit fünf Lebensmittelgeschäften sowie Gärtnereien, Schuhmacher, Schreibwarenladen und Postamt. „Es hat früher mehr kleine Läden gegeben“, weiß auch Stadtsprecher Klaus Honold. „Aber das ist nicht mehr das, was heute gefragt würde.“ Ein Laden müsse sich auch anders rechnen.

Und wie hier noch betont wird, ergebe sich für die Villenkolonie künftig mit neuen Einkaufsmärkten im Eberstädter Ortskern, der Lincoln-Siedlung und dem Ludwigshöhviertel eine Versorgung, die für ein solches Einfamilienhausviertel „nahezu einmalig ist“. Auf einen Bäcker um die Ecke indes muss Villenkolonist Vogt weiter verzichten – und sieht von frischen Brötchen mittlerweile ab, wie er noch erzählt: „Ich backe mir jetzt welche auf.“