Ahrtal-Flut: Verzweifelnde Opfer, streitbare Helfer

Die Flutkatastrophe hat - wie hier in Ahrbrück - 2021 enorme Schäden verursacht. Zu spät wurde die Bevölkerung gewarnt. Foto: Lukas Görlach
© Lukas Görlach

Der lange, schwere Weg zurück ins Leben: Warum Betroffene der Hochwasserkatastrophe heute in Mainz auf die Straße gehen – und warum es einen heftigen Konflikt um Hilfszentren gibt.

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BAD NEUENAHR / AHRWEILER. Die Stimmung im Ahrtal droht zu kippen, das ist spürbar. Der Schock der Flut, die vielen Toten und Zerstörungen, dies hat sich bis heute tief in die Seelen und Köpfe der Menschen hineingefressen. Sie haben angepackt, sie wollen ihr Tal wieder aufbauen, sehr viel ist auch schon passiert. Doch es stockt. Grund ist ein fataler Kreislauf aus unerträglich langwierigen Gutachten- und Antragsverfahren, ausbleibenden Hilfszahlungen, fehlenden Handwerkern. Ein ständiges Schwanken zwischen Mutfassen und Fluttrauma. Zudem eskaliert jetzt ein seit Monaten schwelender Konflikt mit zwei prominenten und einflussreichen Helfern im Tal. Aus all diesen Gründen wollen Flutopfer an diesem Samstag in Mainz demonstrieren – vor dem Landtag.

„Das Ahrtal steht auf“

Iris Münn-Buschow (62) aus Bad Neuenahr-Ahrweiler organisiert den Protest, zusammen mit einer weiteren Betroffenen. Mitte Mai haben sie das erste Mal vor dem Kreishaus in Ahrweiler demonstriert, rund 250 Menschen kamen damals. „Wir leben in Ruinen“, stand auf Plakaten. Diesmal in Mainz sollen es mehr werden. „Das Ahrtal steht auf“, heißt es in dem Aufruf (siehe Infobox). Das Motiv für den Protest ist die eingangs beschriebene Mischung aus Verzweiflung, Ohnmacht, Hilflosigkeit. Dazu kommt das wachsende Gefühl, langsam in Vergessenheit zu geraten, obwohl noch nichts in Ordnung ist im Ahrtal.

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Die Geschichte, die Münn-Buschow und ihr Mann Michael Buschow (ebenfalls 62) erzählen, könnten viele Menschen aus dem Tal erzählen. Das Grauen in der Nacht der Flut. Der verzweifelte Versuch, zu retten, was noch zu retten ist. Die hohen Hürden beim Wiederaufbau. Sie hätten aber noch Glück, berichtet die 62-Jährige, was im Ahrtal soviel heißt wie: Nur Garten, Keller und Erdgeschoss zerstört, 280.000 Euro Schaden ohne die Inneneinrichtung, aber immerhin können sie im ersten und zweiten Stock ihres Hauses leben. Das Schadensgutachten hat sehr lange gedauert, eigentlich brauchen sie eine neue Heizung. Dafür ist aber erstmal kein Geld da. „Nächsten Winter werden wir weiter mit Holz heizen“, sagt sie. Und fügt an: „Wir verzichten auf bestimmten Luxus.“

Luxus – für Tausende Menschen im Tal ist das auf unbestimmte Zeit ein Fremdwort. Für viele von ihnen ging es zu Beginn ums nackte Überleben, dann ums Aufräumen, nach und nach um den Wiederaufbau und die Rückkehr in so etwas ähnliches wie Normalität. Dabei sind sie von Anfang an – viele bis heute – auf Spenden und Helfer angewiesen. Die Hilfsbereitschaft im restlichen Land war riesig, von überall her sind die Menschen ins Tal geströmt, um mit anzupacken.

