Situation in Kliniken: Warteliste für Patienten wird länger

Auf den Intensivstationen gibt es in nördlichen Bundesländern wie Schleswig-Holstein die ersten Omikron-Fälle. Diese Tendenz wird deutschlandweit zunehmen, meint Gerald Gaß – und fordert eine schnelle allgemeine Impfpflicht. Foto: dpa

Gerald Gaß, der Chef der Krankenhausgesellschaft, warnt davor, die Omikron-Welle zu unterschätzen – und drängt auf eine Impfpflicht.

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BERLIN. In einigen Bundesländern ist die Inzidenz durch Omikron bereits stark angestiegen – noch sind die Hospitalisierungen aber rückläufig. Wird das so bleiben? Was würde es bedeuten, wenn wieder mehr Menschen stark erkranken? Fragen an den Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß.

Auf den Intensivstationen gibt es in nördlichen Bundesländern wie Schleswig-Holstein die ersten Omikron-Fälle. Diese Tendenz wird deutschlandweit zunehmen, meint Gerald Gaß – und fordert eine schnelle allgemeine Impfpflicht. Foto: dpa

Herr Gaß, wir sind kurz vor der Omikron-Welle – wie ist die aktuelle Situation in den Kliniken?

In vielen Krankenhäusern sind wir noch in der absteigenden Tendenz aus der letzten Delta-Welle, das heißt, wir haben noch viele Covid-Patienten auf Intensivstationen. Wir sehen aber in einigen Nord-Bundesländern – Bremen, Berlin, Schleswig-Holstein – bereits wieder einen Anstieg der Belegung auf den Normalstationen. Perspektivisch müssen wir damit rechnen, dass dieser Anstieg als Konsequenz aus den hohen Infektionszahlen auch die Intensivstationen erreicht, die ersten Omikron-Fälle gibt es dort bereits. Wir rechnen fest damit, dass man diese Tendenz auch bundesweit sehen wird.

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Was bedeutet das für Routineeingriffe?

Die Situation ist jetzt in der bevorstehenden Welle leider die gleiche wie zuvor. Die Krankenhäuser müssen Personal auf die schwerkranken Patienten konzentrieren. Im Infektionsbereich haben wir auf allen Stationen einen höheren Aufwand für den einzelnen Patienten. Personelle Reserven gibt es leider nicht, deswegen müssen wir erneut, wenn es soweit medizinisch vertretbar ist, Patienten auf die Warteliste nehmen. Das sind auf der einen Seite Operationen, aber auch nicht-operative Behandlungen, insbesondere von chronisch kranken Patienten. So haben wir etwa in Spitzenzeiten der Pandemie bis zu 25 Prozent der Hüft-OPs verschoben. Aber es geht auch um Krebs-Operationen, zeitweise hatten wir einen deutlichen Rückgang von bis zu 18 Prozent bei Darmkrebs-OPs. Das ist für die einzelnen Patienten sehr belastend.

Kommen die Menschen denn noch freiwillig in die Klinik?

Uns treibt wirklich um, dass wir weniger Verdachtsfälle zum Beispiel auf Herzinfarkte und Schlaganfälle verzeichnen. Die Patienten sind von sich aus ein Stück weit zurückhaltender und rufen seltener den Notarzt. Wir haben die große Sorge, dass ein Teil dieser Fälle unversorgt bleibt.

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Gibt es noch stärkere Vorsichtsmaßnahmen in den Kliniken gegen Omikron?

In der ersten Welle gab es Probleme mit der persönlichen Schutzausrüstung, die Situation hat sich jetzt aber deutlich verbessert. Wir hatten auch kein großes Ausbruchsgeschehen mehr in einer Klinik. Jetzt mit Blick auf den Infektionsschutz noch mehr zu tun, ist fast nicht möglich. Neue Regeln braucht es hierfür nicht.

Am Montag in einer Woche tagen wieder die Ministerpräsidenten – tut denn die Politik genug für die Kliniken?

Uns treibt etwas nach wie vor um: Wir brauchen in dieser Notfallsituation Entlastung durch weniger überflüssige Bürokratie, durch weniger Dokumentationsaufgaben, die nicht zwingend für die medizinische und pflegerische Versorgung notwendig sind. Wir haben nach wie vor Anfragen des medizinischen Diensts, Strukturprüfungen, Rechnungsprüfungen. Hier appellieren wir an die Politik, mal innezuhalten und die Krankenhausmitarbeiter zu entlasten – wir brauchen die Leute am Patientenbett und nicht im Stationszimmer.

Reicht der Rettungsschirm der Kliniken für Omikron?

Wir haben einen Rettungsschirm, der im Moment noch 500 bis 600 Kliniken außen vor lässt, die sich nicht um Covid-Patienten kümmern. Wir sollten den Rettungsschirm auch auf diese Krankenhäuser ausdehnen, um alle Ressourcen zu nutzen. Außerdem bitten wir die Politik, die allgemeine Impfpflicht jetzt schnell überall einzuführen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Interesse daran erlahmt. Und das ist schwierig, denn im März kommt die Impfpflicht für das medizinische Personal in den medizinischen Einrichtungen – und wenn es schlussendlich nur diese Personengruppe betrifft, führt das zur Verunsicherung der Mitarbeiter. Den Nutzen einer hohen Impfquote zu hinterfagen ist grundfalsch – das Virus kann jederzeit mutieren. Und dann verlieren wir die Akzeptanz in der Bevölkerung – und auch beim medizinischen Personal.

Das Interview führte Kerstin Münstermann.