Von Tahiti zu den Marquesas: Südsee-Kreuzfahrt mit dem Frachtschiff
Von Carsten Heinke
Zement, Diesel, Zucker oder Bier: Die Aranui (hinten) versorgt die Südsee-Inseln (hier Ua Huka) – und nimmt getrocknetes Kokosnussfleisch mit nach Papeete, wo es zu Öl verarbeitet wird. Foto: Carsten Heinke
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Keine anderen Orte der Welt sind so weit von den Kontinenten entfernt wie die geheimnisvollen Marquesas im südlichen Pazifik. Vulkangeboren und von tropischer Sonne verwöhnt, vereint der zu Französisch-Polynesien gehörende Archipel atemberaubende Landschaften mit exotischer Kultur voller Mystik. Die schönste Art, die Inseln zu entdecken, ist eine Fahrt mit dem Schiff. Bis zu 19 Mal im Jahr geht das Passagierfrachtschiff Aranui 5 von Tahiti aus auf große Fahrt, um Südsee-Träume zu erfüllen.
„25 Grad, 36 Minuten“, sagt Käpt’n Bligh. Dann geht die Sonne unter. Am anderen Morgen ist Land in Sicht. Die Silhouette von Tahiti erscheint am Horizont. Mit viel Gefühl und riesigem Orchester segelt die Bounty in die Cook-Bucht. Die gehört zwar in Wirklichkeit zur Nachbarinsel Moorea – aber wen interessiert das schon, wenn es dort aussieht wie auf der Verpackung eines Bounty-Riegels. Nun strömen von allen Seiten Polynesierinnen herbei, um den Seeleuten ihre nackten Brüste zu zeigen und sie mit Blumenketten und Küssen zu überschütten.
Vielleicht war es keine so gute Idee, im Flugzeug „Die Bounty“ (USA, 1984) anzusehen. Kaum etwas hat das Südseeklischee so geprägt wie die fünf Verfilmungen der Geschichte des legendären Segelschiffs (insbesondere „Die Meuterei auf der Bounty“ von 1961 mit Marlon Brando). Man erwartet in der Realität etwas Ähnliches, zumindest ein paar Blumenmädchen.
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Doch es ist nicht die Bounty, sondern ein Airbus der Air Tahiti Nui, mit dem ich in Tahiti lande – 24 Stunden nach dem Start in Paris und kurzem Zwischenstopp in Los Angeles. Und es ist der korrekt gekleidete Chauffeur vom Shuttle-Service, der mir eine Blumenkette umhängt. Es ist schon spät, tröste ich mich, die Tänzerinnen haben Feierabend und sicher müde Hüften. Vor dem Hotel geht ohnehin bald schon die Sonne auf. Zum ersten Frühstück unter Palmen gibt es frische Mangos und süße, grüne Pampelmusen. Dem ersten Bad im endlos blauen Ozean folgt der erste Sonnenbrand in Französisch-Polynesien.
Fast vier Millionen Quadratkilometer groß ist dieses Überseegebiet von Frankreich. Doch nur 130 Inseln und Atolle verkrümeln sich darin. Die schönsten davon werde ich auf einer ganz speziellen Rundreise erleben: mit einer Fahrt auf dem Passagierfrachtschiff „Aranui 5“. Am Morgen sticht der schicke Kahn im Hafen von Papeete in See.
Zement, Diesel, Zucker oder Bier: Die Aranui (hinten) versorgt die Südsee-Inseln (hier Ua Huka) – und nimmt getrocknetes Kokosnussfleisch mit nach Papeete, wo es zu Öl verarbeitet wird. Foto: Carsten Heinke Foto: Carsten Heinke
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Der Schiffslautsprecher spricht Französisch, Englisch und Deutsch – in diesem Fall gerade mit leichtem Thüringer Akzent. Es ist Jörg, der Guide aus Erfurt, Jahrgang ’71. Seit acht Jahren fährt der gelernte Hotelfachmann auf Aranui-Schiffen und könnte sich nichts Besseres denken. „Ich mag die Ruhe und Gelassenheit, mit der hier alles passiert und von der man unwillkürlich angesteckt wird“, sagt der gutgelaunte Wahl-Polynesier.
