Dienstag,
20.08.2019 - 11:00
5 min
Raja Ampat: Kinderstube für den Indischen Ozean

Von Katja Hink
Lokalredakteurin Odenwälder Echo

Der Meeresbiologe Dr. Charles Anderson beobachtet Vögel. (Foto: Katja Hink)
Das Schlauchboot liegt ruhig im flachen Wasser. Sekunden zuvor ist der Motor mit einem letzten Blubbern verstummt. Und schon wird Vogelgezwitscher und das schrille Zirpen der Zikaden hörbar. Bäume klammern sich an steil aufragenden Kreidefelsen fest. Hier, in Piaynemo, wird Raja Ampat spürbar: Inseln mit weitgehend unberührten Wäldern, gesunde Korallenriffe, ein schier unglaublicher Fischreichtum zeichnen das im Osten Indonesiens gelegene Archipel aus. Der Reiseleiter und Meeresbiologe Dr. Charles Anderson zückt sein Fernglas. Auf dem Rand des Schlauchboots balancierend, beobachtet er Kakadus, die zwischen den Bäumen fliegen. Am Himmel ziehen zwei Seeadler ihre Kreise. Einige der Passagiere tun es ihm nach und greifen ebenfalls zum Fernglas.
Zehn Tage lang sind 14 Gäste mit dem Hotel-Schiff „Mermaid I“ in der Inselwelt unterwegs. Diese sogenannten „Liveaboards“, von denen laut Cruise-Director Marc Chicano rund 80 in Raja Ampat fahren, sind noch immer das Mittel der Wahl, um das Archipel zu erkunden. Die Schiffe fassen dabei zwischen vier bis 20 Personen.
Die Vögel zu identifizieren ist für die Reiseteilnehmer eine leichte Übung. Noch niemandem ist dagegen eine abschließende Bestimmung der Meeresbewohner, der Korallen- und Fischarten gelungen. Doch man geht davon aus, dass in Raja Ampat rund 80 Prozent der weltweit bekannten Korallenarten vorkommen, dazu rund 1400 Fischarten und knapp 30 Meeressäugetiere. Das gesamte Gebiet ist Anwärter auf den Status Unesco-Weltnaturerbe. Selbst das zehnmal größere australische Great Barrier Reef weist deutlich weniger Arten auf.
„Hier gibt es mehr Arten von Korallen, mehr Arten von Rifffischen als irgendwo sonst auf der Welt“, fasst es Anderson zusammen. Der aus England stammende Meeresbiologe forscht seit mehr als 30 Jahren im Indischen Ozean und bietet naturkundliche Reisen an. „Das sogenannte Korallendreieck ist das Epizentrum der biologischen Vielfalt. Dazu gehören auch der Westen Indonesiens, Teile der Philippinen, Papua Neuguinea, die Solomonen. Das Zentrum davon ist Raja Ampat.“ Und Raja Ampat ist das Zentrum des indopazifischen Raums, der sich erstreckt von Ostafrika über den Indischen Ozean, durch Südostasien, das Korallendreieck, bis hin zur Mitte des Pazifiks. „Was eine gewaltige Fläche ist.“
INFORMATIONEN
Raja Ampat heißt übersetzt das Reich der vier Könige. Damit gemeint sind die vier Hauptinseln Misool im Süden, Salawati und Batanta im Osten und Waigeo im Norden. Zu Raja Ampat gehören rund 1800 Inseln. 2010 zählte der Regierungsbezirk Raja Ampat 60 386 Einwohner. (Quelle: Wikipedia)
Reisezeit: Die beste Reisezeit ist von November bis Mai, danach beginnt der Monsun mit starkem Wind. Für das Bereisen der Inselwelt von Raja Ampat erhebt die Regierung derzeit eine Gebühr von 200 Euro pro Person. Das Geld soll der Entwicklung der Region zugute kommen.
Reisezeit: Die beste Reisezeit ist von November bis Mai, danach beginnt der Monsun mit starkem Wind. Für das Bereisen der Inselwelt von Raja Ampat erhebt die Regierung derzeit eine Gebühr von 200 Euro pro Person. Das Geld soll der Entwicklung der Region zugute kommen.
Die Region galt bislang als Geheimtipp unter Tauchern. Doch seit einigen Jahren gibt es von mehreren indonesischen Städten aus regelmäßige Flüge nach Sorong in West-Papua, dem Einfallstor für Touristen in Raja Ampat, was die Anzahl der Gäste aus aller Welt schnell wachsen lässt. Von dieser Hafenstadt aus starten Fähren auf größere Inseln, auf denen in den vergangenen Jahren einige kleine Resorts oder „Homestays“ entstanden. Längst kommen nicht mehr nur Taucher, sondern auch andere Erholungsuchende. Doch wie sich der schnell wachsende Tourismus auf die Meereswelt auswirken wird, ist noch nicht klar. „Da Raja Ampat in der Taucherszene als ein Ort gilt, den man besucht haben sollte, wird es wohl betriebsamer werden. Aber wie sich das langfristig auswirken wird, ist noch nicht abzusehen“, so Anderson.
