Currywurst ade! Was es in modernen Kantinen zu essen gibt
Kantinen sind nicht mehr das, was sie mal waren: Sie spiegeln gesellschaftlichen Wandel beim Essen und höhere Ansprüche von Arbeitnehmern wider.
Von Ingmar Volkmann
Betriebsrestaurants wie das des 3-D-Druck-Spezialisten GE Additive im fränkischen Lichtenfels werden heute von preisgekrönten Innenarchitekten gestaltet.
(Foto: Bernhard Kahrmann)
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Wenn Markus Jüngert vor fünf Jahren gefragt worden wäre, welches Gericht das beliebteste sei in der Kantine des Haushaltswarenherstellers WMF in Geislingen an der Steige, hätte er mit einem schwäbischen Klassiker geantwortet: Linsen mit Spätzle und Saitenwürste.
Heute, erzählt der gastronomische Leiter von WMF, sei die Antwort nicht mehr ganz so einfach. „Das Gericht käme nur noch auf 50 Prozent der damaligen Beliebtheitswerte. 20 Prozent der Belegschaft ordern das Gericht mittlerweile ohne Würste“, erklärt Jüngert, der im linken Ohr einen Kochlöffel-Ohrring trägt.
Dabei kocht Jüngert nicht für 400 Vegetarier, sondern für Mitarbeitende, die sich bewusst ernähren wollen. Das veränderte Konsumverhalten der WMFler spiegelt einen gesellschaftlichen Wandel wider, den man in einer Kantine hautnah erleben kann. „Unsere Gäste wollen weniger Fleisch essen. Und wenn sie Fleisch essen, dann wollen sie wissen, wo es herkommt“, erklärt Jüngert.
Betriebsrestaurants wie das des 3-D-Druck-Spezialisten GE Additive im fränkischen Lichtenfels werden heute von preisgekrönten Innenarchitekten gestaltet. Foto: Bernhard Kahrmann
Erleuchtete Kochtöpfe: Bei WMF in Geislingen wird das eigene Produktportfolio zweckentfremdet. Erleuchtete Kochtöpfe: Bei WMF in Geislingen wird das eigene Produktportfolio zweckentfremdet.
Testsieger in der Gesamtwertung unter den kleinen Kantinen bis 300 Essen: die von der Traube Tonbach gecaterte Kantine von Vector in Regensburg. Testsieger in der Gesamtwertung unter den kleinen Kantinen bis 300 Essen: die von der Traube Tonbach gecaterte Kantine von Vector in Regensburg.
Markus Jüngert, Gastronomischer Leiter bei WMF. Foto: cf/WMF
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Kantinen sind die neuen Dienstwagen
Der 50-Jährige erzählt, wie er 2011 seinen Einkauf umstellte. Seitdem kauft er beim Produzenten um die Ecke ein, egal ob Schwein, Milch oder Mehl. „Meine halbe Tonne Mehl bestelle ich direkt in der Mühle in Geislingen“, sagt Jüngert, der beim aktuellen „Food & Health Kantinentest 2022“ in der Kategorie „Verantwortung“ mit seinem Team den ersten Platz holte.
Der Verein Food & Health sucht jedes Jahr nach den vorbildlichsten Betriebsgastronomien des Landes. Dabei immer ganz weit vorne: die Kantinen des Softwareentwicklers Vector. Unter den 50 besten Kantinen in Deutschland stehen die zwei Vector-Standorte in diesem Jahr gleich mehrfach auf dem Siegertreppchen. Das Betriebsrestaurant in Regensburg wurde Testsieger unter den Kantinen bis 300 Essen.
Angesichts von Speisen wie einem kreisrunden Tatar von der Jakobsmuschel mit Fliegenfischkaviar und weißem Spargel kein Wunder. Verantwortlich für diese Köstlichkeiten zeichnet das Team der Traube Tonbach im Schwarzwald. 2016 gründete Sebastian Finkbeiner, Spross der Betreiberfamilie, eine eigene Firma, um Sternegastronomie und Betriebsrestaurants zusammenzuführen.
