Der kleine Ort Scurcola Marsicana ist ein italienisches Bilderbuchdorf in den Abruzzen. Foto: Alexa Christ
( Foto: Alexa Christ
)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
Meine italienische Wahl-Oma – meine Nonna – finde ich gleich am ersten Abend: Es ist die 82-jährige Adelina, die so funkelnde braune Augen und hübsche schneeweiße Löckchen hat – für mich quasi Liebe auf den ersten Blick. Ich treffe sie in meiner Unterkunft, der Locanda Incantata, einem wunderschönen Bed & Breakfast, das von Alessia und Massimo geführt wird. „Ciao, Alexa, du kommst gerade rechtzeitig zum Pastamachen“, grüßt mich Alessia voller Herzlichkeit, und ich merke sofort: Diese Reise wird anders.
Und so ist es auch gedacht, denn schließlich gehört das malerische Scurcola Marsicana in den Abruzzen zur Vereinigung der Borghi Autentici d’Italia, zu den authentischen Dörfern Italiens. Wer hier Urlaub macht, wird unweigerlich zu einem Teil der Gemeinschaft, so das Konzept. Deshalb heißt es auch gleich Ärmel hochkrempeln und ran an den Teig.
Alessias Tante Berardine und ihre Nachbarin – meine bezaubernde Adelina – wollen mir zeigen, wie echte Fettucine gemacht werden. Dazu nehme man Mehl, Ei und ein bisschen Wasser. „Feste, feste, mit beiden Händen!“, ruft mir Berardine aufmunternd zu, während ich zum ersten Mal Pastateig knete. Derweil entbrennt zwischen den beiden italienischen Nudel-Expertinnen eine heftige Diskussion. Darf man den Teig mit einer Nudelmaschine ausrollen oder muss das per Hand geschehen?
Der kleine Ort Scurcola Marsicana ist ein italienisches Bilderbuchdorf in den Abruzzen. Foto: Alexa Christ Foto: Alexa Christ
Gemeinsames Abendessen mit den italienischen Gastgebern. Foto: Alexa Christ Foto: Alexa Christ
Alte Häuser stehen in den engen Gassen. Foto: Alexa Christ Foto: Alexa Christ
Autorin Alexa Christ (Mitte) knetet gemeinsam mit den italienischen Frauen Teig. Foto: Alexa Christ Foto: Alexa Christ
4
Pasta gab es früher immer nur sonntags, weil das so viel Arbeit ist und da die ganze Familie zusammenkommt. Ein gutes Stichwort. Heute ist zwar nicht Sonntag, dennoch findet sich kurz darauf die halbe Sippe ein – erst Guglielmo, Berardines Sohn, der in Rom Geschichte studiert, dann Massimo, der schnell noch für die Pasta wilden Spargel gepflückt hat, und schließlich Carla, eine Freundin von Alessia. Flugs ist der Tisch gedeckt, und es wird richtig aufgefahren – Bruschetta, Bohnen, Pasta, Käse, Salami, Brot, Kuchen, Gebäck und Wein. Wie hat Jan Weiler in seinem Bestseller „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ so schön geschrieben? Es sei ein Wunder, dass das Volk der Italiener noch nicht geplatzt sei. Wohl wahr, mit vollem Bauch sinke ich an diesem Abend ins Bett und schlafe den Schlaf der Überfütterten.
INFORMATION
Unterkunft: Locanda Incantata: Bed & Breakfast in einem Gebäude aus dem 16. Jahrhundert hoch über dem historischen Dorfkern von Scurcola Marsicana. Die Besitzer Alessia und Massimo bieten neben lokaler Küche auch Aktivitäten wie Gartenarbeit, Malkurse, Yoga, Wanderungen, Ausflüge zu Pferd oder per Rad an. DZ ab 80 Euro, www.locandaincantata.com
Auskunft: Die Vereinigung der authentischen Dörfer Italiens bietet Urlaubsmöglichkeiten in ganz Italien, www.borghiautenticiditalia.it.
