Killt der Videobeweis die Emotionen im Fußball, Herr Drees?

Zeichen auf der Anzeigetafel: Der VAR im Einsatz.
© Imago/Revierfoto

Das große Interview vor Saisonbeginn zum Videobeweis: Fehlentscheidungen, Handspiel, Trainer-Challenge - und was besser werden soll. VAR-Chef Jochen Drees nimmt Stellung.

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VAR-Chef Jochen Drees.
VAR-Chef Jochen Drees.
© Sascha Kopp

Herr Drees, erinnern Sie sich noch an Ihre dramatischste Fehlentscheidung als Schiedsrichter?

Ich war in meiner Karriere immer auf der Suche nach dem perfekten Spiel, das ist mir aber wahrscheinlich nie gelungen. Schiedsrichter sind Sportler, die unheimlich kritisch sind mit dem, was sie machen. Insofern kann ich viele Spiele aufzählen, in denen Fehler passiert sind.

Hätten Sie sich damals schon den VAR als Unterstützung gewünscht?

Absolut. Mein 100. Bundesliga-Spiel war Dortmund gegen Hoffenheim im Mai 2013. Letzter Spieltag, für Hoffenheim ging es gegen den Abstieg. Da hatte ich drei Entscheidungen, die elementar für den Verlauf dieses Spiels waren. Ich weiß noch, wie ich nach Abpfiff zur Schiedsrichterkabine gegangen bin und dachte: Hoffentlich war das alles richtig. Im Nachgang hat alles gestimmt. Es hätte aber geholfen, wenn ich damals schon einen Videoassistenten gehabt hätte, der mir unmittelbar im Spiel schon hätte sagen können, dass die Entscheidung richtig war. Das wäre in dieser konkreten Situation für mich als Schiedsrichter eine unheimlich große Unterstützung gewesen.

Der VAR hilft also auch mit einer Bestätigung?

Definitiv. Heute haben die Schiedsrichter sofort eine Rückmeldung, ob die relevanten Entscheidungen wie Torerzielungen oder beispielsweise Strafstoßentscheidungen richtig oder falsch waren. In 99 Prozent der Fälle geht der Schiedsrichter aus dem Spiel, ohne dass er eine gravierende Fehlentscheidung getroffen hat. Auf der anderen Seite reden wir am Ende der Saison über insgesamt 190 Fehlentscheidungen in den beiden Ligen, die wir mit Hilfe des Videoassistenten einfach korrigieren konnten. Deshalb werden Sie kaum noch einen Schiedsrichter der Bundesliga oder der 2. Bundesliga finden, der sagt: Ich wäre froh, wenn es keinen Videoassistenten mehr gibt.

Es gibt aber auch weiterhin gravierende Fehlentscheidungen.

Ja, wir hatten auch in der vergangenen Saison wenige Situationen, die in der Kritik standen. Berechtigterweise, weil sie einfach falsch gelöst worden sind im Zusammenspiel von Schiedsrichtern und Videoassistenten.

Wie zum Beispiel im Oktober in Frankfurt, als der Dortmunder Adeyemi den einschussbereiten Frankfurter Lindström geschubst hat. Alle haben gesehen, dass es hätte Elfmeter geben müssen.

Es gab eine geeignete Kameraeinstellung, die diesen Stoß zeigte. Diese Kameraeinstellung hat der Videoassistent aber nicht zu Rate gezogen, die hat er vom Operator nicht angeboten bekommen, aber hat er auch selbst nicht angefordert. Er hat den Fehler gemacht, nicht zu sagen: Gib mir noch mal einen Moment Ruhe. Ich bin noch nicht zufrieden mit dem, was ich da gesehen habe.

Blick in den "Kölner Keller": DFB-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus (Mitte) und ihr Kollege Thorben Siewer (links) betrachten mit dem Video-Operator Szenen eines Bundesligaspiels auf den Monitoren im Video-Assist-Center (VAC).
Blick in den "Kölner Keller": DFB-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus (Mitte) und ihr Kollege Thorben Siewer (links) betrachten mit dem Video-Operator Szenen eines Bundesligaspiels auf den Monitoren im Video-Assist-Center (VAC).
© imago/Norbert Schmidt

Wie kann sowas in Zukunft ausgeschlossen werden?

