Vertrautheit statt Verwirrung – Leuchtturmprojekt am kkm in Mainz
Das Katholische Klinikum Mainz beschäftigt sich als eines der ersten deutschlandweit mit „Delir-Prävention“.
Von Sonja Werner
Reporterin Politik
Vertraute Gesichter bei den Pflegenden können helfen, ein so genanntes „Delir“ im Krankenhaus zu vermeiden.
(Foto: Ake1150 / stock.adobe.com)
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MAINZ - Helmut Lehr hat gleich zwei Mal in seinem Leben ein Delir erlebt. Einmal bei seinem Vater, als dieser im Krankenhaus war, – und einmal selbst als Patient. Das war vor zirka zwei Jahren. Der damals 70-jährige Mainzer hatte gerade zwei schwierige Knie-Ops hinter sich, als er zwei bis drei Tage lang nicht mehr derselbe war: „Ich habe mich verfolgt gefühlt“, berichtet er von den aufwühlenden Stunden im Krankenhaus. Nachts rief er damals seine Frau an, mit der Bitte, ihn „da rauszuholen“. Am Montag erzählte er nun im Katholischen Kinikum Mainz (kkm) vor mehreren prominenten Gästen seine Geschichte. Warum? Das kkm will als eines der ersten Krankenhäuser in Deutschland sich speziell dem Thema „Delir“ widmen – und mit seinem Modellprojekt dafür sorgen, dass weniger ältere Menschen im Krankenhaus überhaupt eine solche „akut auftretende Verwirrtheit“ entwickeln.
Als Vertreter des Schirmherrn des Projektes, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), lobte in Mainz der Parlamentarische Staatssekretär, Dr. Thomas Gebhart, das Vorhaben: „Das Konzept ist absolut sinnvoll“, sagte er. Zwar sei ein Delirium an sich schon lange als Problem in der Medizin bekannt, aber durch die Zunahme an älteren Patienten in den Kliniken, nehme die Bedeutung des Themas Delir-Prävention in den vergangenen Jahren zu. Ein Risikofaktor dafür, ein Delir zu entwicken, ist schließlich ein Alter von über 70 Jahren.
Warum ein solcher Zustand auftrete, wisse man noch nicht, fasste Dr. Matthias David, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, zusammen. Allerdings kenne man einzelne Bestandteile und wisse, dass dieser Verwirrtheits-Zustand recht häufig sei: Fünf bis 50 Prozent der Patienten würden unter einem solchen leiden – je nach Vorerkrankungen und Station. Und auch die Auswirkungen sind immens: Die Aufenthaltsdauer eines Patienten verlängert sich, das Behandlungsergebnis wird schlechter, nicht selten entstehe dadurch in der Folge eine Pflegebedürftigkeit, selbst die Sterblichkeit kann statistisch steigen. Vor allem mit menschlicher Zuwendung und Orientierung (zum Beispiel verlässliche Pflegepersonen oder enge Begleitung der Behandlung durch Angehörige) hoffe man, die Erkrankung zu verhindern. Auch die Auswahl der Narkosemittel, Reduzierung von Schlafmitteln und die Überprüfung der Ernährung sind Elemente, die bei der Prävention wichtig sind, berichtet die Initiatorin des Projektes am kkm, die Anästhesistin Dr. Andrea Küchle.
WAS IST EIN DELIR?
Ältere Menschen mit speziellen Risikofaktoren können während des Krankenhausaufenthalts ein Delir – einen „akuten Verwirrtheitszustand“ – entwickeln. Die genauen Ursachen hierfür werden derzeit noch erforscht. Ein spezielles Medikament zur Behandlung gibt es nicht, es können nur die Symptome behandelt werden. Wichtig ist vor allem die Reaktivierung und Mobilisierung des Patienten.
Zu den Risikofaktoren gehören: Alter ab 70 Jahren, viele Grunderkrankungen, viele Medikamente (mehr als fünf), schlechter Ernährungszustand, vorbestehende kognitive Störungen.
Als „Leuchtturm-Projekt“, bei dem der Mensch ganzheitlich betrachtet werde, lobte zudem auch Bernadette Rümmelin, die Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhaus Verbandes Deutschlands den neuen Ansatz der Delir-Prävention, zu dem nicht zuletzt ein umfassendes Screening von Risiko-Patienten gehört. Und Dr. Gerald Gaß, der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, erklärte: „Der Weg, den Mainz nun geht, die interdisziplinäre Sensibilisierung für dieses Krankheitsbild zu erhöhen, ist vorbildhaft.“
Seit Juli diesen Jahres wird das Delir-Präventions- und Behandlungskonzept am kkm schrittweise eingeführt. Ein Baustein davon ist etwa, dass Hilfsmittel wie Brillen oder Hörgeräte erst direkt vor der Operation in eine Box gelegt und dann direkt im Aufwachraum wieder an den Patienten übergeben werden.
Vertrautheit und Verlässlichkeit sind immens wichtig bei dem Thema. Bei der dritten Knie-OP hat Patient Helmut Lehr zum Beispiel geholfen, dass seine Frau mit ins Krankenhaus aufgenommen wurde. Diesmal entwickelte Lehr auf jeden Fall kein Delir.