Trotz allem - das Ahrtal hofft auf die Touristen
Die Flut im Ahrtal hat den wichtigsten Wirtschaftszweig der Region schwer getroffen. Inzwischen öffnen die Hotels wieder. Doch eine Frage umtreibt alle: Wer kommt zu uns?
BAD NEUENAHR-AHRWEILER. Kaffeemaschine und Küche laufen noch im Probebetrieb. Das Bistro ist noch nicht ganz fertig, aber es glänzt schon wieder fast alles wie neu. "Der Rohbau steht", sagt Manuela Schumacher, Chefin der "Eifelstube" in Ahrweiler. Dass die unter weißen Tischdecken versteckten Tische gar nicht zusammenpassen, merken die Probegäste nur, weil Schumacher es ihnen verrät. In knapp zwei Wochen, am 22. Juli, soll das Hotel und Restaurant in Ahrweiler wieder öffnen - rund ein Jahr nach der Flut. "Aber wer kommt zu uns?", fragt sie.
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Das ist die große Frage, die alle Gastronomen im Tal umtreibt, sofern sie nach der Katastrophe schon wieder nach vorne schauen können. Die Ahr hat Tod und Zerstörung gebracht und damit auch die Lebensader des Tals, den Tourismus, schwer getroffen. In der "Eifelstube", acht Zimmer, Familienbetrieb in der vierten Generation, geht Schumacher die Herausforderung nun mit einer Mischung aus banger Erwartung und Zweckoptimismus an. "Ich habe noch nie den Kopf in den Sand gesteckt", sagt sie. Die 58-Jährige hat schon eine ganze Reihe von Reservierungen, vor allem von Stammgästen. Denn, dies mag nach zuletzt vielen schlechten Nachrichten über den schleppenden Wiederaufbau überraschen: Es gibt im Ahrtal auch Hoffnung.
"Wir glauben an den Aufbau"
Man muss allerdings etwas länger nach ihr suchen. Vielerorts gleicht die Region noch immer einem Katastrophengebiet, ist eine Brückentrümmerlandschaft. Zwar sind die größten Schutt- und Müllberge weggeräumt; doch Bad Neuenahr-Ahrweiler ist - wie die anderen Orte - in weiten Teilen eine Stadt ohne bewohnbares Erdgeschoss. Ab dem ersten Stock aufwärts sind viele Häuser schon wieder rausgeputzt, aber darunter hat die Flut gewütet. Also Spanplatten statt Schaufensterbummel. Nur vereinzelt sind Geschäfte geöffnet, hier ein Lederwarenladen, dort ein Spielegeschäft. "Wir sind wieder da - 234 Tage nach der Flut sind wir zurück", steht dort angeschrieben. Statt Lieferwagen parken Betonmischer in den Straßen. In einigen Häusern wird gehämmert und gebohrt, in vielen anderen passiert aber offensichtlich gar nichts. Hat doch mal ein Café geöffnet, sitzen darin vor allem Bauarbeiter und Handwerker.
Zu den Nicht-Bauarbeitern, denen der Besucher begegnet, gehören Manuela (69) und Werner Borschmann (67). "Wir glauben an den Aufbau", sagen sie, "und wir unterstützen den Einzelhandel vor Ort." Das provisorische Ladenzentrum bilden ein paar Container, darin untergebracht sind Apotheke, Eisgeschäft, Papierwarengeschäft und Metzgerei. Dazu ein mobiler Imbiss und die mobile Bäckerei. Auch davor sitzen Bauarbeiter.
"Wenn die Radwege gemacht wären, wäre uns viel geholfen"
"Das Rahmenprogramm muss stimmen", sagt Manuela Schumacher zu den Aussichten für den Tourismus: Radtouren, Ausflüge, Wanderungen. "Damit der Gast sagt: Wir freuen uns auf den Besuch, jetzt möchten wir uns erholen." Doch das touristische Rahmenprogramm hat schwer gelitten. Ahr-Thermen, Bahnstrecke, Ahrtalradweg sind bis auf Weiteres zerstört (siehe Infobox). "Wenn die Radwege gemacht wären, wäre uns schon viel geholfen", sagt Schumacher.
"Die schöne Promenade brauchen wir wieder", wünscht sich Gazmend Kelmendi, der bis zur Flut zwei Hotels und ein Restaurant in der Stadt betrieben hat. Er steht am Ufer der Ahr, gegenüber dem Kurhaus und der ehemaligen Spielbank, die aus dem nun zerstörten Bau - einst Teil eines Postkartenidylls - raus musste und im Bahnhof unterkommt. Nach dem Corona-Lockdown dachte der 47-Jährige, "dass man wieder nach vorne schaut". Doch jetzt liege "die ganze Region noch im Koma".
Die Probleme, von denen die Gastwirte an der Ahr berichten, sind oft die gleichen: bremsende Bürokratie, Ärger mit der Versicherung, fehlende Handwerker, schon seit Corona fehlende Mitarbeiter, die ungewisse Aussicht auf neue Gäste. Hinzu kommt das drohende Auslaufen der Kurzarbeiterregelung nach einem Jahr, weshalb womöglich Tausende Arbeitnehmer im Tal, deren Arbeitsstätten zerstört wurden, vor einer noch ungewisseren Zukunft stehen. "Uns läuft die Zeit davon", sagt Kelmendi.
