SWR-Intendant Gniffke: Mantel für alle Dritten Programme?

Der Intendant des Südwestrundfunks (SWR) und künftige ARD-Vorsitzende, Kai Gniffke. Foto: dpa

SWR-Intendant Kai Gniffke soll am Mittwoch zum Vorsitzenden der ARD gewählt werden. Im VRM-Interview sprach er über die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

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MAINZ. Der Intendant des Südwestrundfunks (SWR) und künftige ARD-Vorsitzende, Kai Gniffke, erklärt im Interview, wie für ihn die Zukunft der Dritten Programme in der Senderfamilie aussieht.

Herr Gniffke, die Wochenzeitung die Zeit bezeichnet Sie und Ihre Kollegen als Könige. Macht Sie das nachdenklich? (lacht) Nein, ich habe mich nie als König empfunden. Ich glaube, mir geht das Royale doch ab.

Der Vorwurf gründet darauf, dass Intendanten eine Machtfülle haben, wie sie nicht einmal Vorstände in DAX-Unternehmen haben. Diese angebliche Machtfülle nehme ich ehrlich gesagt nicht wahr. Auch wir bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten haben ein System von Checks and Balances. Auch wir haben ein Direktorium mit einer klaren Aufgabenverteilung. Und auch die Kontrolle über unsere Gremien wie den Verwaltungsrat und den Rundfunkrat funktionieren in der Regel besser als aktuell diskutiert.

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Beim RBB hat die Kontrolle der Intendantin durch den Verwaltungsrat allerdings nicht funktioniert. Angeblich stärkt der künftige Staatsvertrag die Gremien. Sind diese Änderungen ausreichend? Ich habe meine Kontrolleurinnen und Kontrolleure gewiss nicht zu bewerten. Ich hatte bislang aber nicht das Gefühl, dass die Gremien des SWR ihre Aufgabe auf die leichte Schulter nehmen würden. Tatsächlich stärkt der neue Staatsvertrag aber noch einmal die Rechte der Gremien und das kann für alle nur gut sein.

Markus Söder und andere fordern eine Obergrenze für Intendantengehälter und eine Beschränkung von Nebentätigkeiten. Ist das ein Ansatz, um Vertrauen zurückzugewinnen? Auch in diesem Punkt obliegt mir nicht das Urteil. Wir entscheiden zum Glück nicht selbst über unsere Gehälter. Und denen, die uns berufen, habe ich keine Vorschiften zu machen.

Was verstehen Sie konkret unter mehr Transparenz im Öffentlich-Rechtlichen System? Wir sind längst transparenter, als viele das gedacht haben. Schauen Sie sich nur unsere ARD-Transparenzseiten auf ard.de an. Ich selbst habe in der jüngsten Sitzung des SWR-Verwaltungsrats nochmal minutiös Auskunft über alles gegeben, was beim RBB diskutiert worden ist - bis zur Qualität der Böden in unseren Chefetagen. Ich habe alle meine Nebeneinkünfte offengelegt, die ich - Klammer auf - spende. Ich führe seit meiner Wahl vor drei Jahren auch ein sogenanntes Dinnerbook, wen ich zum Essen einlade oder von wem ich eingeladen werde.

Kann man von Sendern, die aus Beiträgen finanziert werden, nicht verlangen, dass sie die Produktionskosten für Shows offenlegen und die Gehälter ihrer Moderatoren? Das legen wir gegenüber unseren demokratisch legitimierten Aufsichtsgremien offen. Wir stehen im Wettbewerb um die besten Moderatorinnen und Moderatoren. Würden wir deren Honorare öffentlich kommunizieren, würden wir sie am Ende vielleicht nicht mehr bekommen. Es gibt Vertragsbedingungen, die wir deshalb nicht auf dem offenen Markt ausbreiten können.

