Samstag,
10.10.2015 - 01:00
5 min
Schottische Traditionen werden auf Cape Breton Island in Kanada gepflegt
Von Alexa Christ

Jedes Jahr im Oktober wird auf Cape Breton das Celtic Colours Festival mit traditioneller Folkmusik gefeiert. Foto: Alexa Christ ( Foto: Alexa Christ)
Ciad mìle fàilte“, begrüßt Seamus Watson die kleine Besuchergruppe im Freilichtmuseum. Tausendmal herzlich willkommen. In der Sendung mit der Maus würde es jetzt heißen: „Das war Gälisch.“ Diese eigentümlich klingende Sprache ertönt in den nächsten Stunden noch oft. Es wäre kaum der Rede wert, wenn wir uns in Schottland oder Irland befinden würden. Tun wir aber nicht. Wir sind im Osten Kanadas. Auf Cape Breton Island, dem nördlichen Ende der Provinz Nova Scotia. Der 72-jährige Seamus Watson, der in seinem dicken braunen Wollpullover, der grauen Schirmmütze und der grob gewirkten Hose aussieht, als wolle er gleich zur Gabel greifen, um den Stall auszumisten, wechselt ins Englische. „Die Schätzungen gehen auseinander, aber 30 000 bis 50 000 Schotten waren es, die im 18. und 19. Jahrhundert nach Nova Scotia kamen. Die meisten stammten aus den Highlands oder von den Inseln – vor allem von den Äußeren Hebriden – und siedelten sich insbesondere hier auf Cape Breton Island an.“ Seamus breitet die Arme aus und umfasst so alles, was sich den Augen der Besucher darbietet – sattes, grünes Gras. Wald, der jetzt im Oktober in den schönsten Indian-Summer-Farben leuchtet. Sanft gerundete Buchten. Und natürlich das tiefe Blau des Atlantischen Ozeans, der so schön in der Sonne funkelt. Am linken Blickfeldrand bohrt eine zuckergusssüße kleine weiße Holzkirche ihren Turm in den strahlenden Himmel.
Eine ältere Frau in grauem Leinenrock und weißer Schürze kommt vorbei. Mit freundlichem Lächeln lädt sie die Besucher in ihr kleines Holzhäuschen ein. Dort sitzt bereits eine jüngere Frau in ähnlicher Kleidung und spinnt Wolle von Hand. Ja, genau so wie im Freichlichtmuseum Highland Village muss das hier vor 200 Jahren ausgesehen haben, als die schottischen Siedler ihren Fuß in diese ihnen noch unbekannte, fremde Welt setzten, die sie prompt Nova Scotia – „Neuschottland“ nannten. Kein Wunder, erinnert diese felsige, zerklüftete Insel mit ihren vielen Bergen, Tälern, Flüssen und Seen doch tatsächlich an die schottischen Highlands.
In dem kleinen Siedler-Häuschen laufen die Darsteller derweil zur Hochform auf. Seamus Watson verwickelt die jüngere Frau, die sich als Mairead ni’n Thomas Ian vorstellt, in ein Gespräch. „Ich finde es erstaunlich, wie gut dein Englisch ist – wo hast du es gelernt?“ „Margaret, die uns in unserem ersten Winter hier bei sich aufgenommen hat, hat es mir beigebracht“, antwortet Mairead, die im wahren Leben Shay MacMullan heißt. Ihre Vorfahren wanderten 1841 von den Äußeren Hebriden nach Cape Breton aus.
Wenn die 38-Jährige nicht gerade im Freilichtmuseum eine schottische Siedlerin des 19. Jahrhunderts spielt, unterrichtet sie Gälisch. Dabei hat sie die Sprache selbst erst vor sieben Jahren gelernt. Warum? „Ich hatte den Eindruck, dass es eigentlich meine Muttersprache ist, nur dass ich sie leider nicht zuerst gelernt habe“, erklärt die Frau mit den langen schwarzen Haaren. Und dann erzählt sie von ihrem Großvater, der noch Gälisch sprach, nur dass ihm das als Kind „herausgeprügelt“ wurde, weshalb er die Sprache nicht an seine Kinder weitergab. „Dabei steckt im Gälischen so viel Stolz“, sagt sie. Als Seamus sie – nun wieder in ihrer Rolle als Mairead – auffordert, den Besuchern ein Lied vorzutragen, stimmt sie sofort eines an. Natürlich in der Sprache ihrer Vorfahren. Für die Siedler, die zu Beginn noch keine Instrumente besaßen, war es ein Zeitvertreib bei der Arbeit oder bei sozialen Zusammenkünften. „Am Anfang geht es in den Songs darum, wie schlimm sie es hier finden, überall nur dunkle Wälder. Sie vermissen ihre Heimat“, erzählt Mairead / Shay. „Aber das ändert sich ganz schnell, und dann besingen sie die Schönheit von Cape Breton.“
INFORMATIONEN
Anreise: Flug zum Beispiel von Frankfurt nach Halifax, mit Condor ab 280 Euro. Dann weiter mit dem Mietwagen über den Canso Causeway nach Cape Breton Island.
Übernachten: Zum Beispiel im herrlich altmodischen Inverary Resort, das 1850 am Ufer des Bras d’Or Lake erbaut wurde. DZ ab 119 Dollar, http://capebretonresorts.com/our-resorts/inverary-resort. Auch sehr schön und einsam gelegen: Glenora Inn & Distillery in Mabou, sehr gemütliche Zimmer und Chalets direkt bei Nova Scotias einziger Whisky-Destillerie, sehr gute Küche, DZ ab 140 Dollar, www.glenoradistillery.com.