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Ein Lichtblick: Die meisten Wanderwege sind von der Flut verschont geblieben, weil sie in höheren Lagen verlaufen. Wie der Rotweinwanderweg. An den Mai-Wochenenden konnten sich dort die Gäste beim "Wandern für den Wiederaufbau" bei mehr als 20 Winzer- und Gastronomieständen durchprobieren. Im September und Oktober soll es eine Neuauflage geben, heißt es bei den Organisatoren von "Zukunft Mittelahr". Auch der Ahrsteig, der bekannteste Wanderweg im Tal, ist wieder durchgehend begehbar. Für einzelne von der Flut betroffene Etappen gibt es Umleitungen.
"Der Tourismus ist der zentrale Wirtschaftszweig für das Ahrtal. Die Betriebe brauchen Gäste, um ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern", sagt Christian Senk, Geschäftsführer des Vereins Ahrtal-Tourismus, gegenüber dieser Zeitung. "Deren Rückkehr ist also essenziell." 2019 zählte das Tal 1,4 Millionen Übernachtungen von Touristen, das liegt heute in weiter Ferne. Doch Senk berichtet von Mut machenden Zahlen. Die Nachfrage bei den wieder geöffneten Betrieben sei schon wieder groß, besonders an den Wochenenden, die zum Teil ausgebucht seien. Fast 90 Prozent der betroffenen Betriebe wollten auch wieder aufbauen, viele freilich nur unter Einschränkungen.
Der Tourismus-Verein hofft aber, dass Ende des Jahres schon wieder die Hälfte der Mitglieder Gäste empfangen können, auch wenn vorerst "die großen Hotels und Kliniken mit ihren Übernachtungsgästen noch fehlen", sagt Senk. Derzeit liege der Schwerpunkt vor allem auf Tagesgästen, längere Aufenthalte - vier Tage und mehr - seien noch selten. Was braucht es aus seiner Sicht an Infrastruktur, damit der Tourismus wieder in die Gänge kommt? "Straßen, Brücken, Bahn, Radwege, Parkplätze", sagt Senk. Er wünscht sich "konkretere Projekte und Finanzierungszusagen von Landes- und Bundesseite". Derzeit drohe die Stimmung zu kippen. Die Menschen seien "gefangen in den üblichen Prozessen eines normalen Bauantrags, der jedoch in einer Katastrophenregion nach unserem Dafürhalten nicht 'normal' abgearbeitet werden darf", sagt er.
"Brauchen jetzt mehr Werbung für das Ahrtal"
Ein Auftrag für die Politik. Das rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerium hat zusammen mit unter anderem dem Kreis Ahrweiler und Ahrtal Tourismus die Veranstaltungsreihe "Zukunft Tourismus und Gastgewerbe im Ahrtal" ins Leben gerufen. Ziel ist, "in einem breiten Schulterschluss aller Akteure" ein Tourismuskonzept "Ahrtal 2025" zu erarbeiten, teilt das Ministerium auf Anfrage mit: "Von der Quelle bis zur Mündung, im Tal, den Seitentälern und auf den Höhenlagen". Im Herbst soll es erste Zwischenergebnisse geben. Das Ministerium fördert das Konzept mit 200.000 Euro, ebenso viel gibt es für Werbung und Marketing. Wie viel das Land später für die Umsetzung dazu geben wird, sei "noch nicht exakt quantifizierbar", die Rede ist von einer "großen Summe".
Der Opposition im Land geht all dies jedoch nicht schnell genug. "Mensch, ich dachte, ihr seid schon weiter", entfährt es dem CDU-Chef Christian Baldauf mehrmals, als er Ende Juni das Tal besucht und auch mit Gastronomen und Winzern spricht. "So schnell wie möglich müssen die Ahrtalbahn und der Radweg wieder vollständig hergestellt werden", sagt er danach. Eine entscheidende Rolle spiele auch der Steillagenweinbau, den die CDU-Fraktion stärker fördern möchte. Mittel für spezielle Programme im Tal gebe es genug, im Sondervermögen seien noch 30 Millionen Euro für den Tourismus vorhanden. "Außerdem brauchen wir jetzt mehr Werbung für das Ahrtal", sagt er.
An das gezielte Werben um neue Gäste kann Udo Loerakker noch nicht denken. Erst 2017 hat er das Hotel "Ännchen" renoviert, nur vier Jahre später kam die Flut. "Ich fange wieder von vorne an", sagt der 59-Jährige jetzt. Auch für ihn ist wichtig, "dass das Tal und die Stadt wieder funktionieren". Dass im kommenden Jahr wegen der Flutschäden in der Kanalisation wohl die Fußgängerzone aufgerissen wird und die nächsten Bauarbeiten anstehen, sieht er schon heute mit Sorge. Doch auch bei ihm ist dies zu spüren: einerseits Bangen vor der Zukunft, andererseits demonstrativer Jetzt-erst-recht-Mut. "Wir sind Hoteliers mit Herzblut, wir wollen wieder arbeiten", sagt er.