
Am GPR-Klinikum Rüsselsheim erhalten Betroffene von sexuellem Missbrauch vertrauliche ärztliche Hilfe und Versorgung – ohne Anzeige bei der Polizei erstatten zu müssen.
Rüsselsheim. Sexuelle Gewalt ist kein Einzelschicksal, sondern ein gesellschaftliches Problem, das noch immer tabuisiert wird. Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet für das Jahr 2021 mehr als 9900 Fälle von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellem Übergriff in Deutschland. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Oft ist die Scham zu groß, was auch damit zusammenhängt, dass die Täter größtenteils Partner, Ex-Partner oder Bekannte sind. Die Opfer haben Angst, dass ihnen nicht geglaubt oder ihnen die Schuld für die Tat zugeschrieben wird.
Mit der bundesweiten Initiative „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ sollen Versorgungsstrukturen geschaffen werden, die vergewaltigten Frauen die Zugangswege zu einer guten medizinischen Versorgung und auf Wunsch zu einer Befundsicherung erleichtern. Durch die enge Vernetzung von Kliniken, niedergelassenen Praxen, Rechtsmedizin, Verwaltung, Politik und Hilfesystem sollen Hürden abgebaut werden.
Tätliche Gewalt ist ein Tagesgeschäft.
Im Kreis Groß-Gerau beteiligt sich derzeit das GPR-Klinikum Rüsselsheim an der Initiative. Mehrere Banner im Stadtgebiet fordern Betroffene mit der Aufschrift „Eine Vergewaltigung ist ein medizinischer Notfall. Im Krankenhaus erhalten Sie Hilfe. Vertraulich” zum Handeln auf. Stefan Münch ist leitender Arzt in der Notaufnahme des GPR-Klinikums. „Tätliche Gewalt ist ein Tagesgeschäft”, sagt er. Opfer einer Vergewaltigung versorge die Notaufnahme zum Glück seltener, was aber daran liegen könne, dass sich nur wenige von ihnen im Krankenhaus behandeln lassen, ist Münch die hohe Dunkelziffer bewusst.
Größtenteils seien Frauen betroffen, aber auch Männer können Opfer sexueller Gewalt werden. „Die Notaufnahme ist die erste Anlaufstelle, dort kümmern wir uns medizinisch um sie”, macht Münch das Beispiel an einer Frau fest. Der Anmeldebereich kann mit einer Glastür verschlossen werden, was den Datenschutz sicherstelle, aber auch den Patienten Privatsphäre gebe.
Zeitnahe Versorgung nach einer Vergewaltigung
Die Versorgung nach einer Vergewaltigung sollte möglichst zeitnah erfolgen – bis zu drei Tage nach der Tat –, rät die Initiative.„In den ersten Stunden und Tagen nach der Tat können die meisten Verletzungen und Spuren festgestellt werden. Damit können belastende Spät- oder Langzeitfolgen begrenzt werden.”
Wer angibt, sexuelle Gewalt erfahren zu haben, müsse nicht im Wartebereich sitzen, sondern warte bis zur medizinischen Untersuchung in einer gesonderten Kabine, wo sich die Patientin geschützt und wohlfühlt. „Wir rufen dann die Frauenklinik an, von dort kommt eine Gynäkologin, die die Patientin frauenärztlich untersucht.” Verletzungen werden dokumentiert, aber erst auf Wunsch des Opfers zur juristischen Bearbeitung an die Polizei übermittelt. „Wir unterliegen der Schweigepflicht”, betont Münch. Es bestehe keine Anzeigepflicht für die Ärzte. Dennoch sei es wichtig, dass die Täter polizeilich und juristisch verfolgt werden, findet Münch. Weshalb die Ärzte dazu rieten, den Fall der Polizei zu melden.
Pychologische Beratungsstellen helfen weiter
Bevor die Patientin die Klinik verlässt, erhalte sie Informationen über Beratungsstellen, wo sie sich psychologische Hilfe holen kann. Im Kreis Groß-Gerau ist der Verein „Frauen helfen Frauen” mit Büros in Groß-Gerau und Rüsselsheim eine erste Anlaufstelle, geholfen wird den Betroffenen aber auch über das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen”.
Die Initiative „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ informiert ausführlich auf der Webseite www.soforthilfe-nach-vergewaltigung.de über die ärztliche Untersuchung und Behandlung sowie medizinische und psychologische Anlaufstellen.