Die Eintracht surft auch ohne Fans auf einer Euphorie-Welle. Trainer Adi Hütter trifft die richtigen Entscheidungen und ist unumstritten. Ein Thema birgt dennoch Konfliktpotenzial.
FRANKFURT. Man stelle sich nur einmal kurz vor, es wären keine Pandemie-Zeiten. Dann würden sich am Sonntagmittag sicher rund 10.000 Anhänger der Frankfurter Eintracht auf den Weg machen nach Sinsheim zum Auswärtsspiel bei der TSG Hoffenheim. Die Euphorie am Main würde überborden nach den jüngsten Resultaten und dem Sturm der Eintracht bis in die Champion-League-Plätzen.
So aber ist die Begeisterung kein Gemeinschaftserlebnis, sondern ein privates Vergnügen. Die Fans zittern vor den Bildschirmen, feiern in den eigenen Wohnzimmern und loben in den Internet-Foren. Die einzigen, die sich bis jetzt von alledem ziemlich unbeeindruckt gezeigt haben, sind die Spieler. „Sie versuchen, in diesen tristen Zeiten alles zu geben und den Fans durch attraktiven Fußball ein gutes Gefühl zu geben“, sagt Sportvorstand Fredi Bobic, „ich bin sicher, dass alle Adlerträger glücklich und stolz auf die Mannschaft sind“.
Adi Hütter gelingt es, Motivation zu schüren
Alle Befürchtungen, gerade der Eintracht würde ohne Fans wichtige Prozente zur Entfaltung der eigenen Leistungsfähigkeit fehlen, haben sich nicht bewahrheitet. Auch ohne Zuschauer, ohne Unterstützung von außen und ohne den Kick der Geräuschkulisse, gehen die Spieler seit Wochen und Monaten mit großer Motivation ihrer Arbeit nach. Das ist ein Verdienst von Trainer Adi Hütter, der ganz offensichtlich die richtigen Ansprachen findet und dem es gelingt, die Spieler auf einem Weg mitzunehmen, dessen Ende noch gar nicht absehbar ist. Hütter schafft es in Zeiten der fehlenden Normalität ganz normal zu arbeiten.
Die sportliche Prophezeiung, die Eintracht könne davon profitieren, sich ohne internationale Spiele konzentrierter und damit besser auf die nationalen Aufgaben vorbereiten, ist eingetroffen. Der Mannschaft gelingt es seit Wochen, den Fokus auf das jeweilige nächste Spiel zu legen. Die in Jahrzehnten von Generationen von Spielern entwickelte soziale Ader, am Boden liegenden Gegnern wieder aufzuhelfen, wurde erfolgreich unterdrückt. Abstiegskandidaten wie Schalke, Mainz oder Bielefeld wurden zuletzt souverän besiegt.
Hasebe wieder im Mittelfeld
Der Trainer lebt im Alltag Konsequenz und Flexibilität vor. Und er zeigt Lernfähigkeit. Die aktuelle Stammelf wäre vor drei, vier Monaten so noch nicht denkbar gewesen. Beispiele dafür gibt es einige: Makoto Hasebe war der „Libero“, ohne Wenn und Aber. Für alle anderen Positionen würde das läuferische Vermögen, Kraft und Kondition beim jetzt 37 Jahre alten Japaner nicht mehr reichen. Das war die Meinung der Experten und auch die Meinung des Trainers.
Hütter hat das inzwischen revidiert. Hasebe spielt wieder im Mittelfeld. Dafür gibt es gleich zwei gute Gründe. Zum einen spielt Hasebe schlicht und einfach gut, zeigt, dass er sehr wohl in der Lage ist, auch im hohen Fußball-Alter noch läuferisch mitzuhalten. Zum anderen hat Hütter erkannt, dass es eine verschenkte Ressource wäre, den jungen Franzosen Evan Ndicka weiter auf der Bank zu lassen. Also rückte Martin Hinteregger in die zentrale Abwehrposition, Hasebe ins Mittelfeld und Ndicka ins Team.
Am Beispiel Rode zeigt sich: Jeder Spieler muss sich beweisen
Ein anderes Beispiel. Sebastian Rode war der einzige Spieler, der in der gesamten Vorrunde im defensiven Mittelfeld gesetzt war. Die anderen wie Djibril Sow, Stefan Ilsanker, vor kurzer Zeit noch Dominik Kohr, stritten sich immer nur um den Platz neben Rode. Jetzt muss sich Rode nach kleiner Verletzungspause als Bankspieler zurückkämpfen, Hasebe und Sow haben ihm vorübergehend den Rang abgelaufen.
Der Trainer hat sich auch in einer schwierigen Frage dem Verein und dessen Finanzen gegenüber loyal gezeigt und keinen externen Nachfolger für den heimkehrenden Kapitän David Abraham gefordert. Er hat lieber auf den jungen Brasilianer Tuta gesetzt. Das Vertrauen wurde bislang belohnt. Dass Stareinkauf Luka Jovic seit drei Spielen „nur“ von der Bank kommt, moderiert Hütter souverän und gelassen. Noch habe Jovic einen „kleinen Rückstand“, sagt er „aber es kommt der Tag, an dem er von Beginn an spielt.“ Vielleicht schon am Sonntag in Hoffenheim?
Thema Bobic birgt Konfliktpotenzial
Die Ruhe in den Stadien zeigt Spiel für Spiel auch die Ruhe dieses Trainers. Wo Kollegen wie vor allem Julian Nagelsmann und Florian Kohfeldt ihre Emotionen auch und gerade gegenüber Gegnern und Schiedsrichtern emotional und lautstark nach außen tragen, behalt Hütter die Contenance. Er berät sich lieber mit seinen Kollegen auf der Bank, als direkt am Spielfeldrand den Kasper zu machen. Das alles passt bei der Eintracht in diese Zeit.
Vermutlich wird Adi Hütter in diesen Tagen darum mit etwas Bauchgrimmen die öffentlichen Spekulationen und die dadurch aufkommenden Unruhe um seinen Chef Fredi Bobic und dessen angebliches Angebot von Hertha BSC verfolgen. Denn da liegt aktuell das einzige Konfliktpotenzial.
Von Peppi Schmitt