Am nächsten Morgen wartet Valerio Marocchi bereits auf mich. Er ist der sogenannte Dorfengel, dessen Aufgabe darin besteht, Urlauber auf einem Rundgang durch den Ort zu begleiten und sie mit den Bewohnern bekannt zu machen. Der 27-Jährige studiert Naturwissenschaften, produziert Honig, träumt von einem eigenen kleinen Selbstversorger-Bauernhof und wohnt im alten Ortskern von Scurcola. Und der sieht aus wie gemalt. Enge Gassen schlängeln sich immer höher den Berg hinauf. Die strahlend helle Frühlingssonne entblößt an den betagten Häusern die verträumte Patina einer vergangenen Epoche. Der mächtige Palazzo Orsini aus dem 13. Jahrhundert etwa verfällt in schleichender, einsamer Grandezza.
Still ist es hier oben. Merkwürdig leer. Wo sind die Menschen? „Von den 800 Häusern im alten Zentrum sind nur etwa 100 bewohnt“, erklärt Valerio. „Den meisten ist es zu mühsam, hier täglich ihre Einkäufe hinauf zu schleppen.“
Deshalb spielt sich das Leben eher im unteren Teil des Dorfes ab. Der kleine Ort ist ein italienisches Bilderbuchdorf. Gefühlt hängt mindestens vor jedem zweiten Haus ein buntes Sammelsurium an Wäsche zum Trocknen in der Sonne. Für die 2 500 Einwohner gibt es stattliche sieben Kirchen, deren Hausherr natürlich der Pfarrer ist. Don Nuntio begegnen wir auf der großen Piazza Risorgimento, der Schlagader des Dorfes. „Ach, selbst im katholischen Italien gehen nur noch ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung in die Messe“, klagt der Geistliche sein Leid und eilt von dannen, weil er noch eine Beerdigung vorbereiten muss. Derweil wenden wir uns profaneren Dingen zu und kehren in die örtliche Metzgerei ein. Schließlich dreht sich in Italien fast alles ums Essen. Als ich da die Salamis verführerisch von der Decke baumeln sehe, bekomme ich auch prompt Appetit. „Magst du mal probieren?“, fragt Metzger Ugolino mit breitem Lächeln und schneidet gleich ein Stückchen ab. Lecker!
Das Fleisch bekommt er von Bauern aus der Gegend. Bauern wie Giuliano. Den Schäfer treffen wir am Fuße des Dorfes bei seiner Herde auf der Weide. Von hier hat man einen traumhaften Blick auf Scurcola, das sich vor einer hohen Bergkette mit schneebedeckten Gipfeln postkarten-perfekt abhebt. Schnell kosten wir Giulianos Ricottakäse, der so schön cremig ist, dann ziehen wir weiter.
Fünf Bars gibt es im Ort. Eine davon sollte mindestens zweimal am Tag aufgesucht werden – mittags auf einen Espresso, abends auf einen Aperitivo. Bei Emiliana und Gian Luigi in der Bar La Venere gleich gegenüber der großen Piazza wartet bereits Bürgermeister Vincenzo. Ich stelle fest, dass außer mir nur Männer in der Bar sind. Wo stecken die Frauen? „Die kochen gerade das Abendessen“, gibt Vincenzo zu – völlig unbekümmert darüber, ob das chauvinistisch wirken könnte. Dann schleppt er mich zu seiner Tante Ilde, die bereits den Tisch gedeckt hat. Wieder einmal erlebe ich, was italienische Gastfreundschaft bedeutet und was ein Magen hier zu leisten hat. Nach Spaghettini folgen Salsiccia, pikante Würste mit Bohnen, dann gebackene Kartoffeln und schließlich Pizza di pasqua, ein riesiger Kuchen mit viel Orangeat, wie er zur Osterzeit üblich ist. Als der serviert wird, hat Cousine Angela bereits die Fotoalben herausgeholt und zeigt mir begeistert Bilder von den Osterprozessionen im Ort – und von dem kleinen Vincenzo im weißen Kapuzenmantel. Der große Vincenzo wird darüber ein kleines bisschen rot.
Auch an diesem Abend falle ich wohl genährt ins Bett. In Scurcola könnte ich noch eine ganze Weile bleiben. Doch jetzt muss ich mich erst mal von all den liebenswerten Menschen verabschieden, die ich hier kennengelernt habe – allen voran meiner Wahl-Nonna Adelina. Sofort drängt mich die alte Dame in ihr kleines Häuschen und besteht darauf, dass ich noch einen Likör mit ihr trinke. „Komm bald wieder!“, gibt sie mir auf den Weg. Das mache ich bestimmt.