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Beim RBB war es so, dass die Intendanz Boni für einen großen Kreis von Führungskräften durchgesetzt hat. Die Führung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, die von Pflichtbeiträgen der Bürger finanziert werden, geht doch nicht mit einem unternehmerischen Risiko einher. Die Analogie zur Bezahlung in der Privatwirtschaft ist doch schlicht konstruiert. Was dort beim RBB passiert ist, halte ich für höchst problematisch. Das haben die ARD-Intendantinnen und -Intendanten ja auch deutlich gemacht. Wir sind so etwas wie ein mediales Versorgungsunternehmen. Deshalb kann man unser Vergütungssystem eher mit den Vorständen von kommunalen Versorgungsunternehmen vergleichen als mit unseren privaten Konkurrenten.

Der Vorwurf der Verschwendung wird auch dann immer laut, wenn Intendanten Führungskräfte, mit denen sie nicht mehr zusammenarbeiten wollen, in vorzeitige Ruhestände schicken. Da sind, wie zuletzt im Bayerischen Rundfunk, jahrelang Bezüge bis zu 100 Prozent weitergeflossen. Das kann man in einem von Beiträgen finanzierten System doch niemandem erklären. Auch wir müssen unternehmerische Entscheidungen treffen. Und bei Strukturveränderungen kann es schon richtig sein, dass eine Führungskraft gegen eine Abfindung den Weg für eine neue Ausrichtung freimacht. Natürlich sind wir auch dabei zu wirtschaftlichem Handeln verpflichtet.

RBB-Intendantin Schlesinger: Dieser Rücktritt war überfällig

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist der teuerste weltweit. Zur Zeit fließen 8,4 Mrd. Euro Beiträge jährlich an ARD und ZDF. Für eine perspektivische Erhöhung auf 9 Mrd. werden sie doch nicht nur in Krisenzeiten keine Akzeptanz finden - egal wie die Empfehlungen der Gebühren zustande kommen. Beitragserhöhungen stehen aktuell nicht an und wir haben aktuell auch andere Themen. Wahr ist aber, dass auch wir - wie jeder Bürger und jedes Unternehmen - mit extrem steigenden Energiepreisen und auch Steigerungen bei den Produktionskosten zu kämpfen haben. Wir müssen effizient wirtschaften, wir müssen aber auch die Aufgaben erfüllen, die uns die Staatsverträge aufgeben. Zurzeit sehe ich das Thema Beitragsentwicklung nicht auf der Tagesordnung.

Werden wir bitte mal konkret: Warum brauchen wir neun Dritte Programme als Vollprogramme? Man könnte doch auch ein Drittes Mantelprogramm produzieren, das nur für regionale Information, Dokumentationen und auch regional gefärbte Unterhaltung mehrfach am Tag auseinander geschaltet werden kann? Regionalität ist unser Kernauftrag und er gehört zu unserer DNA. Regionalität wird deshalb auch in unseren linearen Programmen weiterhin die zentrale Rolle spielen. Die Organisation eines Mantelprogramms für die Dritten mit höchstmöglichem Regionalanteilen ist aber in der Tat ein Gedanke, den wir in den kommenden Monaten und Jahren intensiv diskutieren sollten. Ich kann mir das jedenfalls gut vorstellen.

ARD und ZDF leben ganz gut damit davon, dass Politiker wie Oppositionsführer Friedrich Merz auf Sie draufhauen, solange der Großteil der Ministerpräsidenten, die für die Rundfunkpolitik zuständig sind, die schützende Hand über Sie halten. Mit Verlaub: Ich nehme auch in der Politik eine Vielfalt an Meinungen wahr, wie sie in der Bevölkerung herrscht. Das ist ja die Stärke einer demokratischen Gesellschaft, dass es über die kontroverse Debatte zu einer Meinungsbildung kommt, die die Gesellschaft voranbringt. Als Draufhauen empfinde ich das nicht.

