Es könnte bereits einen Omikron-Impfstoff geben – warum ist er noch nicht verfügbar? Wir liefern Hintergründe, was die Zulassungsbehörde und das Virus selbst damit zu tun haben.
MAINZ/AMSTERDAM. Die Corona-Sommerwelle ist zwar gebrochen, doch die Expertenwelt hält eine neue Welle ab dem Herbst für möglich. Welche Corona-Varianten werden im Fall der Fälle dann im Umlauf sein? Noch immer die aktuell dominierende Omikron-Unterversionen BA.5? Verlässliche Aussagen kann niemand treffen. Fest steht aber, dass die Omikron-Variante BA.1 mittlerweile von der Bildfläche verschwunden ist. Darüber hinaus hat die Weltgesundheitsorganisation bereits eine komplett neue Omikron-Version ins Visier genommen. Und nicht zuletzt könnte ein Omikron-Impfstoff bereits zu haben sein, wenn denn über seine Zulassung entschieden worden wäre.
Wie vielen Impfstoffdosen droht die Vernichtung? Wie diese Zeitung aus Branchenkreisen erfuhr, liegen der EMA seit etwa vier Wochen alle erforderlichen Daten des Biontech-Impfstoffes gegen die Omikron-Variante BA.1 vor. Der nach Angaben des Mainzer Unternehmens auch gegen Omikron-Sublinien BA.4 und BA.5 wirkt, wenn auch deutlich schwächer. Wie es in der Branche weiter heißt, könnte die europäische Zulassungsbehörde EMA in wenigen Wochen, sofern die Daten überzeugen, den Impfstoff zulassen. Und womöglich hätte es noch schneller gehen können, denn wie schon beim ersten Corona-Impfstoff hat Biontech auf eigenes Risiko in großem Stil vorproduziert. Einen Bericht des Spiegels, wonach 100 Millionen Dosen dieses Impfstoffes auf Halde liegen, können Insider zwar nicht bestätigten, aber es dürften zumindest deutlich mehr als 50 Millionen Dosen sein.
Was wollen die Zulassungsbehörden? Seit März/April seien die Dosen verfügbar, ist zu hören. Doch die EMA hat offensichtlich kein Interesse mehr an einem auf BA.1 zugeschnittenen Vakzin. Man erwarte „einen Antrag für den von Pfizer/Biontech entwickelten, an BA.4/5 angepassten Impfstoff, der für eine mögliche rasche Zulassung im Herbst bewertet werden wird“, erklärte die Behörde zuletzt. Vom BA.1-Impfstoff kein Wort. Auch die zuständige US-Gesundheitsbehörde FDA empfiehlt einen Impfstoff, der speziell gegen jüngsten Omikron-Untervarianten wirkt. Entsprechend arbeitet Biontech nun mit Hochdruck an einem Vakzin, das speziell die Subvarianten BA.4 und BA.5 aufs Korn nimmt. Anfang August hat man die klinischen Tests gestartet, bereits im Oktober erwartet man eine Zulassungsentscheidung der EMA.
Wie aus EU-Kreisen zu erfahren war, sind die EU-Mitgliedsstaten gerade dabei, ihre Bestellungen für die kommenden Wochen zu verschicken, dabei sollen auch Lieferaufträge für den BA.1-Impfstoff sein. Das Vakzin könnte im Falle einer jetzt zügigen Zulassung also noch zumindest zum Teil verimpft werden, doch in welchem Maße, steht in den Sternen. In Fachkreisen wird es jedenfalls für gut möglich gehalten, dass Biontech einen (großen) Teil der vielen Millionen Impfstoffdosen vernichten muss.
Was würde ein BA.1-Impfstoff überhaupt bringen? Doch was brächte der BA.1-Impfstoff überhaupt noch? Wie er gegen BA.4 und BA.5 wirkt, dazu liegen noch keine genauen Daten vor. Häufig wird angenommen, dass er gegen die neuen Omikron-Varianten nichts ausrichten kann. Dem widerspricht Biontech. Wie die Mainzer mitteilten, bieten die beiden vom Unternehmen entwickelten BA.1-Impfstoffkandidaten auch einen Schutz vor den Sublinien BA.4 und BA.5: In einem Labortest mit Seren von Probanden seien BA.4 und BA.5 effizient neutralisiert worden. Allerdings seien die Antikörpertiter – das ist ein Maß für die Anzahl der Antikörper im Blut – ungefähr dreimal niedriger gewesen als bei der Wirkung gegen die BA.1-Version. Heißt: Laut Biontech wirkt der BA.1-Impfstoff auch gegen BA.4 und BA.5, allerdings deutlich schwächer.
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Wie lautet das große Ziel im Kampf gegen Corona? Doch auch beim BA.4/BA.5-Impfstoff stellt sich die Frage: Was kann er überhaupt bewirken? Denn das Virus könnte erneut schneller sein als die Entwicklungsabteilungen der Pharmafirmen. Im Mai wurde in Indien nämlich die Omikron-Variante BA.2.75 entdeckt, die bei der Weltgesundheitsorganisation WHO wie schon weitere Omikron-Versionen unter Beobachtung steht. Und sie bereitet Experten Sorgen, weil, so die Pharmazeutische Zeitung, „das potenzielle Risiko von BA.2.75 für die globale Gesundheit größer sein könnte als das von BA.5.“ Deshalb forcieren Regierungen und Zulassungsbehörden die Entwicklung von Universalimpfstoffen, die gegen möglichst viele Varianten, im Idealfall gegen alle Corona-Viren und Versionen wirken und andauernde Booster überflüssig machen. Auch hier laufen die Forschungen auf Hochtouren, eine Reihe von Unternehmen ist dran.
Dazu gehört auch Biontech, die in dieser Sache Ende Juli den Beginn klinischer Test der Phase zwei von dreien vermeldeten. „Zur Untersuchung der Sicherheit, Verträglichkeit und Immunogenität eines mRNA-basierten Impfstoffkandidaten der nächsten Generation“, wie es hieß. Man verfolge eine „langfristige Covid-19-Impfstoffstrategie, um potenziell robustere, länger anhaltende und breitere Immunantworten gegen SARS-CoV-2-Infektionen und damit verbundene Covid-19-Erkrankungen hervorzurufen“.