Lyrik-Picknick in der „alla-hopp!“-Anlage

Kultur unter freiem Himmel: Die neue Bürstädter Lyrikgruppe „Lesen mit Herz“ und die Zuhörer im „alla hopp!“-Park hatten Glück, das auch das Wetter mitspielte.   Fotos: Gutschalk  Foto:

Hochzeitsglocken sind es nicht, welche am Mittwochabend vom Kirchturm aus bis zur „alla hopp!“-Anlage tönen. Und doch wird den Parkbesuchern schnell warm um die Brust,...

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BÜRSTADT. Hochzeitsglocken sind es nicht, welche am Mittwochabend vom Kirchturm aus bis zur „alla hopp!“-Anlage tönen. Und doch wird den Parkbesuchern schnell warm um die Brust, flattern Schmetterlinge im Bauch und muss so manches Tränchen unterdrückt werden, als der grüne Stadtgarten zwischen Rathaus und Altenheim mit großen, lyrischen Wortspielereien erfüllt wird. Die Premiere ist geglückt: Zum ersten Mal lud die frisch gegründete Bürstädter Lyrik-Gruppe „Lesen mit Herz“ zu einer Veranstaltung ein. Und welcher Ort wäre passender, als die Hochzeitsschaukel der „alla-hopp!“-Anlage, welches Thema geeigneter als Dichtungen von Liebe und Schmerz, die das Herz berühren?

Kultur unter freiem Himmel: Die neue Bürstädter Lyrikgruppe „Lesen mit Herz“ und die Zuhörer im „alla hopp!“-Park hatten Glück, das auch das Wetter mitspielte.   Fotos: Gutschalk  Foto:
Johanna Tausch (li.) und Renate Gayer reimten im Duett.  Foto:

Wie ein Lyrik-Picknick im Freien wirkt die Szenerie schon, bevor überhaupt der erste Vers gesprochen ist: Rote Herzballons und eine gut gelaunte Sonne lassen den Park im schönsten Licht erstrahlen, aus allen Richtungen kommen die Besucher, die auf den aufgereihten Holzbänkchen Platz nehmen. Vorne sitzen die Mitglieder der Lyrik-Gruppe in einer Runde: Monika Barmann, Renate Gayer, Christa Kilian, Johanna Tausch, Gabi Winkler und Siegfried Gebhardt, die ihrer Kleidung passend zum Abend mit einem roten Farbtupfer versehen haben. Wie auch der Moderator der 90-minütigen Lesung, Dr. Helmut Kaupe, auf dessen linker Brust ein kleines Plüschherz pocht beziehungsweise baumelt. „Es stand für und von Anfang an außer Frage, dass wir unsere Freude an der Lyrik nicht im stillen Kämmerlein genießen, sondern auch andere daran teilhaben lassen wollen“, erklärt der einstige Direktor der Erich Kästner-Schule.

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Ideen aus der Backstube

Nicht im stillen Kämmerlein, sondern in der Backstube entbrannte die Idee, ähnlich wie der Lorscher Leseschwarm auch in Bürstadt eine kulturelle Plattform für Lyrik und Literatur zu initiieren. Schnell fand Bäckermeister Siegfried Gebhardt Gleichgesinnte, nun galt es aus der Hülle und Fülle an Gedichten für die lyrische Taufe an der Hochzeitsschaukel die richtige Auswahl zu finden: Verse von Dichterriesen Johann Wolfgang von Goethe, Joachim Ringelnatz, Hannah Arendt, Wilhelm Busch, Erich Kästner oder Christian Morgenstern werden von den Bürstädter Lyrikfreunden Silbe für Silbe, Strophe für Strophe ruhig, harmonisch und voller Leidenschaft betont. Auch Lieder von Sarah Connor, MIA, Andreas Bourani oder Joris treffen mitten ins Herz. Nicht selten bleiben Passanten bei ihrem Spaziergang durch den Park stehen, und lauschen den vertrauten Zeilen.

Nicht nur die Dichter, auch die Erzählformen variieren: Mal reimen Johanna Tausch und Renate Gayer im Duett, mal gräbt die gebürtige Krieglacherin Gabi Winkler bei „Weils a Herz hast wie a Bergwerk“ von Reinhard Fendrich ihren niederösterreichischen Dialekt aus, dann wird es besonderes emotional, wenn die in Rosengarten lebende Dichterin Monika Barmann ganz persönliche Einblicke in ihr Schaffen gibt. „Wahre Liebe“ heißt eines ihrer bewegenden Gedichte, bei welchem sich zuvor bei ihrem Mann entschuldigt. Denn nicht von der Ehe handeln die Verse und Metaphern, sondern von der innigen und nicht immer einfachen Beziehung zu ihrem Garten – auch ein Geben und Nehmen.

Und auch wenn das lyrische Ich in den Gedichten oftmals trauert, eine unerfüllte oder verflossene Liebe beweint und eine melancholische Stimmung einnimmt, zieht sich wie ein roter Faden eine andere Gefühlsregung durch den Abend: der Humor. Vor allem dank eines viel rezitierten und doch eher unbekannten Dichters, der auch dem Namen nach zur Farbauswahl der Bürstädter Lyriker passt: Eugen Roth. Der machte schon früh auf die Vorteile einer bilingualen Erziehung aufmerksam. Auch in Sachen Liebe: „Denn sieh, die reizendste der Frauen / Naht sich voll lächelndem Vertrauen / Und sagt zu ihm errötend dies:

„- – – please?“ / Der Mensch, der sowas nicht gelernt / Hat hilflos stotternd sich entfernt / Was nützt – Moral von der Geschicht / Ein Engel, wenn er englisch spricht!“

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„Es war zauberhaft, herzlich und eine gute Mischung aus alten und neuen Gedichten. Alles wurde spritzig und erfrischend vorgetragen“, verspürt am Ende nicht nur Zuhörerin Elisabeth Wendel die Lust, einmal die alten Lyrikbänder im Bücherregal von ihrem Staub zu befreien und wieder einzutauchen, in die Welt der großen und kleinen, der ernsten und humoristischen Dichter, die das Herz berühren.