Indem man den Prozess formalisiert. Indem wir klare Vorgaben machen, wie man an so eine Situation herangeht, wie so ein Check laufen muss. Wir haben einen Fragenkatalog erarbeitet, die der Videoassistent – formal oder im Kopf – abhakt. Bei dem er sagt, ich kann erst dann eine Beurteilung der Szene vornehmen, wenn ich diese grundlegenden Fragen beantwortet habe. Der Ansatz ist, dass wir hoffen, etwas an die Hand zu geben, um solche Fälle zukünftig einfach zu vermeiden.

Warum lässt man den VAR nicht einfach nur dann eingreifen, wenn hundertprozentige Ergebnisse möglich sind? Sprich Abseits- oder Torentscheidungen?

Kann man drüber diskutieren. Was man sich dabei aber immer bewusst machen muss: Dann müssen wir mit gravierenden Fehlentscheidungen leben. So wie Maradonas Tor bei der WM 1986, mit der „Hand Gottes“ erzielt. Wollen wir das? Würden wir es akzeptieren, wenn diese Entscheidung trotz der Möglichkeit, sie aufzudecken, bestehen bleiben würden? Da würde ich ein Fragezeichen setzen, weil ich glaube, dass der Aufschrei danach riesengroß wäre.

Handspiel – viele blicken nicht mehr durch? Können Sie das nachvollziehen?

Nur zum Teil. Grundsätzlich glaube ich, dass die vielen Änderungen der Handspielbewertung in den letzten Jahren auf allen Ebenen zu mehr Verwirrung geführt haben. Früher haben wir gepfiffen, wenn die Absicht des Spielers mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden konnte. Dann aber hat irgendjemand von internationaler Seite gesagt: Es geht ja nicht, dass ein Spieler mit gespreizten Armen in eine Situation reingeht. Und dann ging es in die Richtung: Sobald der Arm irgendwie abgespreizt ist und der Spieler aus einem gewissen Abstand den Ball dagegen geschossen bekommt, ist das als strafbar zu werten. Die Fifa und die Uefa sind nun mal die Organe, die den Landesverbänden die Auslegung vorgeben. Und dann haben sich die Länder überall, nicht nur in Deutschland, eben auch daran ausgerichtet und das dann umgesetzt. Plötzlich hatten wir ein großes Thema.

Das ein Dauerthema bleibt…

Ja. In den letzten fünf Jahren hatten wir beim Handspiel drei, vier gravierende Anpassungen zu jeder Saison. In Deutschland hatten wir immer das Credo, eher nicht zu bestrafen als zu bestrafen. Wenn Zweifel bestehen – nicht eingreifen. Den Spielraum, den wir hatten in der Auslegung, haben wir genutzt. Und wir merken jetzt, dass auch die Uefa diese Linie als Orientierung an die Schiedsrichter vermittelt. Aber Handspiel ist nach wie vor ein Thema, das man auch nicht zur Zufriedenheit aller und immer lösen kann.

Wie beim Leipziger Champions-League-Spiel in Manchester, als ein Leipziger Spieler von hinten den Ball an die Hand bekam – ohne diesen zu sehen.

Das meine ich: Bei uns wäre das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht gepfiffen worden. Interessant: Vor einigen Tagen hat die Uefa genau diese Szene bei einer Präsentation gezeigt – und schätzt diesen Vorgang nun als nicht strafbar ein. Das war in der letzten Saison anders. Die Uefa hat gemerkt, dass sie mit dieser Auslegung nicht auf Akzeptanz trifft. Da habe ich mir gedacht: Das ist der Weg, den wir in Deutschland schon gehen. Zum Glück. Denn das ist für mich keine Art strafbare Handlung.

Müssen die Schiedsrichter ihre Zwänge und Entscheidungen nicht transparenter machen?

Das ist absolut richtig. Wir haben ja schon lange die Schiedsrichter animiert: Geht raus und erklärt die Entscheidungen. Weil häufig die Erklärung dazu führt, auch wenn mal etwas falsch ist, dass man es als Außenstehender einfacher nachvollziehen kann. Ähnlich wie es Howard Webb in England jetzt macht, könnten wir es uns vorstellen: Szenen in der Folgewoche in Medien zu erklären. Das würde dazu beitragen, generell die Arbeitsweise der Schiedsrichter und der Videoassistenten besser darzustellen. Ich bin mir relativ sicher, dass wir schon in der neuen Saison dazu ein Tool entwickeln werden.

Und das würde dann über den DFB veröffentlicht werden?

Gut möglich. Vielleicht macht man es aber auch über ein anderes Medium. Ich bin da für alles offen.

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Felix Zwayer stand wegen des VAR bei der Partie Bayern gegen Dortmund im Mittelpunkt, wurde anschließend von Jude Bellingham schwer kritisiert. Zeigen solche Szenen, dass der VAR vielleicht auch den Druck auf die Schiedsrichter erhöht hat?

