Auch Nichtskifahrer machen im Berner Oberland Winterurlaub
Von Anna Tillmann
Der „First Cliff Walk“ bietet spektakuläre Aussichten. Rund um den Fels ist ein Weg angebracht, der den Blick nach unten und zur Seite freigibt. Schwindelfreiheit braucht es spätestens auf der Hängebrücke. Foto: Anna Tillmann
( Foto: Anna Tillmann )
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Im Waldhüttli ist es noch kalt, als wir eintreten. Die einfache Holzhütte hat weder Stromanschluss noch Heizung. Tino Fuchs steht am Herd, der mit Feuerholz betrieben wird. Wenn die Scheite darin erst einmal brennen, wird es warm im Raum – aber so lange müssen wir warten. Und die Zeit mit Wolldecken überbrücken. Wir sind früh dran, Tino fängt gerade erst an, zu kochen.
Dunkel ist es draußen trotzdem schon. Eine dünne Schneeschicht liegt über dem Wald und am Himmel blinken zwischen den Wolken ein paar Sterne. Obwohl das Waldhüttli nur wenige Höhenmeter über der Ortschaft Wengen liegt, sind am Berg keine störenden Lichtquellen auszumachen. Wäre es hell, könnte man hoch oben den Gipfel der Jungfrau erahnen. Draußen riecht es nach Neuschnee. Im Waldhüttli breitet sich mit der Wärme aus dem Herd auch ein intensiver Käseduft aus. Es gibt Raclette und Fondue.
Tino Fuchs hat sich mit dem Waldhüttli einen Traum erfüllt. Er kocht traditionell schweizerisch. Der Einfachheit halber stehen auf der Speisekarte nur zwei Gerichte. Das hat sich bewährt. Dass es so viel Käse gibt, hat einen Grund, oder vielmehr, einen Namen. Pamela. So heißt die Kuh, die die Milch für den Käse gibt. Es ist Tinos einzige Kuh. Den Sommer über steht sie mit den Kühen der Wengener Bauern auf der Alm. Ihre Milch wird in einer nahegelegenen Molkerei zu Käse weiterverarbeitet. Dem Käse, den Tino im Waldhüttli serviert.
INFORMATIONEN
Anreise: Mit der Bahn ist man ab Mainz, Wiesbaden oder Frankfurt in rund sechs Stunden in Wengen.
Schlafen: Sunstar Wengen, gemütliches 4-Sterne-Hotel mit sehr gutem Essen, Sauna und Schwimmbad, ab 130 Euro in der Hauptsaison, Dorfstrasse, 3823 Wengen, 0041 - 33 856 52 00, www.sunstar.ch.
Essen: Zum Beispiel im Waldhüttli, Wengen, Reservierung erforderlich, 0041 - 079 44 87 1 24, www.forest-hut.ch.
Pamelas Milch reicht genau für den Jahres-Käseverbrauch im Waldhüttli. Im Sommer gibt die Kuh etwa 20 Liter Milch am Tag. Daraus können rund zwei Kilo Käse produziert werden.
Das Klingeln von Tinos Handy durchdringt die Hütte, als er gerade Raclette-Käse in dicken Scheiben von einem Laib abschneidet. Er nimmt das Gespräch an. Als er auflegt, lacht er. „Engländer! Die finden den Weg nicht.“ Dabei kennen gerade die Engländer sich in diesem Teil der Schweiz gut aus. Sie waren es, die die Region einst touristisch erschlossen. 1863 führte ein gewisser Thomas Cook, Gründer des gleichnamigen Reiseunternehmens, erstmals englische Touristen durch die Jungfrauregion. Ein jährlicher Wander- oder Wintersport-Urlaub in den Schweizer Bergen gilt bei den Briten in gewissen Kreisen auch heute noch als unverzichtbar.
Bis zu 25 Menschen finden im Waldhüttli Platz. Zehn sind wir schon. Als die Engländer die Hütte erreichen, wird es drinnen enger und lauter. „Wir kommen jedes Jahr nach Wengen“, erzählt einer der neuen Gäste. Im Waldhüttli aber sind sie zum ersten Mal.