Doch in Raja Ampat wird die rasante Entwicklung auch mit Sorge gesehen. „Es geht in eine Richtung, die mir zu denken gibt. Die Region verändert sich so schnell, die Menschen haben kaum die Chance, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten“, sagt dazu beispielsweise Jonas Müller. Der gebürtige Schweizer ist Mitgründer der Nichtregierungs-Organisation „Child Aid Papua“, die seit gut vier Jahren Lernzentren auf verschiedenen Inseln betreibt und mit diesem kostenlosen Bildungsprogramm derzeit rund 600 Kinder und junge Erwachsene erreicht. Neben dem klassischen Schulunterricht werden vor allem Englisch und Meereswissenschaft unterrichtet, der Bevölkerung unter anderem die Bedeutung von Umweltschutz und nachhaltigem Handeln vermittelt. Erst Anfang August hat die Organisation eine weitere Schule eröffnet.
„Vor 15 Jahren noch hatten die Bewohner der Inseln von Raja Ampat kaum Kontakt zur Außenwelt“, schildert Müller. „Die Menschen werden total überrumpelt.“ Er fügt hinzu: „Der Tourismus in Raja Ampat wurde für viele Einheimische zur Goldgrube. So sind unzählige Homestays in den letzten zwei Jahren aus dem Boden geschossen.“ Doch häufig fehle es bei den Unterkünften für Touristen an der Infrastruktur. Abwasser werde nach wie vor ins Meer geleitet, ebenso lande der Abfall direkt oder indirekt im Meer.
Jonas Müller kam 2014 selbst als Tauchtourist nach Raja Ampat, sah aber schnell die Probleme und baute die Hilfsorganisation auf. Doch es sei auch klar, dass der Tourismus nicht aufzuhalten ist. Deshalb sei es auch eines der Ziele von Child Aid Papua, die Menschen bei diesem Entwicklungsprozess zu begleiten, ihnen zu vermitteln, dass sich Naturschutz und nachhaltiges Handeln langfristig auszahlen, denn „die Touristen kommen wegen der Fische und Korallenriffe“, betont Jonas Müller.
Die Reise mit Charles Anderson unterscheidet sich von den üblichen Tauchsafaris. Zwar wird auch hier zweimal am Tag geschnorchelt oder getaucht. Dazwischen aber kreuzt das Schiff in tieferem Wasser, um Walen und Delfinen zu folgen. Nicht nur den erst 2015 beschriebenen Omuras Wal bekommen die Reisenden zu sehen, sondern auch einen Pottwal, hunderte Spinner-Delfine, die auf der Bugwelle des Schiffes surfen, Manta-Rochen, die wie fliegende Teppiche aus dem Wasser springen, und eine Gruppe Seekühe, die gemächlich ihrer Wege zieht. Außerdem werden in der Morgendämmerung die Paradiesvögel auf Waigeo beobachtet, und die 310 Stufen zum Aussichtspunkt auf Piaynemo erklommen. Abends gibt der Meeresbiologe Erläuterungen, unter anderem zu den Meeressäugern.
Unter Wasser wird die enorme Artenvielfalt sichtbar. Egal ob in Yenbuba, an den Inseln Kri und Keruo oder rund um die Insel Batanta: Die Korallen bilden riesige Unterwassergärten und sind die ideale Kinderstube für den Fischnachwuchs, aber auch Heimat des Teppichfransenhais, der nur zwischen Raja Ampat und Nordaustralien vorkommt und in der Nähe von Korallenriffen lebt. Die Riffe sind weitgehend intakt. Die Korallenbleiche, die aufgrund der Erwärmung der Meere zunimmt, hat hier nicht stattgefunden. „Diese Region hat immer etwas wärmeres Wasser, sodass die Korallen daran gewöhnt sind. Auch wenn das Wasser abkühlt, schadet es den Korallen nicht“, schildert Charles Anderson.
Von Raja Ampat aus verbreiten sich die Fische und Korallen und sorgen so auch für die Artenvielfalt im Indischen Ozean. Wie genau das geschieht, ist allerdings noch nicht endgültig erforscht. „Dazu gibt es derzeit viele Theorien“, sagt Anderson. Er betont „die Bedeutung dieses Ökosystems ist vergleichbar mit dem des Amazonas-Regenwaldes. Wird der zerstört, hat es Auswirkungen auf das weltweite Klima. So ist es auch mit dem Ökosystem Raja Ampat.“ Derzeit besteht sogar die Hoffnung, dass die von der Korallenbleiche geschädigten Riffe in umliegenden Regionen, wie das Great Barrier Reef vor Australien, von hier aus wieder besiedelt werden.