Ich glaube vielmehr, wie gesagt, dass der VAR den Schiedsrichter entlastet. Auf der anderen Seite gibt es nun auch die Erwartungshaltung: Jetzt dürfen keine Fehler mehr passieren. Also eine Akzeptanz für einen Fehler ist nicht da. Aber: Wir haben vorhin über das Beispiel Frankfurt gegen Dortmund gesprochen. Der gleiche Fall ohne Videoassistenten hätte zum gleichen Resultat geführt: kein Elfmeter.

Werden die Schiedsrichter durch den VAR entmachtet?

Die Schiedsrichter mussten lernen, mit dem VAR zu agieren. Das war gerade in der ersten Saison nicht einfach: Soll ich jetzt noch entscheiden? Lasse ich die Entscheidung lieber offen? Weil da ist ja jemand, der mir dann sagt, wie es war. Da hat die Uefa eine ganz klare Kante dazwischengeschoben. Schiedsrichter sollen starke Persönlichkeiten sein, die auf dem Feld Entscheidungen treffen, so wie sie diese immer getroffen haben. Diesen Ansatz fahren wir auch. Wenn die Qualität der Schiedsrichter-Entscheidungen hoch ist auf dem Feld, haben wir im VAR-Bereich nichts zu tun. Wenn aber zum Beispiel im Strafraum zehn Spieler sind und einer tritt dem anderen auf den Fuß, dann kann man das nicht immer sehen auf dem Feld. Und da unterstützt der VAR. Motto für die Schiedsrichter soll sein: Bis ihr gepfiffen habt, vergesst, dass es einen Videoassistenten gibt.

Können Sie definieren, was für den Videoassistenten eine klare Fehlentscheidung ist?

Das ist nicht so einfach. Es geht vor allem um die Eingriffsschwelle. Manche haben am Anfang gesagt, die muss ganz hoch liegen, also wirklich nur bei Maradonas Hand Gottes. Dann hat man gemerkt, na ja, da gehen einem noch zu viele Sachen durch die Lappen. Wenn man aber zu oft eingreifen lässt, dann wird das Spiel zu oft unterbrochen. Die Diskussion um die Einzelfälle, um die klare Fehlentscheidung – das ist eine sehr lebendige. Beim DFB versuchen wir, die Schwelle relativ hoch zu lassen.

Aber genau definieren lässt sie sich nicht?

Ich sage immer wieder zu Schiedsrichtern oder Videoassistenten: Was sagt denn deine Oma, wenn sie diese Situation sieht? Manche antworten: Meine Oma hat keine Ahnung von Fußball. Dann sage ich: Das ist dann genau die richtige Ansprechpartnerin. Wenn sie urteilt: Der springt dem jetzt mit offenem Fuß vorne auf den Oberschenkel – dann weiß man, was klar ist. Wenn die Oma beim Betrachten der Bilder fragt: Was soll denn da passiert sein – dann ist die Wahrscheinlichkeit für eine klare Fehlentscheidung geringer. Wichtig auch: Wenn das Videoassistenten-Team eine Minute darüber diskutiert, ob das richtig oder falsch ist, dann muss eigentlich der Impuls kommen zu sagen: Das ist keine klare Fehlentscheidung.

Im Spiel Mainz 05 gegen Schalke 04 ist sehr lange über die Szene in der Nachspielzeit diskutiert worden.

Klar ist: Wir üben keinen Zeitdruck aus. Wenn ich uns mit den internationalen Kollegen vergleiche, dann sind wir in Deutschland sehr schnell. Es gibt Nationalverbände, die brauchen doppelt so lange wie wir mit der Video-Entscheidung.

Im Gespräch über den Videobeweis: Jochen Drees (links) mit den VRM-Sportredakteuren Peter Schneider und Eric Hartmann (re).
Im Gespräch über den Videobeweis: Jochen Drees (links) mit den VRM-Sportredakteuren Peter Schneider und Eric Hartmann (re).
© Sascha Kopp

Aber in Mainz zog es sich damals lange hin.

Auch hier gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Es gab Argumente für und gegen einen Strafstoß und der Schiedsrichter hatte auf dem Feld keine eigene Wahrnehmung von der Szene. Der VAR hatte daher korrekterweise den Impuls zu sagen: Du, jetzt schau dir das bitte nochmal an und bilde dir deine eigene Meinung. Am Bildschirm hat der Schiedsrichter dann lieber noch einen zweiten und dritten Blick auf den Zweikampf geworfen, bevor er sich festlegte.