Finkbeiner, selbst gelernter Koch, sieht die Investition in eine hochwertige Mitarbeiterverpflegung als langfristigen Marktvorteil: „Fortschrittliche Unternehmen setzen auch mit ihrer Betriebsgastronomie Maßstäbe.“ Kantinen sind – etwas verschwurbelt ausgedrückt – die neuen Dienstwagen und ein Argument, wenn es darum geht, Fachkräfte zu finden. Wie aber rechnet sich ein Speisenangebot, das auf Hummer statt auf Sättigungsbeilage setzt? „Die erste Frage der Mitarbeiter lautete tatsächlich: Können wir uns das Mittagessen dann noch leisten? Die Antwort ist: ja. Es gibt täglich ein Essen für 2,50 Euro, die Obergrenze liegt bei 5,50 Euro“, erklärt Finkbeiner.
„Normalerweise beträgt der Wareneinsatz in Betriebsrestaurants höchstens vier bis fünf Euro pro Essen. Wir sind darüber. Der Effekt ist aber groß. An Bonuszahlungen gewöhnt man sich mit den Jahren. Eine Kantine zeigt den Mitarbeitern aber jeden Tag, wie sehr sie wertgeschätzt werden“, sagt der 41-Jährige.
Markus Jüngert hat bei WMF einen Weg gefunden, die Preise in seiner Kantine zu subventionieren. Privatpersonen und Unternehmen buchen ihn und sein Team für ihre Events. Wenn er für eine andere Firma bei einer zweitägigen Messe das Catering stemme, nehme er eine fünfstellige Summe ein. „Eine Kantine ist immer ein Subventionsbetrieb. Mit unseren Catering-Einnahmen kann der Zuschuss der Firma gesenkt werden“, sagt Jüngert, der die Arbeitszeiten einer Betriebsküche zu schätzen weiß.
Ursprünglich kommt der gebürtige Hesse aus der gehobenen Gastronomie. Ehe er zu WMF wechselte, arbeitete er im Hotel am Schlossgarten in Stuttgart. Kurzweilig erzählt er vom Kulturschock, als er die Großküche vor 25 Jahren von innen kennenlernte. „Da hat einer drei riesige Bottiche voll mit Reis mit dem Gartenschlauch abgekühlt. So viel Reis hatte ich davor im Hotel im ganzen Jahr nicht gekocht.“
Heute sei eine gute Kantine für Mitarbeitende sehr attraktiv, sagt auch Sebastian Finkbeiner, weil man hier auf gleichem Niveau wie in der Spitzengastronomie arbeiten könne. „Das macht sich gut im Lebenslauf“, erklärt er. „Sonst ist das meistbenutzte Werkzeug eines Kantinenkochs ja die Schere. Bei uns ist es das Küchenmesser zum Verarbeiten von frischen Produkten.“
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Nicht nur die kleinen, feinen Kantinenbetreiber sind Teil eines kulinarischen Wandels, auch die Großen tragen das veränderte Konsumverhalten mit. Das deutsche Unternehmen Eurest, eine Tochter der englischen Compass Group, dem nach eigenen Angaben weltweit größten Catering-Anbieter, schaffte es gleich mit sieben Standorten in die Top 50 des „Kantinentest 2022“.
Die Firma setzt wie andere Anbieter auf Details und Lieferanten, die den Unterschied machen: In der Kantine des Versicherungskonzerns Axa in Wiesbaden liefert zum Beispiel eine regionale Mikrorösterei den Kaffee. In Deutschland betrug der Umsatz der Compass-Group-Tochter als Caterer für Betriebsrestaurants laut dem Statistik-Portal Statista im Jahr 2020 rund 369 Millionen Euro. Noch mehr, nämlich 394 Millionen Euro, setzte in Deutschland nur der amerikanische Riese Aramark mit Betriebsrestaurants um.
Längst gibt es Experten wie Geplan Design aus Stuttgart, die auch Gasträume wie Hotels oder Kantinen gestalten. Das Betriebsrestaurant des 3-D-Druck-Spezialisten GE Additive im beschaulichen fränkischen Städtchen Lichtenfels haben die Innenarchitekten hell und futuristisch gestaltet und dabei die Tradition des Standorts aufgegriffen: Von der Kantinendecke baumeln geflochtene Lichtinstallationen, angelehnt an die Geschichte von Lichtenfels als „Deutsche Korbstadt“. Auch bei WMF spiegelt sich die Firmengeschichte in der Kantinengestaltung wider: Dort wird das preisgekrönte Essen von Lampen aus Kochtopfrohlingen ins rechte Licht gerückt.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 05.08.2022 um 08:00 Uhr publiziert.