Na ja, Friedrich Merz hat gesagt, wird brauchen nur noch einen öffentliche-rechtliche Sendegruppe und hat sich für die Abschaffung des ZDF ausgesprochen. Da bin ich wirklich ein glühender Verfechter des Wettbewerbs. Ich möchte mir nicht vorstellen, dass wir eines Tages nur noch Tageschau oder heute haben. So wie ich mir nicht vorstellen möchte, dass wir in Deutschland nur noch eine starke überregionale Zeitung hätten. Und die Konkurrenz von ARD und ZDF tut unserem Angebot in seiner gesamten Breite gut - nicht nur bei der aktuellen Information.

Die ARD-Anstalten scheinen insbesondere dort ein Distanzproblem zu haben, wo Landessender passend auf die Ländergrenzen zugeschnitten wurden. Das hat sich gerade erst beim NDR in Schleswig-Holstein gezeigt, wo es einen direkten Eingriff in eine kritische Berichterstattung über Ministerpräsident Daniel Günther gab. Dieser Fall wird gerade aufgearbeitet. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Das kann ich im Moment nicht beurteilen. Dass diese Aufarbeitung unter öffentlicher Begleitung stattfindet, ist aber doch ein gutes Zeichen. Wir haben in unseren Anstalten frei gewählte Redaktionsräte, die über unsere Unabhängigkeit wachen und an die sich alle Mitarbeitenden vertraulich wenden können.

Im SWR wurde auch der ehemaligen Landessenderdirektorin in Mainz nachgesagt, zu wenig Distanz zur Landesregierung zu pflegen. Außerdem gab es den unguten Zustand, dass sie und der Personalchef des SWR ein Paar waren. Sind Sie froh, dass Sie diese über Jahre hinweg tabuisierte Interessenkollision aufgelöst haben, bevor der RBB-Skandal hochgekommen ist? Ich teile Ihren Befund nicht. Das wäre ja ein Vorwurf sowohl an die Landesregierung als auch an die frühere Landessenderdirektorin. Dafür gibt es keine Grundlage. Und dass sich zwei Menschen im SWR kennen- und liebenlernen, das ist menschlich und kann es überall geben. Der SWR hat stets darauf geachtet, dass es hier keine Interessenkollision gab.

Wenn man sich die Verfassung des SWR anschaut, dann ist dort festgelegt, dass es ausgerechnet für die Berufung von Landessenderdirektoren immer nur einen Personalvorschlag geben darf. Das riecht doch danach, dass sich der Intendant bei diesen Besetzungen mit den Ministerpräsidenten bzw. den Mehrheitsparteien abstimmt. Ich muss mich bei gar nichts mit der Politik abstimmen. Ich muss mich bei der Berufung von Leitungskräften ins Benehmen mit den gesellschaftlichen Gruppen in unseren Gremien setzen.

Aber es ist vom demokratischen Prozess her doch ein Unterschied, ob diese Gremien einen Vorschlag bestätigen oder ablehnen können oder ob sie die Wahl zwischen mehreren Kandidaten haben, oder nicht? Im Staatsvertrag des SWR ist klar geregelt, dass die Landesrundfunkräte den oder die Kandidatin nicht nur ablehnen können. Sie können auch einen eigenen Vorschlag machen und zur Abstimmung stellen. Aber vom Intendanten kann man doch wohl erwarten, dass er die am besten geeignete Person aussucht und nicht sagt „ich kann mich nicht entscheiden.“

Verlassen sich ARD und ZDF nicht zu sehr auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts? Wer gibt Ihnen die Garantie, dass die höchsten Richter Grundversorgung im Jahr 2025/2030 nicht doch einmal deutlich eingeschränkter bewerten als aus den Ursprüngen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks heraus? Wir wären mit Verlaub gesagt verrückt, wenn wir uns nur darauf verlassen würden, dass uns das Verfassungsgericht schon stützen wird. Die Zufriedenheit und die Unterstützung des Publikums sind für uns das entscheidende Kriterium, um das wir täglich ringen. Zumal in Zeiten, die so viel Umbruch und Verunsicherung mit sich bringen. In Zeiten, wo so viel digitale Manipulation und Hassrede unterwegs sind. Ich kämpfe dafür, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf allen Ausspielwegen eine zentrale Plattform für den gesellschaftlichen Diskurs bleibt.