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Darunter auch Markus Wipperfürth, Lohnunternehmer mit Pferdehöfen aus Pulheim (NRW), und sein Freund Wilhelm Hartmann, Gartenbau- und Winterdienst-Unternehmer aus Fulda. Sie waren und sind die bekanntesten Gesichter der Ahrtalhelfer, sie haben sich mit ihrem Einsatz von der ersten Stunde an bei vielen in der Region einen Heldenstatus erworben. Zu einer Zeit, in der die öffentliche Verwaltung noch buchstäblich am Boden lag – auch weil viele Mitarbeiter selbst Flutopfer sind –, haben sie einfach „gemacht“. Und mit ihren Fahrzeugen, Maschinen und Geräten aufgeräumt, Straßen hergerichtet, das Leben wieder in Gang gebracht. Dass sie später etwa in Form von Aufträgen und damit auch finanziell profitiert haben, ist nur ein Aspekt des Konflikts, der sich in den vergangenen Monaten aufgebaut hat.

„Fluthelden auf Besatzerkurs“

Denn die Kehrseite der beiden Macher ist, aus Sicht ihrer Kritiker: Sie machen, was sie wollen. Und wenn ihnen etwas nicht passt, etwa weil eine Behörde oder ein Politiker nicht so entscheidet, wie sie das für richtig halten, machen sie sich öffentlich Luft. Sie greifen dabei auch zu Methoden, die man durchaus als Versuch der Einschüchterung von Kritikern auffassen kann.

Dabei können sie auf eine große Unterstützerzahl in den sozialen Medien bauen, beide sind dort schwer aktiv. Hartmann hat bei Facebook mehr als 40.000 Follower, Wipperfürth fast 500.000. Dass sich Bürgermeister und Behörden im Ahrtal von der neuen Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) erhofft und erwartet haben, dass diese dem etwas entgegensetzt, ist offensichtlich. Ein langer T-Online-Bericht hat vor Monaten den Streit beleuchtet und die aus Kritikersicht passende Überschrift gewählt: „Fluthelden auf Besatzerkurs“.

Im Clinch mit Kreis: Auflagen werden wiederholt nicht erfüllt

Derzeit erreicht der Streit eine neue Stufe. Denn der Kreis hat beschlossen, bis Ende Juli mehrere ehrenamtliche Hilfseinrichtungen zu schließen, weil er deren Betrieb nicht mehr bezahlen kann. Darunter ein von Hartmann betriebenes Baustoffzelt, wo sich Flutopfer mit Baumaterialen versorgen können, und ein Containerdorf für Helfer. Zudem ein Spendenverteilzentrum, mit dessen Betreiber der Kreis aber nicht derart im Clinch liegt (siehe Artikel zum Spenden-Verteilzentrum). Bei Hartmann wiederum wird die Verwaltung deutlich: Dieser habe beim Containerdorf wiederholt Sicherheitsauflagen zur Statik nicht erfüllt, die Übernachtungszahlen seien „nicht prüffähig“. Für das Baustoffzelt habe er trotz wiederholter Aufforderung nicht die groben Warenströme – und damit den ungefähren Wert der Spenden – nachweisen können.

Nun wagt der Macher die Machtprobe. Dass insbesondere in den sozialen Medien dazu aufgerufen werde, trotz angekündigter Schließung weiterhin Sachgüter anzuliefern, nun aber als „Geschenke“ statt Spenden deklariert, sei „von unserer Seite aus nicht hinnehmbar“, sagt Landrätin Weigand.

Allerdings: Dass im Ahrtal nach wie vor ein hoher Bedarf an schneller, unbürokratischer Hilfe und auch Spendenverteilung besteht, dies dürfte kaum ein Betroffener in Abrede stellen. Auch nicht die Organisatoren der Demo am Samstag, zu der nun auch viele Helfer erwartet werden. „Diese Schließungen sind nicht nur für uns ein Schlag ins Gesicht“, heißt es in dem Aufruf.

Unser Dossier zur Flutkatastrophe an der Ahr: Hier klicken