Die Tempelanlage Tiger‘s Nest ist auf einem schmalen Felsvorsprung errichtet worden. Foto: Jochen Müssig
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Und jetzt nur noch 800 Stufen – nachdem zwei Stunden steil bergauf schon bewältigt sind. Meist wortlos, denn die Luft ist dünn. Das Ziel der Tour heißt Tiger’s Nest, 3 120 Meter hoch gelegen, knapp 1 000 Höhenmeter über dem Tal von Paro. Die in eine steile Felswand gebaute Tempelanlage ist das Postkartenmotiv des Landes. Oben angelangt sagt Saamdu Chetri: „Möge uns dieser Besuch Freude, Friede, Harmonie, Liebe und Glück bringen“. Seine Schüler werfen sich im Haupttempel ostentativ auf den Boden: Die Demutsgebärde wirkt ungeschmeidig, eckig, europäisch. Seine Schüler sind Niederländer. Und dieser Saamdu Chetri ist nicht nur ihr Guru. Er ist seit gut zwei Jahren Mönch und jeder in Bhutan kennt ihn: als den Manager des Glücks im Land.
Bruttonationalglück. Was für ein Begriff. Es sei wichtiger als das Bruttoinlandsprodukt, gab der vierte König in den 70er-Jahren zu Protokoll, denn die Wirtschaftsentwicklung müsse einhergehen mit Bhutans Kultur, Natur und buddhistischen Werten. Der König setzte eine Kommission für das Bruttonationalglück ein – und Saamdu Chetri als ihren Direktor.
Das Kloster Taktsang, das Tigernest, ist dauerhaft bewohnt von einem Abt und drei Mönchen sowie zwei Polizisten, die jeweils einen Monat in einem Häuschen stationiert sind. „I am lucky“, sagt der eine, denn er muss nicht wie manche Handwerker oder Restauratoren täglich nach oben marschieren. Der Felsvorsprung, auf dem das Tigernest gebaut wurde, fällt abrupt senkrecht in die Tiefe. „Es entstand 1692, nachdem Guru Rimpoche auf einem Tiger angeflogen kam und auf dem Felsvorsprung meditierte“, sagt Saamdu.
INFORMATION
Anreise: Es gibt keine Direktflüge nach Bhutan. Sehr gut sind die Verbindungen von Qatar Airways via Delhi oder Bangkok und von dort weiter mit Drukair nach Paro, www.qatarairways.com, www.drukair.com.
Veranstalter: Jeder Bhutan-Reisende muss sich in die Hände eines Reiseveranstalters geben und einen Tagessatz von 250 US-Dollar pro Tag bezahlen. Meist reicht dieser Mindestsatz für gehobene Ansprüche aber nicht aus. Eine Privattour mit Flügen, Führer, Unterkünften, Vollpension und komfortablen Fahrzeugen, die die äußerst schlechten Straßenverhältnisse einigermaßen ausgleichen, kostet bei Rose Travel für eine Woche gut 7 000 Euro, www.rosetravel.de, www.amanresorts.com.
Auskunft: Bhutan Tourism, die touristische Repräsentanz für die deutschsprachigen Länder, Karl-Marx-Allee 91A, 10243 Berlin, 0 30-42 08 49 43
www.tourism.gov.bt.
Bhutan ist voll solcher Mythen und Legenden. Jeder 15. der 750 000 Einwohner ist ein Mönch, darunter unzählige Lamas, also Reinkarnierte. „Ja, wir wurden belächelt für unseren Glücksbegriff“, sagt der Guru beim Abstieg. „Aber wir wurden auch von der Uno eingeladen, ihn zu erklären“. Guru – noch so ein Begriff, den Europa gerne auflädt seit Baghwans orangefarbenen Zeiten. Dabei bedeutet Guru nichts anderes als Lehrer. Und der Lehrer spricht nun unentwegt, denn abwärts geht das leichter: Er referiert von 33 Indikatoren in neun Kategorien, wie etwa Gesundheit, Bildung, Umwelt, die das bhutanesische Glück definieren. Und er spricht – Stichwort Umwelt – ganz praktisch vom Müll, der überall entlang des Weges herumliegt. „Schaut euch um, alles Konsummüll! Dosen, Tuben, Plastik“. Er hebt eine leere Dose Cola auf, schaut sie an, als sei sie das Symbol fürs Unglücklichsein:
Unten im Tal erscheint das Glück zuweilen aber durchaus arm: Viele Wohnungen sind nicht beheizt, Straßenarbeiter schlagen die Steine für Befestigungen noch manuell mit dem Hammer. Und nicht nur in der wunderschönen Gangtey-Hochebene laufen manche Menschen mit Filzpantoffeln oder gar Slippers und Strümpfen im Schnee, denn richtige Winterschuhe sind für viele zu teuer. Saamdu Chetri weiß das. Und dennoch sieht er sein kleines Land, eingezwängt zwischen den Riesenstaaten China und Indien, auf dem richtigen Weg.