Werden wir konkret: Der Showbereich ist derjenige, in denen sich die öffentlich-rechtlichen Sender am wenigsten von den Privaten unterscheiden. Und es ist der Bereich, der in der nicht linearen Zukunft des Fernsehens so gut wie keine Rolle mehr spielen wird. Warum ziehen Sie sich hier nicht zurück, um zum Beispiel mehr Geld in brillante Serien und Filme zu investieren, um gegen Netflix, Amazon und Disney bestehen zu können? Vorweg: Ich teile Ihre These nicht, dass sich unsere Shows nicht unterscheiden. Zwischen "Verstehen Sie Spaß" und dem "Dschungelcamp" sehe ich große Unterschiede. Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollte es natürlich auch nicht nur sein, harte Themen abzuarbeiten und Probleme zu beschreiben. Aber wir begleiten die Menschen auch, wenn sie gut gelaunt und entspannt sind und sich unterhalten wollen. Mein Geschmack ist dabei kein Auswahlkriterium. Ich werde mit Zähnen und Klauen beispielsweise Volksmusiksendungen verteidigen, die auch das Unterhaltungsbedürfnis von älteren Menschen ansprechen, die unser Land aufgebaut haben.

Wie zufrieden stellt es Sie, dass die privaten Produktionsfirmen ihrer Top-Moderatoren wie Anne Will monatelange Sendepausen einlegen, egal ob Corona wütet oder Energiekrise ist? Wenn man den Polit-Talkshows eine Debattenfunktion beimisst, ist das doch eine Art Verweigerung von Grundversorgung. Nein, das sehe ich nicht so. Die Talkshows ergänzen unseren Informationsauftrag. Dass wir an Weihnachten, an Ostern und auch in der Sommerferienzeit Polittalks aussetzen, finde ich angemessen. Und es ist natürlich auch eine wirtschaftliche Frage, ob wir uns diese Formate 32 mal im Jahr leisten oder 52 mal.

Die Sender halten sich selbst unzählige Tochterfirmen. Diese Verschachtelungspolitik ist doch das Gegenteil von Transparenz. Nein. Natürlich haben wir Tochterfirmen. Der SWR ist etwa an der Bavaria Film beteiligt. Das gehört zum Kerngeschäft, daran kann ich nichts Verwerfliches finden. Und wenn wir uns dort zurückziehen würden, gäbe es wohl zurecht einen Aufstand der Kultur- und Filmschaffenden. Unsere SWR Services GmbH macht für uns die Werbevermarktung. Das ist nicht intransparent. Kommerzielle Aktivitäten weisen wir sauber als solche aus.

Herr Gniffke, sie werden am kommenden Mittwoch voraussichtlich mit dem ARD-Vorsitz betraut. Nehmen Sie sich vor, dass die Sender aus sich selbst heraus einen Beitrag leisten, sich zu reformieren? Das nimmt sich jeder einzelne unserer Sender vor, weil das auch die Aufgabe jedes einzelnen Senders ist. Wenn ich nochmal an Ihren Intervieweinstieg anknüpfen darf: Ein ARD-Vorsitzender ist - unabhängig ob diese Aufgabe jetzt auf mich zukommt - eher ein Sprecher für die ARD und kein Regent der ARD. Wir haben alle gemeinsam die Aufgabe, Lehren aus den Vorkommnissen beim RBB zu ziehen. Und alle Intendanten folgen dem Impuls, unsere Programme und Angebote weiterzuentwickeln, für das Publikum noch attraktiver zu werden und für die gesamte Gesellschaft da zu sein - vom Säugling bis zum Greis. Wir müssen uns der Gnade der Beitragsfinanzierung immer wieder als würdig erweisen.