Studie zu anhaltenden Trauerstörungen sucht Teilnehmer in Rhein-Main
Manche Menschen werden auch nach langer Zeit nicht damit fertig, wenn ein ihnen nahe stehender Mensch gestorben ist. Wissenschaftler sprechen dann von einer anhaltenden Trauerstörung. Das Zentrum für Psychotherapie der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt beteiligt sich an einer bundesweiten Studie zu psychotherapeutischen Behandlungsmethoden und sucht im gesamten Rhein-Main-Gebiet nach Teilnehmern.
Von Das Interview führte Regine Herrmann
Wenn Trauer um einen geliebten Menschen nicht nachlässt, sollten Hinterbliebene sich helfen lassen. Foto: Sascha Kopp
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FRANKFURT - Manche Menschen werden auch nach langer Zeit nicht damit fertig, wenn ein ihnen nahe stehender Mensch gestorben ist. Wissenschaftler sprechen dann von einer anhaltenden Trauerstörung. Das Zentrum für Psychotherapie der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt beteiligt sich an einer bundesweiten Studie zu psychotherapeutischen Behandlungsmethoden und sucht im gesamten Rhein-Main-Gebiet nach Teilnehmern. Die Frankfurter Koordinatorin, die Psychologin Octavia Harrison, erklärt, was auf die Probanden zukommt.
Frau Harrison, was unterscheidet eine anhaltende Trauerstörung vom normalen Trauern?
Trauern ist sehr individuell, von daher gibt es kein "normales" Trauern. Dennoch lässt bei den meisten Hinterbliebenen die Trauer etwa sechs Monate nach dem Tod eines geliebten Menschen nach. Bei anhaltender Trauer ist das nicht der Fall.
Woran merkt ein Mensch, dass er an einer Trauerstörung leidet?
Die Betroffenen haben auch nach langer Zeit eine sehr tiefe Sehnsucht nach dem Verstorbenen, sie befassen sich noch unglaublich viel mit ihm, sind in Gedanken bei ihm, können sich nicht davon lösen. Manche bewahren noch sehr viele Sachen des oder der Verstorbenen auf. Ein Beispiel sind Eltern, die das Kinderzimmer ihres toten Kindes nicht verändern. Da steht dann noch der gepackte Schulranzen. Andere sind dauerhaft wütend, weil der Verstorbene einfach gegangen ist. Das passiert, wenn jemand plötzlich stirbt - durch einen Unfall etwa - und keine Gelegenheit war, Abschied zu nehmen. Wieder andere vermeiden alles, was mit dem Verstorbenen zu tun hat: Sie gehen nicht ans Grab, sie packen Bilder weg. Gemeinsam ist allen, dass der Tod nicht akzeptiert wird.
DIE STUDIE
Die Progrid-Studie (engl.: Prolonged Grief Disorder, also: anhaltende Trauerstörung) wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einer Million Euro gefördert. Teilnehmende Universitäten: Verhaltenstherapieambulanz der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Studienzentren an den Universitäten von Marburg und Leipzig. Verantwortlich in Frankfurt ist Privatdozentin Regina Steil.
Im Rhein-Main-Gebiet werden 50 Teilnehmer zwischen 18 und 75 Jahren gesucht. Die Studie läuft fünf Jahre, gesucht wird drei Jahre. Die Kassen übernehmen die Kosten.
Der Alltag der Hinterbliebenen ist beeinträchtigt: Die Arbeit fällt schwer, sie können sich nicht konzentrieren, sind nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Alles kostet sehr viel Kraft. Auch emotionale Taubheit kann Folge sein. Die Menschen fühlen nichts mehr, sie sagen, es sei, als hätten sie einen Teil von sich selbst verloren. Auch Verbitterung spielt eine Rolle: Warum musste mein Partner jung sterben und andere werden alt? Manche entwickeln Schuldgefühle, etwa die Frau, die täglich ihren todkranken Mann im Krankenhaus besucht hat, und er stirbt genau an dem einen Tag, an dem sie nicht kommt.
Was kommt auf die Teilnehmer der Studie zu?
Eine spezielle 20-stündige Psychotherapie. Wir verfolgen zwei verschiedene Therapieformen. Bei der einen geht es darum, sich direkt mit der Trauer auseinanderzusetzen. Um bei den Schuldgefühlen zu bleiben: Da würde mit dem Patienten besprochen, zu wie viel Prozent er sich Schuld am Tod des Partners gibt und versucht, seine Sicht darauf zu verändern. Oder wir machen Übungen, bei denen der Patient fiktiv noch einmal mit dem Verstorbenen spricht - etwa über sein Schuldgefühl - und sich überlegt, was der dazu sagen würde. Die andere Therapieform beschäftigt sich mit Alltagssituationen: Wo sind durch den Verlust Probleme im Alltag entstanden? Wie kann der Patient sie lösen?
Was erwarten Sie von den Teilnehmern, welche Kriterien müssen sie erfüllen?
Beide Formen der Therapie leben stark davon, dass die Patienten die Techniken, die wir ihnen vermitteln, auch zu Hause üben. Die Teilnehmer können sich die Gruppen nicht aussuchen, wer in welche Gruppe kommt, wird nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Der Tod des geliebten Menschen muss mindestens sechs Monate her sein. Wir können keine Patienten nehmen, die ein Suchtproblem haben oder unter einer Schizophrenie leiden. Auch sollten sich die Patienten nicht bereits in einer anderen psychotherapeutischen Behandlung befinden.
Was wollen Sie herausfinden?
Wir wollen zeigen, dass es effektive Behandlungsmöglichkeiten der anhaltenden Trauer gibt, und wir wollen Erkenntnisse darüber gewinnen, welche der beiden Behandlungsmethoden besser funktioniert. Bisher werden Patienten unter anderem mit Antidepressiva behandelt. Die helfen aber nicht, es gibt kein Medikament gegen eine anhaltende Trauerstörung.