FRANKFURT - Doch, sagt Karl Ove Knausgård, der letzte Satz des Buches ist wahr. „Auf dem ganzen Weg werde ich den Gedanken genießen, dass ich kein Schriftsteller mehr bin.“ Dabei hat sein Romanzyklus „Mein Kampf“ ja gerade erzählt von dem Ringen darum, als Schriftsteller Anerkennung zu finden. Am Ende des sechsten Bandes aber tritt der Künstler ab. Knausgård liest die Passage im Stehen, leicht nach vorne gebeugt, der Oberkörper schwankt über den feststehenden Beinen, die rechte Hand hält das dicke Buch, die linke nestelt am Hosenbund. Plötzlich ahnt man in seiner Haltung die Anstrengung, nicht nur dieses Leseabends im ausverkauften Frankfurter Schauspielhaus, sondern des gesamten literarischen Vorhabens, obwohl er es ja schon 2011 abgeschlossen hat. In dieser Woche ist „Kämpfen“ in der deutschen Übersetzung von Paul Berf und Ulrich Sonnenberg erschienen, der sechste und letzte Band des Romanzyklus’.
Schonungslos gegen sich und gegen andere
Klar, Knausgård schreibt weiter Essays und Zeitungsartikel, im Herbst bringt der Luchterhand-Literaturverlag die ersten beiden der vier „Jahreszeiten-Bände“ heraus, angekündigt als „Liebeserklärung an das Leben und die Familie“. Aber das radikale Selbsterfahrungsprojekt, dem Knausgård sich ausgesetzt hat, schonungslos gegen sich selbst und auch gegen viele andere Menschen, nicht zuletzt seine engsten Angehörigen, ist unwiederholbar auserzählt. Man könnte auch sagen: Das therapeutische Schreiben war erfolgreich. Große Literatur ist außerdem entstanden. Sie ist auch deshalb so erfolgreich, weil sie das romantische Bild des unter Schmerzen schaffenden Künstlers trifft und zugleich durchkreuzt. Mehrmals, erzählt Knausgård, hat er unter Tränen die letzte Passage des Buches geschrieben, den Besuch in der Klinik bei seiner Frau, die eine schwere psychische Erkrankung durchlitt.
Die Offenheit dieser Lebenserzählung, die Bereitschaft, das Intime zu entblößen und zur Geschichte zu machen, die Schärfe der Analyse war nicht nur für Knausgård eine Strapaze. Sie hat auch seine Mitmenschen getroffen, seine Frau, die Angehörigen des Vaters, die das Bild des verkommenen Trinkers verleugneten. Knausgård war wirklich überrascht von den heftigen Reaktionen der Familie, erzählt er im Gespräch mit dem Journalisten Alf Mentzer. Er hatte beim Schreiben nicht nach den Konsequenzen gefragt, auch ästhetisch war es ja das Prinzip, sich von Konventionen zu befreien, auch von den Erwartungen an sich selbst. Knausgård arbeitete schnell. Einfach schreiben, nicht lange nach der literarischen Qualität fragen, nicht lange grübeln.
So hat Knausgård es geschafft, in der eigenen Geschichte eine größere zu finden, die viele Leser bewegt: Das Verhältnis des Menschen zu seiner Welt, das Erfahren der Spannungen und Grenzen. Und auch die Auseinandersetzung mit dem Abgründigen. Fast 500 Seiten seines neuen Romans hat Knausgård einem Essay über Hitler gewidmet. Der vom Schauspieler Isaak Dentler gelesene Auszug klingt wie eine aktuelle Anspielung, es geht um die Macht der Propaganda und die wirkungsvolle Kunst der Lüge. Mentzer will auf Donald Trump zu sprechen kommen, aber Knausgård widerspricht. Gegen den amerikanischen Präsidenten gibt es ja öffentlichen Widerstand.
Sein Sohn, erzählt er, habe geweint, als er vom Wahlausgang in den USA hörte. Aber er hat ihn getröstet mit einer Gelassenheit, die auch als Summe seines Romans bezeichnet werden könnte. „Es gibt mehr gute als böse Menschen, mehr kluge als dumme.“