Bingen, wo die Nahe in den Rhein mündet, gilt als Tor zum Unesco-Welterbe Oberes Mittelrheintal. Auf einer Rippe im Rhein ragt dort der Mäuseturm empor.
Von Wolfgang Blum
Editor Zentraldesk
Mäuseturm und Ehrenfels. Foto: Wolfgang Blum
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Bingen - Knapp unterhalb der Insel quert eine mächtige Quarzader den Strom. Sie bildete über Jahrhunderte hinweg ein natürliches Hindernis und eine schwierige Engstelle für die Schifffahrt. Waren und Weinfässer mussten von den Lastkähnen auf Karren umgeladen und über Land weitertransportiert werden. Erst nach der Erfindung des Schießpulvers gelang es im 17. Jahrhundert, eine 4,50 Meter breite Öffnung in die Rippe zu sprengen: die Geburtsstunde des sogenannten Binger Lochs. Ab 1830 wurde die Fahrrinne kontinuierlich auf 23 Meter verbreitert. Erst 1966 bis 1974 wurde die endgültige Breite von 120 Metern in das Felsenriff gesprengt.
Auf einer kleinen Insel oberhalb des Felsenriffs wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein Wachtturm errichtet, der Binger Mäuseturm. Im Verbund mit der Festung Ehrenfels sowie einem Zollgebäude am Rheinufer bildete er eine wirkungsvolle Zollsperre. Während des Pfälzischen Erbfolgekrieges wurde der Turm 1689 zerstört. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV: ließ ihn Mitte des 19. Jahrhunderts als preußische Landmarke im neugotischen Stil wieder aufbauen. Bis 1974 diente er als Signalturm für die Schifffahrt, seitdem ist er ohne Funktion. Der Mäuseturm steht als Kulturgut unter dem Schutz der Haager Konvention. Er kann zurzeit nicht besichtigt werden.
Für den Namen des Mäuseturms gibt es drei Deutungen. Er könnte sich entweder vom althochdeutschen Wort „muta = Wegezolle“ oder vom mittelhochdeutschen „musen = spähen“ herleiten. Populärer ist die Sage vom grausamen Bischof Hatto. Er verwehrte seinem Volk trotz einer großen Hungersnot den Zugang zu seinen prall gefüllten Kornspeichern. Als die Menschen verzweifelt bettelten, ließ er sie zum Schein ein – und als alle drin waren, setzten seine Schergen die Scheuern in Brand. Die Schreie der Sterbenden soll Hatto mit den Worten „Hört Ihr die Mäuse unten pfeifen?“ höhnisch kommentiert haben. In diesem Moment krochen Tausende Mäuse aus dem Flammenmeer und wimmelten durch die Gemächer des Bischofs. Der floh auf die Insel, wo er sich sicher wähnte. Doch die Mäuse folgten ihm auch dorthin und fraßen ihn bei lebendigem Leib.
Weitere Informationen
Der Mäuseturm ist nicht zu besichtigen.
Ein Kuriosum nahe dem Mäuseturms ist der kürzeste Kilometer. Zwischen der 500-Meter-Marke (schwarzes Balkenkreuz) und Flusskilometer 530 liegen nur 35 Meter. Grund dafür sind weder Messfehler beim Markieren noch Rechenfehler bei der Rheinregulierung, sondern eine Übereinkunft: Als die Territorialgrenzen im 19. Jahrhundert neu gezogen wurden, hätte man die alten Mauern, auf denen die großen Kilometerzahlen prangen, versetzen müssen. Eine Kommission befand, dies sei unnötig – seitdem ist der 530. Kilometer am Rhein nur 535 Meter lang.