Wie wäre den Trainern eine eigene Eingriffsschwelle zu bieten – was halten Sie von der Challenge?

Warum nicht? Wir können gerne über alles diskutieren. Bei der Fifa wird, nach meinem Kenntnisstand, nach langer Ablehnung jetzt zumindest mal darüber nachgedacht. Aber nicht anstelle des VAR, sondern in Verbindung mit dem VAR. Da muss man aber überlegen, wie wendet man das denn dann letztendlich an? Wie viel Challenges hat ein Trainer pro Halbzeit? Eine im ganzen Spiel? Drei? Wann kann er eine Challenge wählen? Was passiert, wenn die Challenge korrekt ist? Was passiert, wenn sie falsch ist? Bis wann muss er diese Challenge anmelden? Bis zur nächsten Spielfortsetzung? Ein interessanter Fakt ist aber nicht zu unterschätzen…

Welcher?

Wir haben bei unseren Tagungen Trainer zu dem Thema befragt. 90 Prozent sagen, sie wollen keine Challenge. Klar - dann sind sie nämlich selbst verantwortlich, müssen sich nachher vielleicht fragen lassen: Warum hast du in der und der Szene keine Challenge genommen? Und da sagen viele Trainer: Ich will überhaupt nicht in solch eine Diskussion reinkommen, dass ich da irgendwie verantwortlich bin.

Viele Fans sagen: Der VAR killt den Fußball und nimmt uns die Emotion nach Toren. Können Sie das nachvollziehen?

Also ich glaube nicht, dass der VAR die Emotionen killt. Er hat sie nur verändert. Mir wird immer wieder gesagt: Ja, man jubelt jetzt ja nicht mehr über ein Tor. Das stimmt nicht. Die Fans jubeln nach wie vor im Stadion. Wird ein Tor überprüft, ja, dann baut sich dieser Spannungsbogen auf. Das ist eine Veränderung zu dem, was die Fußball-Nostalgiker früher erlebt haben. Aber wir haben was gewonnen, weil wir eben in dem Moment kein irreguläres Tor mehr bekommen. Das macht den Fußball dann tatsächlich gerechter, weil wir eben, bis auf sehr wenige Ausnahmen, keine gravierenden Fehlentscheidungen mehr haben.

Trotzdem halten sich die Rufe, den VAR abzuschaffen. Stand der Videobeweis mal vor dem Aus?

Im Gegenteil. Wenn man so schaut, dann werden immer mehr Nationalverbände überall auf der Welt den VAR in ihren obersten Ligen einführen. Es gibt heute kein größeres Turnier mehr ohne VAR. Gedanken ans Abschaffen habe ich nicht wahrgenommen.

Welche Punkte gibt es denn, die zur neuen Saison im Zusammenspiel mit dem VAR verbessert werden sollen?

Wir schauen immer, welche Impulse wir dem Videoassistenten für seine Arbeit geben können. Wie die angesprochenen Checklisten zum Beispiel, die wir auf verschiedene Spielsituationen ausgedehnt haben. Anderes Thema: Wir sind schon länger im regelmäßigen Austausch mit Piloten, die das Wording, mit dem sie arbeiten, auf die Schiedsrichter transferiert haben.

Piloten?

Ja. Pilot und Co-Pilot fliegen die Maschine zu zweit im Cockpit. Es passiert irgendwas da oben, dann müssen sie funktionieren, sie müssen sprachlich funktionieren und sie müssen auch von der Art, wie sie arbeiten, funktionieren. Und das sind interessante Parallelen. Die umstrittene Situation im Strafraum ist für den Schiedsrichter und die Videoassistenten auch eine Art Notsituation, sie müssen schnell reagieren. Und da hilft es, wenn man sich dann an gewisse Standards hält, weiß, wie man miteinander spricht. Wir versuchen auch immer, Prozesse und die Abläufe transparenter zu machen.

Vielleicht mit Einblick in den „Keller“?

Vor Corona hatten wir tatsächlich immer wieder Angebote gemacht: Kommt doch mal rein. Das ist von Medien auch genutzt worden. Das Angebot steht eigentlich immer. Es ist für uns aber nach wie vor sehr enttäuschend, dass zum Beispiel Mannschaftsverantwortliche oder Trainer dieses Angebot noch nie wahrgenommen haben, bis auf wenige Ausnahmen von fünf, sechs Managern. Diese Besuche waren sehr wertvoll.

