BUCHTIPP
Eckard Michels: Schahbesuch 1967 – Fanal für die Studentenbewegung. Chr. Links Verlag, 360 Seiten, 25 Euro.
BERLIN - Historiker Eckard Michels (54) ist Experte für deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert und lehrt am Birkbeck College der University of London. Kürzlich erschien sein neues Buch „Schahbesuch 1967“ – eine Betrachtung der Geschehnisse im Frühsommer 1967, die mit differenzierten Urteilen besticht.
Herr Michels, der 2. Juni 1967 gilt als Schlüsselmoment der deutschen Nachkriegsgeschichte. Warum ist „1968“ zum Schlagwort geworden und nicht „1967“?
Das Jahr 1968 war der Höhepunkt der Studentenbewegung und stand im Zeichen internationaler Proteste – auch wenn es in Deutschland schon 1967 losging. Hinzu kommt: Ein Spaltprodukt von 1967 ist nun mal der Linksterrorismus, das führt zu Kollisionen in der Erinnerungskultur. Man sieht es ja derzeit in den Buchläden: Es gibt deutlich mehr aktuelle Veröffentlichungen zur RAF als zum 2. Juni. Die Verlage sehen 2017 vor allem unter dem Gesichtspunkt 40 Jahre Deutscher Herbst und halten vermutlich publizistisch das Pulver für 2018 trocken, um sich dann dem 50. Jahrestag „1968“ zu widmen.
Hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen, hätte der Polizist Kurras nicht geschossen?
Letztendlich war der Zwischenfall in der Krummen Straße bloß Katalysator für längst existierende Strömungen in der jungen Bundesrepublik. Es hätte „68“ auch gegeben ohne Ohnesorg. Womöglich hätte sich in der Wahrnehmung der Blick nicht ganz so verengt auf die Figur Rudi Dutschke und den Schauplatz West-Berlin.
Der 2. Juni als Geburtsstunde der RAF – eine korrekte Sichtweise?
Ein linker Kern der Studenten hätte sich auch so radikalisiert und ein kleiner Teil wäre wohl auch in den Terrorismus abgedriftet. Offenbar haben Gudrun Ensslin und andere im Rückblick nach Bezugspunkten gesucht. Dies vor dem Hintergrund späterer Erlebnisse, des Frankfurter Kaufhausbrand-Prozesses, der Schüsse auf Dutschke. Menschlich ist das verständlich. Die Psyche sucht sich solche Orientierungslinien.
In Teilen der Linken hält sich bis heute die Überzeugung, das harte Einschreiten der Polizei gegen die Demonstranten vor der Oper sei von langer Hand geplant gewesen.
Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Dagegen spricht schon, dass die Sicherheitsvorkehrungen bei den anderen Stationen des Schahbesuchs in Westdeutschland, etwa in München und Köln, deutlich schärfer waren. Durch Betrachtung allein der Ereignisse in West-Berlin wie unter einer Käseglocke entsteht ein verzerrtes Bild. In der Gewaltorgie vor der Oper entluden sich Frustrationen und Aggressionen, die sich in den Wochen und Monaten vorher auf Seiten der Polizisten aufgestaut hatten – das ist meine Interpretation.
Ein frühes Beispiel also für gezielte Legendenbildung in der linken Szene?
Schon am Vormittag des 3. Juni hatte die studentische Linke diese Version parat. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht mal klar, dass Ohnesorg erschossen wurde, geschweige denn, unter welchen Umständen. Ich würde aber nicht von einer bewussten Falschdarstellung sprechen. Es war ein Eindruck, der unter dem Schock der Ereignisse und der Empörung über die polizeiliche Brutalität zustandekam und sich einfügte in die Denkschemata führender Studentenvertreter.
Seit 2009 wissen wir: Kurras war ein DDR-Spitzel. Seitdem kursiert auch die Vermutung: Am 2. Juni hatte die Stasi die Hände im Spiel.
Es wäre völlig absurd: Kurras hatte zuvor nie auf einen Menschen geschossen, wurde nur zur Beschaffung von Informationen benutzt. Eine Beteiligung der Stasi anzunehmen, ist eine rückblickende Rationalisierung aus der Kenntnis heraus: Der 2. Juni ist ein Kristallisationspunkt der deutschen Geschichte. Damals war jedoch gar nicht klar, wie sich die Dinge weiterentwickeln würden. Die Unruhen hätten auch versanden können. Die Stasi musste außerdem die Enttarnung Kurras’ befürchten. Dass sich Agenten auffällig verhalten, war das Letzte, was die Stasi wollte. Im Übrigen finden sich in den Akten keine Belege für eine Einflussnahme der Stasi am 2. Juni – im Gegenteil. Letztendlich führte die Enthüllung 2009 auf eine falsche Fährte.
Demnach liegt die Erklärung für die Tat allein in der Person des 2014 verstorbenen Kurras begründet?
Und in der klaustrophobischen, gewaltschwangeren Situation auf dem Parkhof in der Krummen Straße. Es gibt ja durchaus Hinweise darauf, dass Kurras dort physisch angegangen wurde. Ich habe keinerlei Sympathie für diesen Mann. Aber vielleicht war er in der Situation einfach überfordert und hat überreagiert.
Das Interview führte Frank Schmidt-Wyk.