Autorin Stefanie Gregg stellt „Duft nach Weiß“ vor
Von Hans-Josef Becker
Stefanie Gregg liest in der Buchhandlung Bornhofen in Gernsheim aus ihrem Roman „Duft nach Weiß“, der in dem kleinen Dorf Radilovo in Bulgarien zu Zeiten des Kommunismus spielt. Foto: Vollformat/Alexander Heimann
( Foto: Vollformat/Alexander Heimann)
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GERNSHEIM - „Du weißt ja, dass ich Bulgare bin.“ Es war ein Lagerfeuer mit Kindern, als ein Mann Stefanie Gregg ansprach. Sie wusste es nicht, ist aber neugierig. Nachdem sie die halbe Nacht die Lebensgeschichte des Mannes gehört hatte, machte sie aus ihm das Mädchen Anelija und aus seiner Geschichte einen Roman: „Duft nach Weiß“. Aus ihrem „Herzensbuch“ las die Schriftstellerin in der Buchhandlung Bornhofen.
Das Schicksal der Zwölfjährigen geht so: Majka (Mama) Nadja verlässt ihre Heimat, um mit einem Deutschen zu leben. Also wächst ihre Tochter bei Oma Baba und Uroma Baba Milena auf. Anelija will vergessen, doch ein mütterlicher Brief aus Deutschland verhindert das: „Deutschland. Hatte ich von diesem Land schon vorher gehört? Ich weiß es nicht mehr. Das wurde das Wort, das mir alles verheißen sollte, was ich nicht hatte. Deutschland, weiß wie das Papier.“
Mit Bulgarien eine neue Welt erschlossen
Stefanie Gregg berichtet von ihren Recherchen: „Ich habe mir mit Bulgarien eine neue Welt erschlossen.“ Die Geschichte um Anelija hatte sie im Kopf, suchte ein passendes Dorf dazu, fand es schließlich – per Augenschein – in Radilovo, 150 Einwohner, kleine Schule, Wald. Ihre Zuhörer begeisternd erzählt die Autorin, wie auf der Reise dorthin ihre Fantasie wahr wurde. Mit ihrem Lachen gewinnt sie ihr Publikum – na ja, hat sie doch über „Das Lachen“ promoviert.
ZUR PERSON
Stefanie Gregg, geboren 1970 in Erlangen, studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften. Sie promovierte über „Das Lachen“.
Ihren beruflichen Einstieg hatte sie im Bereich Bucheinkauf bei Bertelsmann. Als Unternehmensberaterin arbeitete sie dann bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney mit Schwerpunkt Medien.
Nach freier journalistischer Arbeit und der Publikation mehrerer Fachbücher widmet sie sich, neben ihrer freien Lehrtätigkeit, nahezu ausschließlich der Belletristik.
Mit ihrer Familie wohnt sie in der Nähe von München. (red)
Einen zweiten Erzählstrang führt Gregg ein, als ihre Protagonistin zufällig eine Übertragung von Radio Free Europe (RFE) aus London aufschnappt: Georgi Markow macht sich über den bulgarischen Diktator Todor Schiwkow lustig. Der regimekritische Schriftsteller hatte aus der Heimat fliehen müssen, wollte aber nicht schweigen. Zuvor hatte Schiwkow versucht, ihn an sich zu binden. „Diktatoren umgeben sich gerne mit der Intelligenzija“, meinte die Autorin, „wenn es nicht klappt, zensieren sie – siehe Türkei“. Der Hinweis auf die beklemmende Aktualität des Buches leuchtet ein.
„Duft nach Weiß“ erzählt die wahren Ereignisse des 7. September 1978 romanhaft nach. Es war der Tag, an dem Markow auf Geheiß des bulgarischen Diktators und unter Hilfe des russischen Geheimdienstes vergiftet wurde – mit einem mit hochgiftigem Rizin präparierten Regenschirm. Der Fall wurde in Druckwerken nacherzählt und verfilmt. Der mutmaßliche Mörder wurde viele Jahre später von einem deutschen Journalisten in Österreich aufgespürt, berichtete Gregg, und lebe heute wohl unbehelligt in Slowenien. 2016 habe sie während der Buchmesse einen früheren Kollegen Markows von RFE getroffen: „Das Verbrechen ist noch nicht gesühnt.“
Besser ergeht es der inzwischen großen Anelija, die, mit der Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben in das Verheißungsland Deutschland gekommen, mit Enno die Liebe findet. Es ist sehr reizvoll, wie Gregg zwischen den Schauplätzen der vielschichtigen bulgarischen Geschichte und den bisweilen sehr berührenden Spielorten des im Drei-Frauen-Haus groß gewordenen Mädchens wechselt. Es ist ein großartiges Buch über ein unbekanntes Land. Je mehr der Leser in die verschiedenen Ereignishorizonte eindringt, desto mehr versteht er von einer Welt, in der die Zeit stehen geblieben scheint. Und er lässt sich von der Neugierde auf das Ende mitreißen. Der letzte Satz ist womöglich das Programm des Buches: „Im Namen der Freiheit“.