Die Jungfrauregion war einst einer der Hauptschauplätze des Alpinismus. Die Erstbesteigung des Mönch gelang 1857, ein Jahr später war der Eiger zum ersten Mal bezwungen. Die Nachrichten hatten Sogwirkung und so kamen immer mehr Engländer und Deutsche sowie Iren und Amerikaner, um es den meist einheimischen Erstbesteigern gleichzutun.
Heute finden immer mehr Japaner den Weg ins Berner Oberland. Die Jungfrau lockt den Besuch aus Fernost. Das Jungfraujoch ist ohne größere Anstrengung per Zahnradbahn zu erreichen. Die Fahrt führt im Tunnel durch Eiger und Mönch und dauert rund zweieinhalb Stunden. „Der Reiseplan von japanischen Besuchern sieht meist so aus: Übernachtung und Uhrenkauf in Interlaken, mit dem Zug rauf zur Jungfrau, Fotos machen, dann wieder mit dem Zug runter und direkt weiter nach Genf, Zürich oder Mailand“, erzählt Raphaela Zihlmann. Die Tourismusexpertin weiß, wovon sie redet.
Genau wie ihre Kollegin Jana Marggi. „Viele Asiaten unterschätzen das Bergklima. Selbst im Hochsommer kann es oben bitterkalt sein. Einmal hatten wir eine japanische Touristin in Sandalen und Sommerkleid. Die konnten wir so nicht in den Schnee lassen“, erinnert sich Marggi an einen besonders dramatischen Fehltritt. „Sie stand kurz vor der Unterkühlung, also mussten wir sie zwingen, im Warmen zu bleiben.
Wie rau dieses Klima sein kann, merken wir beim Besuch des Schilthorns, wo wir von einem Schneesturm überrascht werden. Auf dem 2 970 Meter hohen Berg beginnt die steilste Skipiste des Gebiets: Sie hat ein Gefälle von bis zu 75 Prozent. Trotz schlechter Sichtverhältnisse sind hier Skifahrer und Snowboarder unterwegs.
Am Rand der Piste steht ein Schild: High Heels verboten. Wir trauen uns selbst in Wanderschuhen nicht weiter, so glatt und steil ist der Abhang – wie sich das wohl erst auf Skiern anfühlen muss? Zum Glück aber muss man auch gar nicht Skifahren hier oben. Das Berner Oberland wartet im Winter auch abseits der Pisten mit einigen Highlights auf. Auf dem Gipfel des Schilthorns zum Beispiel fasziniert ein James Bond-Museum Filmfans aus aller Welt. Etwas weiter unten lädt das Bergdorf Mürren zum Spaziergang über die autofreien Straßen ein. Rund um die Stadt Grindelwald locken kurze und längere Winterwanderwege, die je nach Schneelage mit Wanderschuhen oder mit Schneeschuhen begangen werden können.
So belohnt etwa der Royal Walk auf den Gipfel des Männlichen mit wunderschöner Rundum-Sicht. Der First Cliff Walk führt die Besucher um eine mächtige Felssteilwand herum – unter den Füßen nur ein Gitter und an den Händen ein Geländer. Darunter ein Abgrund. Von der First geht es weiter zum Bachalpsee, der im Winter genauso schön anzusehen ist wie im Sommer.
Wer es adrenalingeladener mag, kann sich beim Paragliden, Eisklettern oder Abseilen seine Portion Nervenkitzel holen – oder aber von Stechelberg aus die zahlreichen Basejumper beobachten, die sich von den Steilwänden rund um die kleine Gemeinde in die Tiefe stürzen und waghalsige Stunts zeigen.
Und wer sich die Schweizer Bergwelt lieber einfach nur durch den Magen gehen lassen will, kommt im Waldhüttli garantiert auf seine Kosten. Der Besuch in der Berghütte lässt sich von Wengen aus gut mit einer ein- bis zweistündigen Schneeschuhwanderung kombinieren. Abends und nachts ist das ohne Taschenlampe noch schöner. Dann leuchten die Sterne umso strahlender vom Himmel.