Dem Bruttonationalglück ist nicht leicht beizukommen, weil vieles mit der tief verwurzelten buddhistischen Denkweise zusammenhängt. Aber für den Außenstehenden wirkt es wie eine Mischung aus viel Buddhismus und etwas Sozial-Romantik. Es ist normale Politik, aber wo immer es geht, ist sie sozialer, menschlicher.
Werbung für Konsumgüter ist nicht erlaubt, die Abgabe von Plastiktüten verboten und Zigaretten aus Indien sind nur unter dem Ladentisch zu bekommen. Fast-Food-Lokale sind unbekannt, dafür wächst Marihuana am Straßenrand. Es gibt keine Verkehrsampel im Land, maximal fünfstöckige Häuser und die Nationaltracht ist in Ämtern, Tempeln und bei der Arbeit Pflicht. Da ist der Gho für die Männer, ein Rock, der mit Kniestrümpfen und Halbschuhen getragen wird, und die Kira, das bodenlange Kleid für die Frauen. Der Nationalsport heißt Bogenschießen und das Besteigen von Gipfeln oberhalb von 6 000 Metern ist nicht gestattet. Sie gehören einzig den Göttern. Damit hat Bhutan die letzten unerklommenen 7 000er der Welt. Das wiederum klingt alles wie von einer anderen Welt. Ist es auch, denn Bhutan, in der Fläche in etwa so groß wie die Schweiz, war bis in die 60er-Jahre komplett abgeschottet. Es gab keine eigene Währung, kein Telefon, keine Post, keine Schulen, Krankenhäuser und auch keine Straßen. Da musste dem Glück ja auf die Sprünge geholfen werden.
Heute fummelt jeder zweite Mönch an seinem Handy herum, auch Saamdu. „Die Dinger sind kein Glück, nur eine Hilfe. Wir haben auch Fernsehen und keine Internetseite ist geblockt. Bhutan weiß, was draußen passiert“, sagt er. „Und wir haben uns inzwischen weitgehend dem Tourismus geöffnet“. Die Straßen sind zwar erst im Bau und die bergigen Streckenführungen lassen so manches Unwohlsein aufkommen. Erst seit 1974 dürfen jedes Jahr 5 000 bis zuletzt maximal 34 000 Besucher ins Land, die allerdings einen beträchtlichen Tagessatz von 250 US-Dollar löhnen müssen. Backpacker und Billigtrekker bleiben somit draußen. Das Land ist schlicht zu teuer für die meisten von ihnen. „So kann der Tourismus unsere Kultur und Tradition nicht zerstören“, erklärt Saamdu, Doktor der Wirtschaftswissenschaften. Bhutan will kein zweites Nepal werden. Aber Bhutan braucht trotzdem das Geld aus dem Tourismus, um das Glück des Landes bezahlen zu können. Auch das sagt Saamdu nicht so deutlich. Buddhistische Zurückhaltung meidet klare Worte.
Das gilt freilich nicht, wenn es um die Schönheit der Berge geht, die treppenartig von 200 Metern im Süden bis zu den ewig schneebedeckten Gipfeln des Himalaja auf mehr als 7 000 Meter ansteigen. „Wir haben das Glück, dass wir uns selbst ernähren können: Reis, Kartoffeln, Gemüse, Obst, sogar Papayas und Mandarinen – alles wächst bei uns“, erklärt Saamdu. Und wenige Kilometer weiter gehts steil hinauf ins unwirtliche ewige Eis. Überall flattern die Gebetsfahnen, drehen sich die Gebetsmühlen, wandeln weinrot gekleidete Mönche. Die mächtigen Klosterburgen, Dzongs genannt, sind Heimat von bis zu 300 von ihnen. Dumpf dröhnt daraus der Klang der mächtigen Trommeln, monoton klingen die Mantras der Mönche. Weihrauch liegt in der Luft. Es scheint als habe sich seit dem 17. Jahrhundert, als etwa der Dzong von Paro erbaut wurde, kaum etwas verändert.
Das alles zu sehen un d zu erleben, ist das tägliche Glück für den fremden Besucher. Auch das weiß Saamdu ganz genau, „trotzdem müssen wir auch im Tourismus nachhaltig arbeiten“. Harmonie ist gefragt. Und da steht das „Amankora“ in der ersten Reihe. Dieses „Aman“ ist kein Resort, wie man es aus Phuket, Bali oder anderswo kennt. Das „Amankora“ – übersetzt: Amanreise – liegt über fünf Täler verteilt, jedes mit individuellem Charakter und einer großartigen Bergkulisse: in Paro gebaut wie ein bhutanesisches Dorfhaus aus gestampftem Lehm, in Gangtey und Bumthang sind es Berglodges, Punakha ist eine Königsresidenz und Thimphu gibt sich streng und mächtig wie ein Dzong.
Die Zahlen sprechen für sich: Im World Happiness Report der Vereinten Nationen landet Bhutan im Mittelfeld auf Platz 79 (1. Schweiz, 26. Deutschland), während es nach dem Bruttonationalprodukt weltweit ziemlich am Ende auf Platz 177 rangiert (1. USA, 4. Deutschland). So gesehen möchte man hoffen, dass das Bruttonationalglück noch lange den Ton angibt im verwunschen schönen Bhutan.