Sein legerer Sommer-Freizeit-Look unterscheidet sich kaum von dem der Gäste. Eine Kleiderordnung gibt es nicht, auch nicht im Restaurant. Wer will, kommt dann und wann mal etwas schicker. Sakkos oder Abendkleider sucht man jedoch vergebens auf dem charmant-entspannten Kreuzfahrtschiff. Dem ersten Landgang auf der Koralleninsel Takapoto folgt ein ganzer Tag auf See. Zeit zum Lesen und zum Kennenlernen. Nach dem Fest am Abend gibt es keine Fremden mehr an Bord.
Als die Sonne um halb sechs über Fatu Hivas tropengrünen Felsentürmen aufgeht, hat der Arbeitstag für die Matrosen längst begonnen. Einer holt per Kran die Ladung aus dem Bauch des Schiffes, andere manövrieren die am Haken baumelnden Paletten, Kisten, Fässer und Säcke auf das wackelige Frachtboot, bauen abenteuerliche Stapel und bugsieren sie an Land. Zement und Diesel, Zucker, Bier und Feinfrostfleisch – alles, was man auf einer weit vom Rest der Welt entfernten Südseeinsel zum Leben braucht. „Außer zwei Dörfern gibt es hier nur Felsen, Regenwald und Palmen. Was die Männer an Bord bringen, ist vor allem Kopra, das getrocknete Fleisch der Kokosnüsse. In Papeete wird Öl daraus gewonnen“, verrät Jörg.
INFORMATIONEN
Anreise: Mit Air Tahiti Nui in Kooperation mit Air France, Tickets von Deutschland über Paris und Los Angeles nach Papeete und zurück, ab 2300 Euro, www.airtahitinui.com.
Schiffsreise: 14-tägige Tour mit dem Passagierfrachter Aranui 5 von Papeete über Takapoto zu den Marquesas-Inseln und zurück über Rangiroa und Bora Bora, rund 2500 Kilometer, mit Vollverpflegung, Ausflügen und Steuern, in der Doppelkabine ab 4089 Euro pro Person; im Gemeinschaftsraum mit vier oder acht Personen ab 2529 Euro; in der Präsidentensuite mit Balkon bei Doppelbelegung pro Person ab 7732 Euro, www.aranui.com.
Hotels: Für Übernachtungen vor oder nach der Schiffsreise empfiehlt sich das Tahiti Nui (4 Sterne) unweit des Hafens in Papeete; für ein paar zusätzliche Nächte das preiswerte „Les Tipaniers“ (3 Sterne) oder das Sofitel (4,5 Sterne) auf Tahitis Nachbarinsel Moorea, buchbar zum Beispiel bei Dertour, www.dertour.de.
Tahitis Hauptstadt ist Start- und Endpunkt dieser ungewöhnlichen Mission, bei der Güter und Gäste transportiert werden. Die aktuelle Route führt über Takapoto – und auf dem Rückweg über Rangiroa und Bora Bora – zu den fast 1500 Kilometer entfernten Marquesas. Fatu Hiva ist eine davon. 14 Inseln gehören zu dem Archipel ganz im Osten von Französisch-Polynesien. „Knapp 10 000 Menschen leben hier. Per Luftfracht können sie nicht versorgt werden, da sich die vier Inselflugplätze nur für kleine Maschinen eignen“, erklärt Jörg. Deshalb läuft fast der komplette Warenaustausch über den Pazifik ab. Seeweg oder „Großer Weg“ heißt auf polynesisch „Aranui“. Was lag näher, als die Schiffe dieser Route selbst so zu benennen?
„Das erste 1984 hatte 27 Passagiere an Bord. Waren die Kabinen ausverkauft, schlief man draußen auf dem Deck“, erzählt Kapitän Vatea Sitjar. Der heute 38-Jährige begleitete als Kind manchmal seinen Vater, der Schiffsarzt auf der Aranui war. Mit jedem neuen Schiff wuchsen die Zahl der Kabinen und der Komfort. Die „Zwei“ bot schon bis zu 90 Gästen Platz, die „Drei“ schließlich 200.
