Samstag,
10.10.2015 - 01:00
5 min
Mongolei: Im Land der Schamanen
Von Andrea Lammert

Pferde gehören für die Nomaden im Norden des Landes zum Alltag. Foto: Tibor Fuisz ( Foto: Tibor Fuisz )
W ie kleine Kis-sen breitet sich Moos unter den Lärchen aus. Stetig sprudelt klares Wasser zwischen den Steinen hervor, formt sich zu einem Rinnsal und weiter zu einem Bach. Ranger Turmusurkh Jal kniet langsam nieder, krempelt die Ärmel seines beigen Hemdes hoch und nimmt mit bloßen Händen ein paar Schluck direkt von dem hervorquellenden Wasser: „Das hilft bei Magenproblemen, probier mal.“ Das Wasser schmeckt frisch und weich – auch ohne Magenzwicken. „Man kann es auch vorbeugend trinken“, rät der mongolische Naturschützer und lächelt. Seine Heimat, die Ulan-Taiga, ist übersät mit Seen und 1 000 Quellen – für fast jedes Leiden eine. Woher man weiß, welche man wie nehmen muss? Das ist für den Umweltschützer ganz klar: „Wir fragen unsere Schamanen.“ Davon gibt es im Norden der Mongolei viele. Schließlich soll die Naturreligion hier ihre Wurzeln haben. „Wir haben selbst gegen Kopfschmerzen, wenn man zu viel Wodka getrunken hat, passende Quellen“, erklärt der Ranger. In manchen badet man, bei manchen halte man spezielle Diäten ein. Auf jeden Fall glauben viele Mongolen fest daran, dass es wirkt.
Hier im Norden der Mongolei ist das Wasser noch rein und klar, es gibt weder Städte noch Industrie, sogar Straßen sucht man vergeblich. Autos, kleine Lkw und Motorräder fahren auf breiteren Feldwegen von Dorf zu Dorf, 160 Kilometer dauern auf diese Weise drei bis vier Stunden – Entschleunigung auf mongolisch. So ist die Ulan-Taiga ein sehr unberührtes Gebiet an der Grenze zu Sibirien.
Mit acht Monaten Frost und Schnee ist der Winter extrem lang. Hier wachsen Bäume drei- bis viermal langsamer als in Deutschland. „Deswegen arbeiten wir hart daran, unser empfindliches Ökosystem zu schützen“, sagt Jal, der gemeinsam mit seinen 35 Rangerkollegen die 10 000 Quadratkilometer Schutzgebiet bewacht. Die Fläche ist immerhin so groß wie halb Hessen und noch fast unerschlossen. Das lockt nicht nur Wilderer, sondern auch Goldgräber.
„Illegale Goldgräber waren bis vor einigen Jahren unser größtes Problem“, berichtet der Ranger und seine braunen Mandelaugen schauen in die Ferne. Mehr als 7 000 Glücksritter haben noch vor fünf Jahren im Winter unter den Eisschichten nach Gold gesucht. Auch Dalaibayar, der hier seine Hütte stehen hat. Ein Camouflage-Käppi schützt seinen Kopf, in sein Gesicht haben Kälte und raue Lebensbedingungen Kerben und Falten hineingeschnitzt. Der kräftige Mann in dem brombeerfarbenen traditionellen Wollmantel der Mongolen stammt aus Ulan-Ul. Bis vor acht Jahren hat er als Nomade auf Yaks und Schafe aufgepasst. Doch dann kam der Dsud, der strenge Winter, der all seine Tiere – und damit sein Vermögen und Einkommen – dahingerafft hat. „Ich musste meine Familie ernähren und es ging das Gerücht um, dass hier Gold zu finden sei.“ Also zog er in die Taiga, brannte mit Feuern Löcher in den Schnee, um an die Schätze zu gelangen. In einem einfachen Zelt hat er bei minus 40 Grad draußen geschlafen.
INFORMATION
Anreise: Ab Frankfurt gibt es sonntags Direktflüge mit Mongolian Airlines (MIAT) nach Ulan-Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Die Flüge kosten ab 1 200 Euro. Um nach Ulan-Ul und zum Hovsgol-See zu kommen, braucht man einen Inlandsflug nach Moron, er kostet ab 200 Euro, ausgeführt von Hunnu Air oder Aero Mongolia Airlines.
Pauschalangebote: bietet unter anderem der spezialisierte Veranstalter Mongolei-Reise an: Eine 18-tägige Tour in den Norden der Mongolei kostet ab 2 650 Euro, 0 30 - 46 60 49 24 www.mongolei-reise.de. Der Veranstalter Hauser bietet Exkursionen in die Mongolei an, die 17-tägige Tour zum Hovsgol-See kostet 3 750 Euro, 0 89 - 2 35 00 60, www.hauser-exkursionen.de.
