Montag,
23.04.2018 - 12:56
5 min
Für Touristen ist der Inselstaat São Tomé und Príncipe durchaus noch ein Geheimtipp
Von Marc Vorsatz

Kinder toben unbeschwert im saftigen Gras vor der ehemaligen Roça-Sundy-Plantage auf Príncipe. Foto: Marc Vorsatz ( Foto: Marc Vorsatz)
Es duftet verführerisch nach scharf angebratenen Auberginen und Paprika in Knoblauch und Chili. In der nächsten Pfanne brutzeln saftige Hähnchenkeulen auf offener Flamme, daneben köcheln aromatische Kochbananen in Kokosöl. Und ein paar Meter weiter schälen flinke Hände Kakaobohnen aus unterarmgroßen Früchten fürs Sorbet.
João Carlos Silva betritt die überdachte Open-Air-Küche. Nein, der Mittfünfziger läuft eigentlich nicht, er schwebt eher. Das einstige Herrenhaus der Roça São João dos Angolares ist seine Bühne. Kochstellen, Töpfe und Pfannen seine Requisiten. Die anderen Köche? Lediglich Statisten. Eine Souffleuse? Braucht der eloquente Insulaner nicht. In Portugal moderierte er sogar eine eigene Koch-Show im Fernsehen. Aber die war eigentlich eher Mittel zum Zweck, verrät Carlos. „Ich sehe mich als Botschafter. Ein Botschafter von São Tomé und Príncipe, meiner Heimat.“ Und die sollte man eher spüren, fühlen und schmecken, als sie rational verstehen zu wollen. „Komm, rieche doch mal diesen Kakao aus dem Regenwald“, lacht Carlos. „Das ist São Tomé! Das ist Afrika.“ Sein Konzept überzeugt, ein Hoffnungsträger, der Mut macht. Neben seinem Restaurant, das als das beste der Insel gilt, vermietet der Selfmademan auch ein paar Zimmer auf seinem Landgut und unterhält ein Kulturzentrum in der nahen Hauptstadt. Ansonsten betreibt er organische Landwirtschaft. Slow Food im besten Sinne des Wortes.
Ausgesprochen slow geht es ansonsten meist zu im zweitkleinsten Land Afrikas irgendwo mitten im Atlantik. Nur die Seychellen auf der anderen Seite des Landes im Indischen Ozean sind noch ein bisschen kleiner. Die Hauptinsel São Tomé hat exakt die Größe von Berlin, dazu kommt Príncipe, so groß wie Braunschweig. „Leve-Leve“ heißt das Motto am Äquator, was so viel heißt wie langsam, langsam. Das hat durchaus seinen Reiz für die wenigen, oft gestressten Urlauber aus Europa, die den Weg auf die vulkanischen Eilande mit ihrer üppigen tropischen Vegetation und den menschenleeren Traumstränden finden.
Mit dem Abzug der Kolonialmacht Portugal und dem Aufbruch in die Unabhängigkeit 1975 verfiel das Land in eine bleierne Agonie. Anstatt die beiden landschaftlich bezaubernden Fleckchen Erde mit ihren reichen natürlichen Ressourcen in eine prosperierende Zukunft zu führen, haben es die Politiker gründlich vermasselt. Wie so oft in Afrika – ein trauriger Mix aus Vetternwirtschaft, Inkompetenz, Korruption und Machtbesessenheit. Kaum vorstellbar, dass das kleine Land einst der größte Kakaoproduzent der Welt war. Vor sich hin rostende alte Maschinen aus dem Spillingwerk Hamburg oder dem Trockenapparatebau Bebra legen noch heute Zeugnis davon ab. Längst sind die Dächer der Produktionshallen eingefallen. Den Krankenhäusern der Roças, der großen Landwirtschaftsbetriebe, erging es nicht besser. Irgendwann war die letzte Medizin verbraucht, das letzte Laken verschlissen. Heute streunen Hunde durch die leer geräumten Krankensäle.