Festival: Das Celtic Colours Festival findet in diesem Jahr vom 9. bis 17. Oktober statt, www.celtic-colours.com.
Freilichtmuseum: Im Highland Village Museum lernt der Besucher viel über die Lebensweise der ersten schottischen Siedler, geöffnet vom 1. Juni – 19. Oktober, Eintritt: 11 Dollar pro Person, http://.highlandvillage.novascotia.ca.
Ausflugstipp: Wer noch mehr über die keltische Musik erfahren will oder selbst einmal das Fiddle spielen ausprobieren möchte, kann dies im Celtic Music Interpretive Centre in Judique, www.celticmusiccentre.com.
Übernachten: Zum Beispiel im herrlich altmodischen Inverary Resort, das 1850 am Ufer des Bras d’Or Lake erbaut wurde. DZ ab 119 Dollar, http://capebretonresorts.com/our-resorts/inverary-resort. Auch sehr schön und einsam gelegen: Glenora Inn & Distillery in Mabou, sehr gemütliche Zimmer und Chalets direkt bei Nova Scotias einziger Whisky-Destillerie, sehr gute Küche, DZ ab 140 Dollar, www.glenoradistillery.com.
Festival: Das Celtic Colours Festival findet in diesem Jahr vom 9. bis 17. Oktober statt, www.celtic-colours.com.
Freilichtmuseum: Im Highland Village Museum lernt der Besucher viel über die Lebensweise der ersten schottischen Siedler, geöffnet vom 1. Juni – 19. Oktober, Eintritt: 11 Dollar pro Person, http://.highlandvillage.novascotia.ca.
Ausflugstipp: Wer noch mehr über die keltische Musik erfahren will oder selbst einmal das Fiddle spielen ausprobieren möchte, kann dies im Celtic Music Interpretive Centre in Judique, www.celticmusiccentre.com.
Die Schönheit einer Insel, die sich bis heute bemüht, ihr keltisch-schottisches Erbe zu bewahren. Ortsschilder sind durchweg zweisprachig. Hier gibt es Nordamerikas einzige Brennerei für Single Malt Whiskey. Etliche Golfplätze laden zum schottischen Nationalsport ein, und Tartanmuster zieren Decken, Handtücher oder Gardinen. Klingt nach Kitsch? Stimmt nicht. Die Bewohner Cape Bretons fühlen sich dem kulturellen Erbe ihrer Vorfahren verpflichtet, so einfach ist das.
Besonders deutlich wird das in ihrer Musik. Es gibt sicherlich keine andere nordamerikanische Region, die über eine derart reiche musikalische Tradition verfügt. Deshalb findet auf Cape Breton auch jedes Jahr im Oktober das Celtic Colours Festival statt. Neun Tage voller Jigs und Reels, lebhafter Fiddle Tunes, schmissiger Stepptänze und sehnsuchtsvoller gälischer Gesänge.
Legendär sind die Festival Nights in Baddeck, ganz im Süden der Insel. Ein kürbisgelber Highschool-Bus fährt die Besucher im Shuttle zum Gaelic College, in dem man sonst Gälisch üben, Geige- oder Dudelsackspielen, Stepptanz oder Kilt-Nähen lernen kann. Auch wenn das Festival über ganz Cape Breton verteilt ist, so befindet sich hier in Baddeck das Epizentrum – der Ort, an dem sich die Begeisterung für die mitreißende Folk-Musik der Insel wie in einer Eruption entlädt. „Man ist hier so nah dran an den Musikern. Es ist wie eine große Familie“, schwärmt Steve Maines aus Connecticut, der seit 2008 jedes Jahr zu Celtic Colours kommt und frenetisch Beifall spendet, als der Tänzer Nic Gareiss mit einer bunt zusammengewürfelten Band auf die Bühne tritt. Es sind alle Instrumente der Folkmusik vorhanden – Gitarre, Geige, Mandoline, Flöte, Bodhran (Trommel). Der junge Tänzer stampft mit seinen Füßen aberwitzige Percussionlaute in den Boden, liefert sich ein kleines Improvisationsduell mit der Geige und quittiert die ekstatischen Jubelrufe des Publikums mit breitem Lächeln. Dann löst ihn Lokalmatador Mac Morin ab, der aus dem Ort Troy auf Cape Breton stammt. Der Mann mit den schwarzen Locken lässt den Bogen über die Saiten der Fiedel hüpfen und legt lässige Stepp-Einlagen hin. Doch seine wahre Meisterschaft offenbart sich erst, als er am Piano Platz nimmt und seine Finger nur so über die Tasten fliegen lässt. Wer hätte gedacht, dass ein Flügel Tunes erzeugen kann wie die Geige?
Es ist zwei Uhr nachts. Die Stimmung kocht. Immer mehr Leute tanzen, andere holen sich ein Frühstück aus der Cafeteria zur Stärkung. Bis vier Uhr wird es schon noch gehen, dann fährt der letzte Shuttle-Bus. „Ordentlich feiern“, ruft einer der Gäste fröhlich und hebt wie zum Toast sein Bierglas, „das gehört einfach zu unserer schottischen Tradition!“