Die brasilianische Hafenstadt Belém feiert 400. Geburtstag
Von Marc Vorsatz
Belém ist keine brasilianische Schönheit – aber eine sympathische Stadt. Foto: Marc Vorsatz
( Foto: Marc Vorsatz)
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Wenn die Dämmerung hereinbricht über der Millionenmetropole und eine tropisch-heiße Nacht verheißt, dann wird es betriebsam im Praça Batista Campos Park im Zentrum von Belém. Bühnenarbeiter türmen Lautsprecherboxen bis in den Himmel, andere bringen Batterien von bunten Scheinwerfern in Stellung, die nächsten reihen Hunderte Stühle für das Publikum auf. In den großen Kapokbäumen erhellen unzählige Lichterketten die grüne Lunge der Stadt. Fliegende Händler schlagen eine Kokosnuss um die andere auf. Denn die ersten Familien kommen schon zum allabendlichen Entertainment und erfrischen sich an dem Regenwaldtrunk.
Eine Stadt feiert sich. Nacht für Nacht, seit Monaten schon. 400 Jahre ist sie nun alt und hat ein paar Höhen erlebt und noch mehr Tiefen überlebt – doch nie ihren provinziellen Charme verloren. Überall ist Leben und Lachen. Um 20 Uhr dann, die Sitzreihen haben sich längst gefüllt, betritt die erste Band die Bühne und legt los. Brega, die populäre Musik aus dem Nordosten Brasiliens, hallt in die laue Nacht. Erst gegen Mitternacht kehrt Ruhe ein und die Familien machen sich mit Kind und Kegel auf den Heimweg. Das ist die Zeit, in der sich die vielen kleinen Livemusik-Klubs langsam füllen und sich Pärchen nach den heißen Rhythmen des Tecno Bregas zu winden beginnen, als ob es kein Morgen gäbe.
Zur gleichen Zeit machen sich dutzende Lastkähne im Regenwald von Amazonien auf den Weg nach Belém. Sie sind schwer beladen mit einer Frucht, die gerade den zweiten Boom in der 400-jährigen Geschichte der Stadt ausgelöst hat. Sorgte vor gut 100 Jahren Kautschuk für den märchenhaften Reichtum der Gummibarone, ist es heute die kleine Beere einer Palme, die die Klasse der Açaí-Barone entstehen ließ.
Belém ist keine brasilianische Schönheit – aber eine sympathische Stadt. Foto: Marc Vorsatz Foto: Marc Vorsatz
Viele Geschäfte und Restaurants findet man in der historischen Altstadt. Foto: Marc Vorsatz Foto: Marc Vorsatz
Auf einem Markt zeigt eine Brasilianerin Viagra natural, einer Kräutertinktur aus dem Regenwald. Foto: Marc Vorsatz Foto: Marc Vorsatz
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Um drei Uhr morgens landen die ersten Schiffe an der Hafenmole unterhalb der alten Festungsanlage Forte do Castelo. Mehrere Tausend zentnerschwere Körbe mit Açaí-Beeren wechseln dann den Besitzer auf dem Feira do Açaí Markt. Der Bedarf ist gewaltig. Allein im Restaurant Boulevard Point do Açaí in der Nähe der aufwendig restaurierten Docks werden an einem einzigen Tag 1 200 Kilogramm der Vitamin-Bomben verbraucht. Seit sich der Ruf der nährstoffreichen Beere weit über die Grenzen Amazoniens hinaus verbreitet hat und die Frucht seit 2005 sogar exportiert wird, haben sich die Preise verdreifacht. Das einstige Arme-Leute-Essen wird heute als Beilage mit Maniok oder als Smoothie in hippen Gourmettempeln von Rio de Janeiro bis New York serviert. Armen Bauern wie Ronaldinho Freitas hat die Palmfrucht Reichtum beschert. Er ist einer von Dutzenden Açaí-Baronen aus dem riesigen Amazonas-Delta.
INFORMATION
Anreise: Mit TAP Portugal von Frankfurt via Lissabon direkt nach Belém, ab 866 Euro, www.flytap.com.