Nach vier Jahrzehnten Misswirtschaft erscheint nun ein zarter Streif am Horizont. Kleine Kooperativen entstehen hier und da in der Privatwirtschaft. Sie produzieren hochwertigen Bio-Kakao für den Export nach Frankreich.
Dahinter stecken in der Regel charismatische Unternehmerpersönlichkeiten, die über den Tellerrand hinausblicken und wirklich etwas voranbringen im Leve-Leve-Land. Einheimische wie Starkoch Carlos Silva etwa oder der „Mann vom Mond“. So nennen die Insulaner Mark Richard Shuttleworth ehrfurchtsvoll. Der südafrikanische IT-Millionär war der zweite Weltraumtourist überhaupt und der erste Afrikaner im All. Mit einem 20-Millionen-Dollar-Ticket lies sich der Single und Afronaut, wie er scherzhaft am Kap genannt wird, 2002 von den Russen zu den Sternen katapultieren.
Doch erst nach dem Weltraumabenteuer fand er dann seinen ganz persönlichen Himmel auf Erden. Eine neue Liebe von vollkommener Schönheit, geboren im Schoße des Atlantiks, 31 Millionen Jahre alt: Príncipe! Ein Juwel aus schwarzer Lava, über und über bewachsen mit dichtem Regenwald, dem Lebensraum zahlreicher Vögel, viele endemisch. Seit 2012 Unesco-Biosphärenreservat, seit Menschengedenken paradiesisch, umgeben von goldgelben Stränden, in denen man morgens nur eine Fußspur entdeckt. Nämlich die eigene vom Abend zuvor. Eine kleine Insel mit grade mal 5000 Menschen, die in ein paar hundert wackligen Holzhäusern leben. Richtig los ist eigentlich nur sonntags etwas, wenn sich die gläubigen Christen zum Gottesdienst in den kleinen Kirchen versammeln. Die Nossa Senhora da Conceição in der verschlafenen Hauptstadt Santo António ist die vermutlich schönste von allen. Ein Postkartenmotiv par excellence in ihren erdfarbenen Tönen.
Industrie gibt es keine, industrielle Landwirtschaft auch nicht, die Menschen arbeiten auf kleinen Feldern und im Dschungel, ernten Kakao, Maniok, Kokosnüsse, sammeln Feuerholz. An den Strand verirrt sich eigentlich niemand, außer vielleicht ein paar Kinder und Fischer – und Touristen. Mit diesem Wissen erfüllte sich der Mann vom Mond einen weiteren Traum: Verantwortung zu übernehmen für dieses Refugium des Unberührten und für seine Bewohner. Vor allem wollte er den Kindern Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglichen. Sein Ziel war es aber auch Arbeitsplätze für die Eltern zu schaffen. Beides ist inzwischen Realität geworden. Die Wasserversorgung wurde spürbar verbessert und rund einhundert Einheimische stehen alleine in seinem „Bom-Bom-Resort“ in Lohn und Brot. So heißt die stilvolle kleine Anlage auf einer malerischen Landzunge. 19 Holzbungalows schmiegen sich elegant in den Regenwald. Robinson-Feeling auf gehobenem Niveau. An die Hundert Millionen Dollar soll der Unternehmer, der auch diverse Bildungsprojekte in seiner Heimat Südafrika finanziert, nun schon auf Príncipe verbaut haben. Ein Großteil davon floss in die Restaurierung der Roça-Sundy-Plantage. Soeben öffnete die ökologisch angehauchte Luxusherberge ihre Pforten. Bei der betuchten Kundschaft aus Übersee dürfte das koloniale Ambiente jedenfalls gut ankommen.
Und überhaupt: In ihrer atemberaubenden Schönheit können es sowohl Príncipe als auch São Tomé ganz locker mit ihren karibischen Schwestern jenseits des Atlantiks aufnehmen. Für Mark Richard Shuttleworth und João Carlos Silva steht jedenfalls fest: Der nachhaltige Tourismus ist ein tragfähiges Entwicklungsmodell für die beiden Inseln. Der Anfang ist getan.