Droht in der Energiekrise den Elektroautos der Stillstand?

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Die Entega AG, Grundversorger in Darmstadt und Mainz, sieht derzeit keine Gefahr einer Überlastung der Netze. Foto: dpa

Befürchtete Stromausfälle beim Nutzen von Heizlüftern werfen Fragen auf – auch beim Thema Mobilität. Wie bereiten sich andere Länder vor?

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BERLIN/DARMSTADT/MÜNCHEN. Der Bundeswirtschaftsminister versucht zwar zu beruhigen. Andere auch. Ein Strom-Blackout werde es über den Winter nicht geben, heißt es. Also einen großflächigen Ausfall. Die intransparente Gemenge- und Informationslage beim Thema Energie, wo Gas die Schlagzeilen beherrscht, lässt gleichwohl viele Verbraucher zweifeln, dass Einschränkungen ausbleiben.

Und beunruhigt natürlich auch all jene, die ein Elektroauto fahren. Zur großen allgemeinen Verunsicherung, ob es hierzulande trotz der Preisexplosion bald auch an Elektrizität mangelt, haben zuletzt die Stadtwerke Wiesbaden maßgeblich beigetragen. Wenn im Winter das Gas spärlicher fließen sollte und kalte Wohnungen drohen, so die Befürchtung, könnte die massenhafte und vor allem gleichzeitige Nutzung von Heizlüftern oder Konvektoren schnell zu einer Überlastung der Stromnetze führen. "Und damit zu unkontrollierbaren Stromausfällen." Punktuell zumindest.

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Aber wenn schon die kleinen elektrischen Wärmespender, die dem Handel zuletzt aus den Händen gerissen wurden, derlei bewirken können, was ist es dann erst mit E-Autos hierzulande, die viel Leistung aus dem Netz zapfen? Muss der Wagen wegen des leeren Akkus dann stehenbleiben? Denn Elektroautos werden vor allem daheim geladen und abends, weniger an den öffentlichen Ladepunkten, deren Ausbau bekanntlich ohnehin hinterherhinkt. Jede zweite Kommune in Deutschland habe derzeit keine einzige Ladesäule, so Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Für die aktuellen Standorte "können wir aber ausreichend Leistung bereitstellen", heißt es zuversichtlich beim Versorger Entega. Während EnBW und Eon Engpässe für Autostrom in Ballungsgebieten nicht ausschließen wollen.

Viele melden ihre Wallboxen nicht bei Netzbetreibern an

Bei alldem gibt es offenbar ein ganz anderes, ernstes Problem: Sogenannte Wallboxen in der eigenen Garage müssen zwar von den Vebrauchern beim Netzbetreiber angemeldet werden. Aber nach Angaben des Versorgers EWE unterlassen das viele. EWE spricht von 20.000 "schwarzen" Boxen in deren Netzgebiet. Der Branchenverband BDEW (Berlin) von schätzungsweise 30 Prozent bundesweit. Damit fehlen wichtige Informationen, wo das Netz zu schwach ausgelegt ist, wo investiert werden muss. Das könne dann unweigerlich zu Engpässen und Versorgungsausfällen führen, heißt es.

Die Entega AG, Grundversorger in Darmstadt und Mainz, sieht derzeit dennoch keine Gefahr einer Überlastung der Netze. Wie ein Sprecher sagte, seien auch die Prognosen in Sachen Heizlüfter "weniger dramatisch, als das andere Kollegen einschätzen." Gleichwohl führen die Betreiber der großen Übertragungsnetze im Auftrag des Wirtschaftsministers einen weiteren Stresstest durch, per Computermodell mit verschiedensten Szenarien.

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Andere Länder wie die Niederlande sind zumindest in einigen Punkten schon weiter. Sie locken Verbraucher mit intelligenten Stromtarifen - was entsprechende Zähler bedingt -aus den Ladestoßzeiten. Was smarter ist als die Lösung in Großbritannien, wo das Laden von E-Autos seit Mai stundenweise unterbunden wird, wenn Überlastungen drohen. Per Fernzugriff fließt dann zwischen 8 und 11 sowie 16 und 22 Uhr kein Strom. "Spitzenglättung" heißt derlei hierzulande. Ein anderes Wort für Zwangsabschaltung. Ähnliche Pläne sind in Berlin zunächst in der Schublade verschwunden, wohl auch um die Verkehrswende nicht zu torpedieren. Künftig aber ist es möglich, in die private Ladeinfrastruktur einzugreifen, den Strombezug temporär zu reduzieren und so die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen dazu stehen (Reform § 14a des Energiewirtschaftsgesetzes). Die Bundesnetzagentur muss die Regelung nun konkret ausgestalten. Die genaue Umsetzung ist noch offen.

Wer freilich "netzdienlich" Strom lädt, also dann, wenn wenig Elektrizität gebraucht wird, der muss natürlich belohnt werden: über niedrigere Tarife und damit Kosten. Der logische nächste Schritt ist aber noch echte Zukunftsmusik: E-Autos als Energiespeicher zu nutzen, wenn Wind und Sonne um die Wette produzieren - und bei Engpässen. Bei solchen bidirektionalen Konzepten, die als ein Baustein zur Problemlösung gelten, würde dann Strom vom Auto abgegeben. Das steht statistisch ohnehin 23 Stunden nur herum, ist also ein idealer Puffer in einem digitalen und flexibel steuerbaren Verbund. Wobei die Autoeigner nicht völlig entmündigt werden sollen. Sie müssen nur angeben, wann der Akku wieder voll sein muss. Oder geben lediglich einen Teil der Kapazität fürs Netz frei.

Stromer (BEV) vs. Plug-In-Hybride (PHEV)

Wie viel Strom landet in der Region denn überhaupt in Autoakkus? In Hessen sind von 2,4 Millionen angemeldeten Pkw rund 56.000 reine Stromer (BEV) und fast ebenso viele Plug-in-Hybride (PHEV). In Rheinland-Pfalz sind von 1,7 Millionen Pkw etwa 30.000 BEV-Wagen, 26.000 PHEV. Eine Netzüberlastung aber sei jedoch erst ab einer Quote von 30 Prozent zu erwarten, so Günter Fuhrmann, Geschäftsführer vom Ladespezialisten Mer Solutions (ehemals eemobility, München). Bei deutschlandweit 48 Millionen Pkw wären das rund 14 Millionen Stromer. Aber es gibt eben viele Risiken. Die auch deshalb aktuell wachsen, weil im europäischen Stromverbund viele französische Atommeiler aufgrund von Revisionen nicht am Netz sind.

Das hiesige Stromnetz gilt zwar als das Sicherste in Europa, aber dennoch spukt ein Horror-Winter in den Köpfen umher. Abzulesen auch daran, dass die Nachfrage nach Notstromaggregaten bei Privaten gestiegen ist wie auch nach leistungsstarken Stromspeichern, die sich über Solarpanels zu Hause aufladen lassen. So ist die Mikrowelle zu betreiben. Einige Stunden auch der Gefrierschrank oder PC oder Heizlüfter. Rund 1000 Euro müssen freilich investiert werden; für Camping oder Outdoor lassen sich solche Geräte natürlich ebenfalls bestens nutzen. Falls zu Hause dann doch immer Strom aus der Dose kommt im Winter 2022/23. Was momentan niemand mit letzter Sicherheit weiß.

Von Achim Preu