Allgemeine Info: Auskünfte über die Mongolei erteilt die Botschaft der Mongolei in Berlin, 0 30 - 4 74 80 60, www.botschaft-mongolei.info
Pauschalangebote: bietet unter anderem der spezialisierte Veranstalter Mongolei-Reise an: Eine 18-tägige Tour in den Norden der Mongolei kostet ab 2 650 Euro, 0 30 - 46 60 49 24 www.mongolei-reise.de. Der Veranstalter Hauser bietet Exkursionen in die Mongolei an, die 17-tägige Tour zum Hovsgol-See kostet 3 750 Euro, 0 89 - 2 35 00 60, www.hauser-exkursionen.de.
Allgemeine Info: Auskünfte über die Mongolei erteilt die Botschaft der Mongolei in Berlin, 0 30 - 4 74 80 60, www.botschaft-mongolei.info
„Das war eine schlimme Zeit“, erinnert sich auch Ranger Jal. Bäume wurden in großer Zahl abgeholzt, Müll verschmutzte Bäche und Wiesen. „Wir mussten die Goldgräberei stoppen.“ Offiziell erzählt er, wie er gezielt Gerüchte gestreut hat, dass den Goldgräbern hohe Strafen winkten, wenn sie erwischt würden. „Wir haben angefangen, unser Gebiet regelmäßig zu kontrollieren, und viele verwarnt oder auch verhaftet.“ Doch indirekt ist es wohl auch der Hilfe der Schamanen zu verdanken, dass die einst 7 000 Goldgräber heute abgezogen sind. Immerhin haben die meisten Mongolen großen Respekt vor den Kräften der Medizinmänner. In vielen Familien wird diese Tradition vom Vater auf Söhne oder Töchter weitergegeben. So ist es auch bei Tsevegdorj Batbayar. Er ist Schamane in der 13. Generation und sitzt mit Turmusurkh Jal und Dalaibayar am Feuer vor einer hellen großen Jurte und gibt eine Runde Schnupftabak aus. Während der trockene Yak-Dung eine gute Flamme macht, die genügend räuchert, um die Mücken zu vertreiben, blickt der Schamane auf den Himmel, an dem ein Schwarzmilan seine Kreise zieht. Batbayar runzelt seine Stirn sorgenvoll. „Die Goldgräber haben Mutter Erde beklaut. Das werden sie noch viele Jahre zu spüren bekommen.“ Sein Blick geht verstohlen zu dem ehemaligen Goldgräber. „Wer bei uns nach Gold gegraben hat, bei dem ist großes Unglück in die Familien gekommen. Kinder sind gestorben, Unfälle passiert, Krankheiten ausgebrochen – es hat großes Leid gebracht.“
Das hat auch Dalaibayar inzwischen eingesehen. „Gold ist zerstörerisch, die Gier danach hat unsere Menschlichkeit aufgefressen“, erinnert er sich an seine Zeit als Ninja-Goldgräber. „Ich habe andere beklaut, wurde selbst bestohlen und habe meine Familie und Freunde verloren. Es gab sehr viele Unglücke, Krankheiten und sogar Morde an diesem Platz, der zuvor so friedlich war.“ Das hat ihn letztendlich zum Umdenken bewegt. Er wollte seinen Schaden wieder gut machen und ließ sich zum Ranger ausbilden. Jetzt beschützt er die Natur, sucht nach Spuren von Luchsen oder Wölfen, kontrolliert die Bäche und heiligen Quellen und führt die wenigen Touristen, die kommen, gerne zu besonderen Plätzen. „Ich möchte wenigstens ein Stück wieder gut machen von dem, was ich angerichtet habe“, sagt er. Zudem brauchte er eine Einnahmequelle, denn das Gold, was er ausgegraben hatte, war so schnell wieder verloren, wie er es gefunden hatte.
Der Schamane Tsevegdorj Batbayar nickt. Doch es werde noch lange dauern, bis das Leid vergehe. Damit so etwas nicht wieder passiert, hat sich inzwischen auch deutsche Hilfe hier eingeschaltet. Die deutsche Umweltschutzorganisation Global Nature Fund (GNF) aus Radolfzell setzt sich mit der EU für den Schutz der Region ein. Ranger werden ausgebildet, Ausstattung wie Fotoapparate und Funkgeräte zur Verfügung gestellt und Infomaterial gefördert. Immerhin hat die Mongolei das Gebiet nördlich des 50. Breitengrades inzwischen besonders geschützt – dort darf nicht nach Bodenschätzen gegraben werden.
Doch die Mongolei ist im Wandel. Zwar setzen die Menschen hier nicht mehr auf Goldgräberei, aber das Land fördert gezielt seinen Tourismus, baut Straßen und Zeltlager. „Es ist wichtig, dass wir dabei trotzdem unsere Natur schützen und den Tourismus nachhaltig ankurbeln“, erklärt Jal. Übernachtungen in Jurten bei Nomadenfamilien, Wanderwege und spirituelle Begegnungen sollen ausgebaut werden. „Wir haben die heiligen Quellen und die Schamanen, darauf müssen wir aufbauen“, sagt Jal und fährt weiter zum nächsten Gewässer – eine Quelle gegen Kopfschmerzen. „Hilft auf jeden Fall, wenn man zuviel Wodka getrunken hat“, sagt er und braust weiter.