Wir wollen in unserer Serie von Wählerinnen und Wählern wissen, was sie von der neuen Bundesregierung erwarten. Heute sagt Tischler-Azubi Marcel Brand seine Meinung.
SÜDHESSEN. Mit 23 Jahren erlernt Marcel Brand im Handwerksbetrieb von Christina und Martin Schlingmann in Bad König schon seinen zweiten Beruf. Nach Ausbildung und Berufspraxis als Fertigungsmechaniker will der junge Mann Tischler werden und hat dabei mit der Innenarchitektur schon jetzt ein drittes Fach im Auge. Dem Odenwald-Einpendler aus Stockstadt am Main mangelt es also nicht an Ambition – außer in der Politik: Marcel Brand wird bei der Bundestagswahl nicht mitstimmen, und das bewusst.
Bewusste Entscheidung
„Ich weiß die Demokratie und das Wahlrecht sehr zu schätzen“, sagt der Single, „aber gerade deshalb will ich nicht leichtfertig einer Partei oder Person die Stimme geben.“ Wie Brand wissen lässt, setzt für ihn die Beteiligung an einer Abstimmung eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Alternativen auseinander. „Einfach aufgrund oberflächlicher Eindrücke aus der Parteienwerbung oder aus Schlagzeilen zu wählen, das geht für mich gar nicht“, sagt der Junghandwerker. Da sei ihm das Fehlerrisiko schlicht zu groß. Für eine Auseinandersetzung mit Programmen und Kandidaten indes, wie er sie für angemessen halte, fehle ihm in seiner Lebenssituation bisher schlicht die Zeit.
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Auch wenn das Lernen und Schaffen als Schreiner seine Zeit und Kraft braucht und selbst wenn täglich anderthalb Stunden An- und Abreise dazu kommen – an Arbeit und Schule allein kann die politische Enthaltsamkeit nicht liegen. „Ich war in den vergangenen Jahren und Monaten halt auch stark damit beschäftigt, mich in Beruf und Leben auszurichten “, fügt Brand an, um dann auf den wortwörtlich springenden Punkt zu kommen. Der Stockstädter betreibt Leistungssport – und zwar im nationalen Spitzenbereich des aufwendigen Fachs Zehnkampf.
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Am Sport setzen denn auch für Brand politische Gedanken an: Bei allem Aufwand, den ihnen die Leidenschaft abverlange, sei für Athleten seiner Klasse an die Zuteilung von Sportfördermitteln nicht zu denken, berichtet er. Die wolle er auch gar nicht verlangen. „Was aber nicht in Ordnung geht, ist die einseitige Bevorzugung des Fußballs gegenüber der Leichtathletik und anderen Sportarten.“ Diese äußere sich zwar vor allem über die Medien, werde aber eben auch politisch gefördert. „Die Politik sollte viel stärker das Ansehen des gesamten Sports stärken als nur die Nähe einer Sportart zu suchen“, findet Brand.
„Wirtschaft wird in Deutschland zu stark allein mit Industrie identifiziert“
Die Einseitigkeit, durch die der Stockstädter sein Hobby beeinträchtigt sieht, treibt ihn auch beruflich um: „Wirtschaft wird in Deutschland zu stark allein mit Industrie identifiziert“, sagt der Auszubildende. Die Politik solle deshalb verstärkt Bewusstsein für den Wert des Handwerks und die dafür typischen kleineren Unternehmen wecken. „Dazu gehört für mich eine gezielte Förderung ausbildender Betriebe, weil in einer kleinen Firma der Aufwand hier viel stärker ins Gewicht fällt als in einer kleinen.“
Sowohl für die Arbeit als auch für den Sport wünscht sich Brand die Aufrechterhaltung bezahlbaren Autoverkehrs und dazu ein Regelwerk, das Staurisiken bekämpft statt sie zu fördern. „Ich bin halt sowohl im Kundenservice als auch bei Trainings- und Wettkampfreisen auf eine Flexibilität angewiesen, die im ÖPNV schwer zu machen ist“, sagt der Azubi, der sich dennoch zum Klimaschutz als eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart bekennt. „Ich vertraue da auch auf den technischen Fortschritt, den wir nach meinem Eindruck aber zurzeit zu einseitig vorantreiben.“
Überhaupt ist Offenheit eines der Hauptanliegen des jungen Stockstädters, was sich auch in der Benennung der für ihn wichtigsten Eigenschaft eines künftigen Kanzlers zeigt: „Unvoreingenommen muss der sein und so an die Lösung der Probleme herangehen“, fordert Brand, der aber auch einen Wunsch ans Volk hat: „Wir sollten nicht so viel jammern. Denn anders als an vielen Orten der Welt werden in Europa doch die Grundansprüche an ein würdiges Leben erfüllt.“ Dass dies so bleibe, nehme er dabei durchaus auch als persönliche Aufgabe an – mit verschiedensten Ideen. Eine davon: „Vielleicht bin ich ja in vier Jahren so weit, guten Gewissens wählen gehen zu können.