Rheinland-Pfalz – großer Erfolg nach schwerem Start
Das Land entwickelt sich in 75 Jahren vom umstrittenen Kunstprodukt zu einem prosperierenden Bundesland mit eigener Identität.
Von Stephen Weber
Zentraler Reporter
Das Wappen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz.
(Foto: roadrunner - fotolia.de)
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Auch wenn es zunächst ein wenig despektierlich klingt, ist es nun mal so: Rheinland-Pfalz ist ein klassisches Bindestrich-Land. Ein ursprünglich verwaltungstechnisches Kunstprodukt, ohne Tradition, ohne Geschichte, entstanden am Reißbrett nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 30. August 1946 ist Rheinland-Pfalz gegründet worden, ein Jahr später folgt die Verabschiedung der Landesverfassung – mit einer knappen Zustimmung von gerade einmal 53 Prozent der Bevölkerung. Anlässlich der großen 75-Jahr-Feier des Landes weiß Landtagspräsident Hendrik Hering in seiner Rede zu berichten: „In Rheinhessen und in der Pfalz stimmte die Bevölkerung sogar mehrheitlich gegen die Verfassung.“ Ein denkbar schwerer Start für das junge Bundesland und seine noch brüchige Demokratie.
Harte Zeiten ohne Identität
In den ersten Jahren nach der Gründung stehen sich dementsprechend die einzelnen Bevölkerungsgruppen im Land noch argwöhnisch gegenüber: Hoch im Norden, dort leben die Westerwälder. Den Westen bewohnen die Menschen aus der Eifel. Im Süden, wo später der 1. FC Kaiserslautern die Fußball-Bundesliga aufmischen wird, sind die Pfälzer zu Hause. In der Mitte, irgendwie zwischen allem, da gibt es die Hunsrücker. Und im Osten, entlang des Rheins, das ist die Region der Rheinhessen. Jeder ist für sich, eine gemeinsame Identität oder Mentalität, die gibt es noch nicht. Auch die Wirtschaft im Land stottert die ersten Jahre, die Zeiten sind demzufolge hart.
Ein Land wächst zusammen
All das ändert sich allmählich im Laufe der 50er Jahre – dank boomender Tourismusindustrie. Ein Boom, der bis heute anhält. Allein 2019 – in einer Zeit vor Corona – haben über das Jahr verteilt rund zehn Millionen Touristen Rheinland-Pfalz besucht. Sie bestaunen die historischen Festungen und Burgen im Land und die Loreley am Oberen Mittelrheintal. Oder sie pilgern den Hildegard-von-Bingen-Wanderweg die Nahe entlang, besuchen das Geburtshaus von Karl Marx in Trier oder betrachten die Gutenberg-Bibel in Mainz.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in den 50ern verblassen schließlich die Gegensätze im Land zwischen Nord und Süd zusehends, Rheinland-Pfalz wächst zusammen.
Turbulenzen und Erfolge
Es gibt aber immer wieder harte Zeiten. Wie in den 90er Jahren, als die Schuhindustrie im Land zusammenbricht und obendrein Tausende hier stationierte US-Soldaten durch die weltweite Abrüstung abgezogen werden, was zu wirtschaftlichen Turbulenzen führt. In der Westpfalz liegt zu dieser Zeit in manchen Ecken die Arbeitslosenquote bei über 20 Prozent. Hendrik Hering führt in seiner Rede aus. „Aber wir haben dagegen angearbeitet und dafür gesorgt, dass Rheinland-Pfalz keine Randregion geworden ist.“ Im Gegenteil.
Inzwischen leben knapp vier Millionen Menschen im Land und sehen sich als Rheinland-Pfälzer an. Sie bauen hier Häuser, gründen Familien, genießen das Leben und gestalten unsere Zukunft mit. Und das zum Teil äußerst erfolgreich, wie sich in der Corona-Pandemie gezeigt hat, als Rheinland-Pfalz zur Apotheke der Welt avanciert ist.
Wirtschaftliche Meilensteine
Ende 2020, das Coronavirus hält seit Monaten die Welt im Würgegriff, als aus den Laboren des Biotechnologieunternehmens Biontech die frisch zugelassenen Corona-Impfstoffe ausgeliefert werden. Es ist der mRNA-Impfstoff aus Rheinland-Pfalz, der der Menschheit auf allen Kontinenten der Erde Hoffnung auf baldige Normalität zurückgibt. Eine Erfolgsgeschichte, die sich auch finanziell auszahlt. Biontech verzeichnet im Jahr 2021 einen gigantischen Umsatz von 19 Milliarden Euro – Geld, das sich auch in der rheinland-pfälzischen Landeskasse bemerkbar macht. Die Wirtschaft in Rheinland-Pfalz wächst 2021 um 9,6 Prozent an, so stark wie noch nie, das Land freut sich über ungeplante Steuereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe und wird beim Länderfinanzausgleich unerwartet vom Nehmerland zum Geberland. Alles wegen des Erfolgs rund um Biontech, einem neuen Schwergewicht der rheinland-pfälzischen Wirtschaft neben altbekannten Riesen wie Boehringer Ingelheim oder der BASF in Ludwigshafen.
Bekannt ist Rheinland-Pfalz außerdem für seinen Wein. Knapp 70 Prozent der deutschen Weine wachsen in Rheinland-Pfalz, das damit bundesweit das Weinland Nummer eins ist. Sechs der insgesamt 13 großen deutschen Anbaugebiete gehören zu Rheinland-Pfalz darunter Rheinhessen, Pfalz, Mosel und die Nahe. Hier werden sechs Millionen Hektoliter Wein jährlich produziert und anschließend in die ganze Welt transportiert. Ein Exportschlager der Marke Rheinland-Pfalz.
Stützpunkt des US-Militärs
Auch aus sicherheitspolitischer Sicht nimmt Rheinland-Pfalz im bundesweiten Vergleich eine Sonderrolle ein. Das US-Militär hält strategisch wichtige Stützpunkte in Rheinland-Pfalz – in Kaiserslautern, Landstuhl und Baumholder. Dazu kommen die US-Flugplätze Ramstein und Spangdahlem. Durch die Invasion Russlands in die Ukraine im Frühjahr 2022 hat der Militärstandort Rheinland-Pfalz als Startrampe für die Ostflanke noch weiter an sicherheitspolitischer Bedeutung gewonnen. Insgesamt leben nach wie vor über 50 000 US-Soldaten im Land, wodurch Teile von Rheinland-Pfalz amerikanisch geprägt sind.