Samstag,
14.11.2015 - 01:00
6 min
Familienurlaub in Schweden

Von Petra Jung
Lokalredakteurin Mainz

Begegnungen mit Elchen sind nicht einzigen Erlebnisse in Smålands Wäldern. Foto: Petra Jung ( Foto: Petra Jung)
Meine Tochter ist verliebt. Mit 14 Jahren ist das kein Wunder, meinen Sie? Dann sollten Sie ihren „Neuen“ mal sehen: Helge hat eine Schulterhöhe von geschätzten 1,80 Meter, riecht für meinen Geschmack eindeutig zu streng und ist zu alt für meine Tochter. Und dann überall dieses Fell… Trotzdem: Süß ist er doch, dieser Helge – ein äußerst zutraulicher Elch in „Grönasens Elchpark“ im schwedischen Örtchen Kosta. Und während sich Helge von seiner neuen Freundin ausgiebig streicheln und füttern lässt, erklären die Park-Eigentümer Gill und Patrik unserer kleinen Reisegruppe, warum uns bei der Anreise in freier Wildbahn eines der Tiere so abrupt vor den Bus gelaufen ist, dass unser Fahrer Tommy nur durch eine Vollbremsung einen Unfall verhindern konnte: „Wenn die Muttertiere Babys haben, werden die einjährigen Jung-Elche verstoßen und irren dann einsam durch die Wälder.“
Es ist nicht die einzige Begegnung, die wir in den Wäldern Smålands haben. Insgesamt drei Tage sind wir unterwegs im „kleinen Land“, der südlichsten Wildnis von Schweden, die viel mehr zu bieten hat als „nur“ auf den Spuren von Pippi Langstrumpf zu wandeln. Gleichwohl werden wir schon direkt nach der Ankunft, als wir in der Stadt Jönköping aus dem kleinen Flugzeug klettern, mit Astrid Lindgren konfrontiert. Camilla Peterson Skude von der Agentur „Smålands Turism“ zeigt uns neben dem wundervollen See „Otten“ die anderen Schönheiten ihrer Heimatstadt: Etwa das weltweit einzige Streichholzmuseum. Und sie erzählt, dass sie mit der Bestsellerautorin verwandt ist: „Meine Großmutter war eine Cousine zweiten Grades von Astrid Lindgren.“ Und als unsere sympathische Reisebegleitung auch noch gesteht, dass sie denselben Friseur wie die schwedische Königin Silvia hat, wird ein Wesenszug der Smålander klar: Sie lieben Geschichten!
Diese dürfen gern auch mystisch sein und in den bereits erwähnten teils undurchdringlich scheinenden Wäldern spielen. Die vermeintlich beste hat Ellen Nystedt auf Lager, Eigentümerin einer Husky-Farm 30 Kilometer nordwestlich von Jönköping. Sie erzählt die Geschichte von dem im Jahr 1850 hingerichteten Mörder, der irgendwo in dem 10 000 Hektar großen Waldgebiet begraben liegt, das an ihre Farm grenzt: „Seitdem der Mann dort bestattet wurde, liegen bis zum heutigen Tag immer frische Blumen auf seinem Grab – und niemand weiß, wer sie dort ablegt. Sogar das Fernsehen hat hier schon Kameras aufgestellt – um Mitternacht aber fiel die Technik aus, das Licht ging aus – und als es wieder anging, lagen neue Blumen auf dem Grab.“ Als Ellen noch ergänzt, dies sei „the spookiest place in sweden – der gruseligste Ort in Schweden“, können die U-18-Teilnehmer unserer Reisegruppe – zwischen 9 und 14 Jahre alt – nur mit Mühe davon abgehalten werden, auf Erkundungstour zu gehen. Die Fahrt mit dem Hundeschlitten, vor den die Kinder die zutraulichen Huskys spannen dürfen, bringt die Jugendlichen schnell auf andere Gedanken.
Es ist faszinierend zu sehen, wie Ellen Nystedt es schafft, dass selbst extrem ängstliche Menschen innerhalb weniger Minuten die Scheu vor den Hunden verlieren. Das liegt vermutlich auch an der ruhigen Art Ellens, die sich wie Balsam auf gestresste Seelen legt. Dabei hat die Husky-Farm-Besitzerin, die auch ein kleines Gästehaus betreibt, selbst erst vor wenigen Jahren ein Managerdasein in der Stadt gegen das Leben mit und in der Natur getauscht. Irgendwie will man sich gar nicht lösen von diesem geheimnisvollen Ort mit seinem Wildfluss, der in der Nähe rauscht, seinen bemoosten Hängen und hohen Bäumen.
Småland ist wie ein großes, idyllisches Bilderbuch. Dieser Eindruck verfestigt sich beim Besuch des Städtchens Gränna an den Ufern des Sees Vättern und der vorgelagerten Insel Visingsö. „Polkagrisarna“ heißen die rot-weiß-grün-gestreiften Zuckerstangen, für die Gränna berühmt ist und die einem hier aus beinahe jedem Schaufenster entgegen leuchten (sogar die Mülltonnen sind hier rot-weiß – wie im Bilderbuch eben).
INFORMATIONEN
W Unterkunft: Zum Beispiel in Ullinge das Hotel Gyllene Uttern, www.gylleneutternhotelgroup.com. Oder im Lake Åsnen Resort Getnö Gård, www.getnogard.se.
