Was erwarten Wählerinnen und Wähler von der nächsten Bundesregierung? Heute sagt Hilal Ince in unserer Serie ihre Meinung zu Integration und Rassismus.
DARMSTADT. Die Wut ist immer noch da, wenn Hilal Ince daran denkt, was ihrer Mutter vor drei Jahren passiert ist. Als Tochter eines türkischen Paares wuchs Hilal in Braunschweig auf und besuchte dort auch die Schule. Damals, erinnert sich Hilal, sei ihre Mutter, die Kopftuch trägt, auf offener Straße als „Terroristin“ beschimpft worden. „Einfach so, ganz ohne Anlass“, sagt Hilal. Das sei ein Beispiel dafür, wie fremdenfeindlich viele Bürger in Deutschland seien. „Hier leben so viele Menschen mit Migrationshintergrund. Und viele werden noch immer als Fremde angesehen, fühlen sich nicht sicher und müssen mit Vorurteilen leben.“
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Da sieht die junge Frau, die seit 2019 an der Hochschule Darmstadt Soziale Arbeit, Migration und Globalisierung studiert, die nächste Bundesregierung besonders stark in der Pflicht: Die Themen Integration und Rassismus müssten auf der Prioritätenliste weiter nach oben rücken, sagt die 24-Jährige. Denn auch rassistische Angriffe hätten sich in jüngster Vergangenheit gehäuft, sagt sie und nennt die Anschläge von Hanau oder den Mord am Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke als Beispiele für Taten durch Rechtsextreme. „Da müssten alle Politiker aufstehen und ein klares Zeichen gegen Rassismus setzen.“
Zu viel Bürokratie
Auch kritisiert sie, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter wächst. Zwar gebe es durchaus Hilfsangebote vom Staat; „aber die bürokratischen Hürden sind unheimlich groß“. Da müssten die Regierenden künftig deutlich niedrigschwelligere Angebote machen.
Dass zu viel Bürokratie das Leben schwer machen kann, das hat die in Deutschland geborene junge Frau auch erfahren. Die Mutter, bei der Hilal und ihre beiden Schwestern groß geworden sind, hatte Hartz IV bezogen. In dieser Zeit habe sie als Jugendliche maximal 100 Euro im Nebenjob verdienen dürfen. „Das fand ich voll ungerecht“, sagt sie. Noch mehr ärgert sie, dass sie seit zwei Jahren einen Prozess am Sozialgericht am Hals hat, weil sie Nachweise über Tätigkeiten, die zwei, drei Jahre zurückliegen, nicht vorweisen könne. „Bürokratie ohne Ende“, sagt sie. „Ich finde, man muss viel mehr für Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien tun.“
Auch das Bildungssystem ist ihrer Ansicht nach dringend reformbedürftig. In der Schule werde man stigmatisiert, wenn man kein Gymnasium besuche. Wobei dort wiederum der Leistungsdruck immens sei. Hauptschüler hingegen „gelten als Looser.“ Hilal favorisiert daher die Integrierte Gesamtschule als Ort des Lernens, wo Hierarchien flacher seien „und man viel mehr auf die einzelnen Schüler eingeht“.
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Vom neuen Bundeskanzler oder der Kanzlerin würde sie sich mehr Empathie wünschen, sie oder er solle einfühlsam sein, „stärker sozial agieren als wirtschaftlich“, mehr nach den Schwächeren schauen und ein offenes Ohr für sie haben. „Deutschlands Wirtschaft ist so stark, Import, Export sind am Laufen – aber sozial schwächere Menschen profitierten kaum davon“, so ihrer Kritik.
Ihr Appell: Wer Deutschland künftig regiert, solle alles daran setzen, die Gemeinsamkeit im Land zu stärken, das friedliche Zusammenleben zu fördern und „mit aller Kraft versuchen, die Spaltung zu stoppen.“