Nilgänse in Darmstadt: Gans schön lästig

Ihr Gefieder ist schön, mehr Positives ist über die Nilgans kaum zu sagen. Am Herrngartenteich (links) wie an anderen Gewässern machen sich die aus Afrika stammenden Gänse breit und sind oft ausgesprochen unfreundlich zu Menschen und anderen Tieren.Archivfotos: André Hirtz, Guido Schiek

Sie machen sich breit im Herrngarten, am Woog, am Arheilger Mühlchen. Keiner kann sie leiden, diese Nilgänse. Darmstadt setzt auf Vergrämung, Bayern sieht sie als Wildbret.

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DARMSTADT. Sie haben hier eigentlich nichts verloren, sie machen Lärm, sind aggressiv, hinterlassen Dreck. Nilgänse bringen viele Menschen gegen sich auf. Grund genug, sich die Vögel einmal genauer anzuschauen.

Ihr Gefieder ist schön, mehr Positives ist über die Nilgans kaum zu sagen. Am Herrngartenteich (links) wie an anderen Gewässern machen sich die aus Afrika stammenden Gänse breit und sind oft ausgesprochen unfreundlich zu Menschen und anderen Tieren.Archivfotos: André Hirtz, Guido Schiek

Frühmorgens im Herrngarten, Mitarbeiter des EAD sind dabei, die Abfallkörbe zu leeren. Begleitet werden sie von lautem Protestgekreisch: Gleich mehrere Nilgänse machen lange Hälse und zetern herum. Ein Paar fliegt auf den Ast einer Buche und macht jeden an, der drei Meter unter ihnen vorbei will. Die Vögel gehen Städtern gehörig auf die Nerven – und dabei hat die Schwimmbadsaison noch gar nicht begonnen.

Nach Europa eingeführt als Zier- und Parkvögel

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Etwas „richtig Positives“ fällt auch dem Biologen Dr. Mario Ludwig aus Karlsruhe auf Anhieb nicht zu Nilgänsen (Alopochen aegyptiaca) ein. Natürlich habe jedes Tier, auch eine vermeintliche Problemgans, eine Existenzberechtigung. Aus menschlicher Sicht, so Mario Ludwig, sei sie dank ihrer Zeichnung immerhin ganzt hübsch. „Wenn man einigen Testessern trauen darf, schmecken sie auch ausgezeichnet.“

Und wirklich, eine kurze Recherche im Internet zeigt: Vor allem in Bayern gelten die knapp zwei Kilo schweren Gänse als hochwertiges Wildbret. Damit können zumindest Fleischesser Nilgänsen etwas positives abgewinnen. Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft hat dazu sogar ein Rezept parat: Eine Nilgans mit Wildkräutern. Äpfeln, Zwiebeln, Haselnüsssen und Feta füllen, mit Salz, Pfeffer und Zimt würzen, mit Apfelsaft angießen und in einem Bräter bis zu fünf Stunden bei 180 Grad Umluft garen.

Doch zurück zur Biologie: In ihrer ursprünglichen Heimat, in Afrika, siedeln sie vorzugsweise entlang von Flüssen und Seen, in Äthiopien sogar im Hochgebirge bis zu 4000 Höhenmetern.

Nach Europa wurden sie im 17. Jahrhundert als Zier- und Parkvögel eingeführt. Das erste Mal erfolgreich gebrütet haben Nilgänse 1967 in den Niederlanden. Es handelte sich damals um vier Exemplare, die aus einer Parkanlage in Den Haag ausgebüxt waren. 1972 brüteten dort sieben Paare, im Jahr 2000 waren es 4500, zehn Jahre später 10 000. Seither erobern sie West- und Mitteleuropa mit einer Schnelligkeit, die ihresgleichen sucht.

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Nilgänse bevorzugen parkähnliche Kulturlandschaften. Bei der Futtersuche nutzen sie Grünflächen und Äcker als Weide, sie gründeln aber auch wie Enten im Flachwasser und besetzen gerne auch die Nester von Störchen, Graureihern oder Krähen. Im Schnitt ziehen sie 4,7 Junge pro Jahr auf. Nach 30 Tagen schlüpfen die Küken, die übrigens auch sehr niedlich aussehen.

„Nilgänse gelten als sehr robust und auch als sehr anpassungsfähig“, sagt Mario Ludwig. Vermutlich profitierten sie von der Klima-Erwärmung und den dadurch immer wärmeren Wintern in Mitteleuropa. Auf landwirtschaftlichen Flächen sei zudem immer genügend Futter vorhanden.

Das Image der Gänse ist verheerend. Schon in „Brehms Tierleben“ kommen Nilgänse nicht gut weg. „Minder anziehend ist ihr Wesen“, schreibt der Zoologe Alfred Brehm (1829–1884). „Sie gehört zu den herrschsüchtigsten und boshaftesten Vögeln, welche es gibt.“ Die Stimme klinge sonderbar heiser und „verstimmt schmetternd“, wie Töne, welche mit einer schlechten Trompete hervorgebracht werden. Häufig klinge es wie „Kähk, kähk“ und „Täng, tängterrrrängtängtängtäng“.

Seit 2017 stehen Nilgänse, zusammen mit Waschbären, Marderhunden und Riesenbärenklau auf der EU-Liste der invasiven Tier- und Pflanzenarten – auch das ist alles andere als positiv zu sehen: Invasive Arten beeinträchtigen mit ihrer Ausbreitung Lebensräume, Arten und Ökosysteme und können damit der biologischen Vielfalt schaden.

Wie schädlich Nilgänse wirklich für die Umwelt sind, dazu gibt es jedoch keine Studien. Stattdessen gibt es viele Diskussionen, etwa über ihr erhöhtes Aggressionspotenzial gegenüber Vögeln, Hunden und Menschen. Biologen weisen darauf hin, dass Nilgänse lediglich versuchen, ihre Brut zu schützen – und durch ihr Revierverhalten sogar den Bruterfolg von anderen Arten verbessern können.

Unbestritten ist die Sache mit dem Kot, den sie überall hinterlassen, im Wasser, auf der Liegewiese. Er kann auch wirklich Salmonellen oder Eier von Saugwürmern enthalten – allerdings gilt dies auch für den Kot von allen anderen Wasservögeln.

Jagd am Großen Woog und Arheilger Mühlchen

In Darmstadt setzen die Verantwortlichen seit 2018 auf Jagd und Vergrämung. Ein Zaun auf der Insel im Großen Woog soll auch in diesem Jahr den Vögeln den Zugang zum Wasser verwehren. Außerdem wird am Arheilger Mühlchen und am Woog wieder Jagd auf Nilgänse gemacht, um ein Brüten zu verhindern. 2018 habe das Aufkommen von Nilgänsen durch diese Maßnahmen erfolgreich reduziert werden können, heißt es bei der Pressestelle der Stadt. Daraufhin seien heimische Tierarten wie Höckerschwan, Stockente, Haubentaucher und Blässhuhn vermehrt an den Woog zurückgekehrt.

Im Herrngarten wird nicht vergrämt und gejagt. Dort wird es also demnächst vermutlich ein paar junge Nilgänse mehr geben. Ob sich irgendwann ein natürliches Gleichgewicht einstellt? „Das ist schwer zu sagen“, sagt Biologe Mario Ludwig. „Möglicherweise gibt es in einigen Gebieten Verdrängungen, in anderen eine friedliche Koexistenz.“