
Kreisspitze kritisiert „Versagen der Bundesregierung und Europäischen Union” in der Flüchtlingspolitik. Landrat sieht Gefahr, dass Integration scheitern könnte.
Kreis Bergstraße. „Die aktuelle Flüchtlingssituation ist fordernder als 2015”, betont Landrat Christian Engelhardt (CDU). Bei einem Pressegespräch gaben der Landrat sowie Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf (Grüne) Details zur derzeitigen Situation im Kreis Bergstraße bekannt. „Die Situation wird von Woche zu Woche kritischer”, so der Landrat. Die Bundesregierung und die Europäische Union versagen nach Ansicht der Kreisspitze dabei, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass der Landkreis seine Aufgabe wahrnehmen kann, die Menschen gut zu versorgen und zu integrieren.
Derzeit gibt es im Landkreis 2595 Asylbewerber. Rund 61 Personen werden dem Kreis Bergstraße aktuell wöchentlich zugewiesen. Im Jahr 2022 kamen insgesamt etwa 4000 Menschen. Davon etwa 2800 Flüchtlinge aus der Ukraine. Zwischenzeitlich waren rund 3800 Ukrainer im Kreis eingereist und registriert, manche zog es weiter. Noch immer kommen Menschen aus der Ukraine, gleichwohl stammen die Neuankömmlinge etwa zur Hälfte auch aus Drittstaaten, insbesondere aus der Türkei, Afghanistan, Syrien, Irak und Iran. „Die Menschen, die im Kreis ankommen, treffen in eine Situation, in der die Integration der Menschen, die 2015/2016 kamen, zu einem Teil noch nicht erfolgreich abgeschlossen ist”, so der Landrat. Zum Vergleich: Bei der sogenannten Flüchtlingswelle 2015 kamen knapp 1000 Flüchtlinge in den Landkreis.
Kapazitäten sind begrenzt
Vom Land Hessen gab es ursprünglich einmal die Zusage, dass nur Leute mit einer Bleibeperspektive in die Landkreise kommen sollen, erinnert der Landrat. Dem ist nun nicht so, bedauert Engelhardt. „Viele kommen ohne Bleibeperspektive und sind in Europa ungleich verteilt.” Obwohl diese Menschen eigentlich vom Staat wieder ausgewiesen werden müssten, würden sie am Ende geduldet. Schimpf und Engelhardt machten im Gespräch klar, dass sie zwar Verständnis für individuelle Schicksale hätten, die Kapazitäten und Möglichkeiten des Landkreises jedoch begrenzt seien.
Sei die Zeltstadt in Bensheim voll belegt (1000 Personen), koste sie den Kreis mehr als 800.000 Euro im Monat. „Es ist aber nicht nur eine Frage des Geldes”, so Schimpf, Dezernent für Ausländer und Migration. „Wir finden auch kein Personal.” Umso notwendiger sei es also, dass sowohl das vorhandene Personal als auch die räumlichen Ressourcen so genutzt würden, „dass wir diese Aufgabe bewältigen können”.
Wohnraum muss geschaffen werden
So fordert die Kreisspitze, dass die Aufnahme innerhalb Europas fairer verteilt sein müsste. Außerdem solle es ein schnelleres Verfahren geben, das Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, wieder schneller zurückführt. Dann könne man die Kapazitäten nutzen, um diejenigen, die langfristig im Landkreis bleiben sollen und werden, auch tatsächlich in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Auch verweist der Landkreis auf die Schwierigkeit des fehlenden Wohnraums. Es müsse neuer Wohnraum geschaffen werden. „Es sind einige tausend Menschen, die Wohnraum finden müssen. Das ist ein ganzer Ort im Odenwald”, so der Landrat. Auch das Wegziehen aus den Gemeinschaftsunterkünften gehöre zur Integration, betont Schimpf, nicht nur das Lernen der Sprache. Indes kommt hierzu noch die Problematik hinzu, dass auch andere Bewohner des Landkreises und der Metropolregion Wohnraum im Kreis suchen.
Neue Unterkunft in Groß-Rohrheim
Der Kreis will sich auf die Integration jener Menschen konzentrieren, die ein Bleiberecht haben, macht der Landrat deutlich. „Ansonsten laufen wir Gefahr, bei der Integration zu scheitern.” Dies sei einer der Gründe, weshalb man sich sowohl 2015 als auch jetzt gegen eine Unterbringung in Hallen oder öffentlichem Raum entschieden habe. „Das halten wir mit Blick auf die Gesellschaft für den falschen Weg”, sagt Engelhardt. Durch die Schließung von Hallen und öffentlichen Räumen werde die Arbeit von Vereinen und das gesellschaftliche Leben ausgebremst, doch gerade diese sind wichtige Pfeiler der Integration.
Im vergangenen Jahr kündigte der Kreis bereits an, dass die Unterbringungsmöglichkeiten ab 2023 nicht mehr gesichert sein werden. Die Rückmeldungen aus den Kommunen zu möglichen Unterkünften waren verhalten. Der Kreis selbst möchte sein Engagement für weitere Unterkünfte nun bald beenden. Ab dem 23. Januar werden im ehemaligen Indoorspielplatz „Känguruinsel” in Groß-Rohrheim rund 300 Personen aus der Ukraine unterkommen. Danach soll es nach derzeitigem Stand „eventuell noch eine neue Unterkunft” geben, die der Kreis unterhält. Ab dem Sommer will der Kreis dann den Kommunen Flüchtlinge zuweisen. Dazu habe man die Kommunen bereits informiert.