Seit etwas mehr als einem Jahr ist nun die Aranui 5 im Dienst. Die Vier wurde von der chinesisch-stämmigen Eigentümerfamilie übersprungen, da sie als Unglückszahl gilt. Ausgestattet mit sechs Kabinenkategorien vom Achter- oder Vierer-Schlafsaal bis zur 41 Quadratmeter großen Präsidentensuite, kann das moderne Schiff bis zu 254 Passagiere aufnehmen.
Viele von ihnen stehen jetzt trotz früher Stunde auf dem obersten Deck vor der Kommandobrücke. Sie verfolgen das Landemanöver und Löschen der Fracht oder genießen einfach den majestätischen Anblick der wellenumtosten Steilküste im Morgenlicht.
Für viele wird die 17 Kilometer lange Wanderung durch die waldigen Täler, Berge und Schluchten von Fatu Hiva zum Höhepunkt der Reise. Der sensationelle Endspurt dieser Tagestour führt durch die „Bucht der Jungfrauen“, die diesen Namen einem Übersetzungsfehler verdankt. Tatsächlich heißt sie wegen der phallisch geformten Felsen „Penis-Bucht“.
Sowohl im Aussehen als auch kulturell und historisch hat jede der Marquesas ihre Eigenheiten. Dazu zählen insbesondere die alten Kultstätten mit ihren Tikis (Götterskulpturen) und Petroglyphen – in Stein gemeißelte Bilder und Symbole. Die bedeutendste ist Ipana auf Hiva Oa. Dort steht neben der größten Steinfigur von 2,43 Metern auch die merkwürdigste – eine gebärende Priestergöttin. Ein ebenso heiliger Ort ist Tohua Koueva auf Nuku Hiva, dessen Berggipfel wie Sandkleckerburgen in den Himmel ragen. Trommelklang und wilde Schreie hallen durch den Dschungel. Wir laufen zu einer riesigen Banyan-Feige, die jahrhundertelang als Friedhof und Opferstätte diente. Vor dem 15 Meter dicken Stamm des uralten Baumes tanzen halbnackte Kraftprotze mit furchteinflößenden Gebärden. Jörg versichert mir, dass sie eigentlich sehr nett seien.
Schließlich zeigt mir der Erfurter den Brotfruchtbaum, dessen Frucht bei fast keiner polynesischen Mahlzeit fehlt. Ähnlich wie die Kartoffel, mit der sie auch im Geschmack verwandt ist, isst man sie frittiert, gekocht oder gebraten und vollreif sogar roh – als Beilage, Salat, Suppe oder Mus. Aus dem getrockneten Fleisch der bis zu zwei Kilo schweren, hellgrünen Früchte wird Mehl gemahlen, ebenso aus ihren nussartigen Samen. „Zerstampft und fermentiert, ist ‚Popoi‘ viele Jahre haltbar“, so der Guide.
Die Rinde des tropischen Maulbeergewächses wird genutzt, um Tapas – Stoffe für Tücher, Decken und Kleider – herzustellen. Inzwischen ist der aus Polynesien stammende Brotfruchtbaum in vielen tropischen Ländern zuhause. Genau genommen gab er einst den Anstoß für Tahitis Ruhm als Südseeparadies. Schließlich war er der Grund für die berühmte „Meuterei auf der Bounty“. Als billigen Nahrungsproduzenten für ihre Sklaven wollten die alten Briten den Baum auf den karibischen Inseln einführen. Um Stecklinge zu holen und nach „Westindien“ zu bringen, segelte Kapitän William Bligh im Auftrag König Georges III. zwei Mal nach Tahiti. Ausgerechnet die erste Reise 1888 mit der Bounty, die durch die Meuterei der Crew erfolglos blieb, ging in die Geschichte ein und machte die Inseln Polynesiens berühmt.