Pauschal: Gateway Brazil bietet eine deutschsprachig geführte Tagestour durch Belém an. Inklusive Emílio Goeldi Museum, Mittagessen und Besuch des Ver-o-Peso Marktes sowie der historischen Altstadt, ab/bis Hotel für 200 Euro pro Person, www.gateway-brazil.de.
Auskunft: Allgemeine Infos unter www.embratur.gov.br sowie unter www.belem.pa.gov.br.
Und wie schmeckt denn nun eigentlich diese sagenumwobene Açaí? Gewöhnungsbedürftig, sagen die meisten Leute von Übersee. Göttlich, wissen die Einheimischen. Maria Bruna ist sich sogar sicher, dass die Açaí-Beere süchtig machen kann. Die Aufseherin im Jugendknast von Belém weiß, wovon sie redet. Hat sie doch am eigenen Leibe Entzugserscheinungen gespürt, als sie mal eine Weile auf die Superfrucht verzichten musste. Da war Maria Au-pair-Mädchen in Hamburg und hat Deutsch gelernt. Das nutzt ihr jetzt mindestens zweimal im Jahr. Nämlich immer dann, wenn die Kreuzfahrtschiffe Aida oder die Hanseatic mit deutschen Touristen an Bord den Amazonas hochschippern und einen Zwischenstopp in Belém einlegen.
Und überhaupt hat die Hafenstadt im fernen Amazonien den ein oder anderen Bezug zu Deutschland. So auch im Museum Paraense Emílio Goeldi, das einen Zoo mit amazonischer Tierwelt, einen Park voller exotischer Pflanzen sowie eine an-thropologische und naturhistorische Ausstellung vereint. Es war die deutsche Ornithologin Emilie Snethlage, die ab 1905 in dem Museum arbeitete und selbiges von 1914 bis zum Jahre 1921 leitete.
Die Stadt hat – trotz permanent knapper Kassen – viele Projekte ins Leben gerufen, um Jugendliche gegen kleines Entgelt zu fördern und ihnen so eine Orientierungshilfe bei der Berufsfindung zu geben oder sie einfach von der Straße zu holen. Frei nach dem Motto, wer töpfert oder singt, schnüffelt keinen Klebstoff und raubt keinen Laden aus.
Die meisten sehenswerten Geschäfte und Restaurants findet man in der historischen Altstadt, die noch immer koloniale Züge trägt und sich charmant von der Hochhausarchitektur der Neuzeit abhebt. Die Küche in Belém ist geprägt vom gigantischen Amazonas-Flusssystem mit seinen Süßwasserfischen und vom Meeresgetier des nahen Atlantik sowie vom größten Regenwald der Welt, der eine schier unendliche Fülle an hierzulande völlig unbekannten Früchten liefert.
Diese Vielfalt kann man von Montag bis Samstag auf dem Markt von Belém, auf dem Ver-o-Peso, bestaunen und verkosten. Von Chilischoten und Cashewnüssen über Viagra natural, einer Kräuter- und Wurzeltinktur aus dem Regenwald, bis hin zum Amazonaswels wird feilgeboten, was ess- und trinkbar ist. Alles ist frisch und die Atmosphäre ist so, wie sie nur auf einem Markt sein kann. Direkt, ehrlich, herzlich. Der Besuch auf dem Ver-o-Peso ist ein Muss in Belém.
Wer nach so viel Metropole doch mal dem Gewusel entfliehen möchte, hat die Qual der Wahl am Tor zu Amazonien. Einfach auf die vorgelagerten verträumten Inseln mit ihren kleinen Açaí-Plantagen oder doch lieber mit einem Amazonasdampfer für ein paar Tage auf dem Fluss der Flüsse stromaufwärts Richtung Santarém und Manaus? Bei Alter do Chão in der Nähe von Santarém mutet der Amazonas fast karibisch an. Schneeweiße breite Sandstrände säumen die Ufer des Rio Tapajós und in der Pousada Nirvana do Tapajós ist man der Zivilisation fast vollständig entflohen. Kein Fernseher, kein Internet, ja nicht einmal Handyempfang.
Nach ein paar Tagen völliger Entspannung kann man dann einfach dem Weg der Açaí folgen. Auf einem legendären Amazonasdampfer flussabwärts Richtung Belém.