W Freizeitaktivitäten: Elchpark in Kosta, www.moosepark.net. Husky-Farm in der Nähe von Jönköpping, www.turochnatur.se. „Little Rock Lake Zip Line“ zwischen Växyö und Vetlanda, www.swedenzipline.com.
W Auskunft: Tourismusverband Visit Småland www.visitsmaland.se
W Freizeitaktivitäten: Elchpark in Kosta, www.moosepark.net. Husky-Farm in der Nähe von Jönköpping, www.turochnatur.se. „Little Rock Lake Zip Line“ zwischen Växyö und Vetlanda, www.swedenzipline.com.
W Auskunft: Tourismusverband Visit Småland www.visitsmaland.se
Wir dürfen den beiden jungen Männern Jonas und Jonathan dabei zuschauen, wie sie heiße Zuckermasse mit Essig vermischen und dann kneten. Weil die Masse sehr schnell fest wird, ist das echte Knochenarbeit. „Frauen können das nicht – nur Männer – und die müssen stark sein“, grinst Jonathan.
Nach so viel harter Arbeit sehnt man sich nach Erholung – und die gibt es auf der Insel Visingsö reichlich. Mit der Fähre setzt man von Gränna aus über und nimmt im Hafen Platz auf einem Pferdewagen, um sich über die Insel kutschieren zu lassen. Es geht vorbei an dem mächtigen Eichenwald, der einst hochwertiges Holz für die schwedische Flotte liefern sollte und dessen Bäume heute für den Bau von Whiskeyfässern verwendet werden. An Hügelgräbern aus der Wikinger-Zeit, an idyllischen Häuschen mit bunt bepflanzten Gärten, an einer Inselschule und einem Frisör – bis zur Kirche des Örtchens Kumlaby (eine der ältesten Kirchen Schwedens), von deren Turm aus man einen faszinierenden Blick hat. Sehenswert ist auch die mächtige Ruine Visingsborg, einst eine Festung des schwedischen Königs, die aber im Jahr 1718 bis auf die Grundmauern niederbrannte. Hier genießen wir ein Picknick im Grünen, bevor wir wieder aufs Festland übersetzen und die Nacht im spektakulär am See Wixen gelegenen Hotel „Ullinge“ verbringen – atemberaubender Blick aus dem Zimmer inklusive.
Weiterführende Links
Schweden-Bilderbuch, Seite 3, pardon, Tag 3: Wer von unserer Reisegruppe bislang glaubte, das Städterdasein bereits komplett hinter sich gelassen zu haben, kennt „Getnö Gård“ am See „Åsnen“ noch nicht. „Now you are in nature“, begrüßt uns Ingrid E-M Olsson auf ihrem Hof, dessen Geschichte sich bis ins Jahr 1320 belegen lässt. Wie „ernst“ es Ingrid meint, wird zumindest den jüngeren Reiseteilnehmern schnell klar. In dem Ferienhaus auf Getnö Gård, das unsere Gruppe für einen Tag und eine Nacht bezieht, und in dem es nachts so still ist, dass man von seinem eigenen Herzschlag geweckt wird, gibt es keinerlei Handy-Empfang. Doch unsere U-18-Teilnehmer erholen sich schnell von diesem „Schock“ – angesichts dessen, was das private Naturschutzgebiet „Lake Åsnen Resort“, das Ingrid und ihr Team geschaffen haben, zu bieten hat: Sportangeln (das wir prompt ausprobieren und einige Fangerfolge aufweisen können), Kanusafaris, Reittouren auf Islandpferden – und sogar eine kleine Insel, die nur den Kindern der Feriengäste zugänglich ist – ein bisschen Pippi Langstrumpf wartet eben in jeder Ecke Smålands.
Beim Abendessen im umgebauten Kornspeicher gibt es wieder Geschichte und Geschichten satt. Während wir uns Fisch als Vorspeise, Elchfrikadellen, Kartoffeln, Preiselbeeren und einen sensationellen Apfel-Auflauf schmecken lassen, erzählt uns Ingrid, die angesichts zahlreicher deutscher Stammgäste deren Sprache beinahe perfekt spricht, dass ihr Vater „Getnö Gård“ im Jahr 1967 kaufte und das Areal als Urlaubsparadies für die Angestellten seiner Betonfirma umbauen ließ. Ingrid ist der Maxime ihres Vaters treu geblieben: „Runterkommen, ein gutes Leben führen – das ist uns wichtig.“
Wem nach so viel Beschaulichkeit nach Action und Nervenkitzel ist, der findet an der „Little Rock Lake Zip Line“ garantiert, was er sucht. Erst vor einem Jahr wurde die Anlage zwischen Växyö und Vetlanda eröffnet. Hier kann man auf einer Art Seilrutsche über die Baumwipfel der Wälder von Kronoparken schweben. Nervenkitzel ist hier garantiert – denn die Seilrutsche mit elf Stationen hängt an ihrer höchsten Stelle 52 Meter über dem Boden und kommt auf Geschwindigkeiten von bis zu 70 Stundenkilometern. Auf den Plattformen in schwindelerregender Höhe kann man fantastische Ausblicke genießen. Während uns Coach „Eddy“ Helme und Gurte umschnallt, erzählt er, dass die „Zip Line“ offenbar wie am Schnürchen läuft: „An Samstagen haben wir hier oft mehr als 100 Besucher.“ Und „vielleicht“, fügt er an die Kinder gewandt schmunzelnd hinzu, „seht ihr von oben auch den ein oder anderen Troll.“ Die Schweden und ihre Geschichten eben...