VAR-Chef Jochen Drees.
VAR-Chef Jochen Drees.
© Sascha Kopp

Auch für die Videoassistenten?

Ja, externe Impulse stellen immer eine Hilfe dar. Wir haben beispielsweise eine Expertengruppe initiiert, in der wir mit Ex-Spielerinnen und Ex-Spielern, die auch schon bei Spielen im Videocenter waren, diskutieren. Und sie nach ihrer Meinung fragen. Wir schicken ihnen regelmäßig Videos, bitten sie: Schaut euch mal bitte diese potenzielle Strafstoßsituation an, wie schätzt ihr das ein? Den Input geben wir natürlich auch an die Schiedsrichter weiter. Der Austausch ist total wertvoll. Was wir da an Input und an Rückmeldung bekommen, finde ich ganz großartig.

Wer ist in der Gruppe?

Simone Laudehr, Heiko Westermann, Daniel Jungwirth, Sebastian Kneißl, Nia Künzer, Steffen Bohl zum Beispiel. Die waren bei uns zu Besuch. Wenn man in so einem System arbeitet, dann tut es unheimlich gut, wenn mal jemand von außen kommt.

Viele fordern, Ex-Profis direkt als VAR einzusetzen. Was halten Sie davon?

Erst mal müssten Sie ungefähr 40 Ex-Profis finden, die bereit wären, das regelmäßig zu machen. Wenn wir jetzt nur wenige dazu kriegen, sich das mal anzuschauen, ohne Verantwortung, dann demonstriert das, wie schwierig es ist, Leute dafür zu gewinnen. Diejenigen, die es machen würden, müssten aushalten, dass sie für ihre Entscheidungen auch öffentlich kritisiert werden. Und das ist ähnlich wie bei der Trainer-Challenge: Da hat keiner so richtig viel Lust drauf. Zudem müsste definiert werden, wer wann welchen Input gibt und was geschieht, wenn Widerspruch in der Bewertung von Situation auftritt.

Würden die Entscheidungen richtiger?

Nicht unbedingt. Denn es kommt das Defizit der Ex-Profis in der fachlichen Ausbildung dazu. Als Spieler habe ich vielleicht eine andere Sichtweise, die sich dann aber regeltechnisch nicht abbilden lässt. Ich präferiere klar den anderen Weg, sich mit den Leuten regelmäßig auszutauschen. Ich glaube, da haben wir viel niedrigere Hemmschwellen und auch ein letztendlich besseres Ergebnis.

Ist an eine größere Transparenz für die Zuschauer im Stadion gedacht?

Meine Präferenz wäre, die Szenen auf die Leinwand zu bringen im Stadion: Was schaut sich der Videoassistent an, um was geht es? Technisch ist das überhaupt kein Problem. Das scheitert allerdings tatsächlich an dem Willen der Vereine, das zu machen. Wir haben natürlich keine Hoheit über die Stadien. Wir können lediglich von Köln aus die Videosequenz schicken. Transparenz bleibt ein großes Thema, nicht nur in der Form der Arbeitsweise, sondern auch: Wie transportiere ich die Entscheidung nach dem Spiel, aber auch während des Spiels.

Blick zur EM im nächsten Jahr in Deutschland – wie werden da die Rahmenbedingungen für den VAR sein?

Auch wenn das Turnier in Deutschland stattfindet – wir sind da nicht in der Verantwortung und nicht in die Prozesse involviert. Aber wir sind über die Pläne der Uefa informiert. In Leipzig wird das Video-Assist-Center sein. Sie werden also nicht unsere Infrastruktur in Köln nutzen, sondern eine eigene aufbauen. Dort werden auch die Videoassistenten stationiert sein. Die Schiedsrichter werden meines Wissens in Frankfurt sein, das ist logistisch gesehen natürlich günstig, um in alle Richtungen zu kommen. Das ist alles im Hoheitsbereich der Uefa. Da werden wir eventuell im Verlauf des Jahres noch mal angefragt, ob wir unterstützen.

Fehler werden sich auch in der neuen Saison nicht verhindern lassen, oder?

Das werden wir nicht komplett ausschließen können. Schiedsrichtern und Videoassistenten würde helfen, wenn die Erwartungshaltung nicht die wäre, dass wir immer alles hundertprozentig richtig machen. Würden wir den gleichen Maßstab an die Spieler anlegen, dann müsste ich sagen: Es muss jeder Elfmeter verwandelt werden, jeder Pass muss immer beim Mitspieler ankommen. So funktioniert Fußball nicht.