Fußball mitten im Krieg – wie kann das funktionieren?

aus Krieg in der Ukraine

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Die Spieler des ukrainischen Rekordmeisters Dynamo Kiew haben wie hier gegen Borussia Dortmund in Freundschaftsspielen Spenden für die vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine gesammelt. Nun beginnt für sie wieder die heimische Liga. Foto: dpa
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In der Ukraine startet am Dienstag die Fußball-Saison. Mit einem halben Jahr Verzögerung und inmitten von täglichem russischem Raketenbeschuss. Noch sind viele Fragen offen.

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KIEW. Wenn er aufs Tor renne und plötzlich der Raketenalarm losgehe, solle er dann weiterspielen und versuchen das Tor zu erzielen? Oder schnell in Deckung gehen? Diese Frage stellte Artur Avagimyan, Fußball-Profi vom ukrainischen Erstligisten FK Oleksandriya, kürzlich in einem Interview. Der in Mariupol geborene Offensivmann spricht damit wohl vielen aus der Seele, die sich fragen, wie Fußball in einem Land im Krieg aussehen kann.

Die Spieler des ukrainischen Rekordmeisters Dynamo Kiew haben wie hier gegen Borussia Dortmund in Freundschaftsspielen Spenden für die vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine gesammelt. Nun beginnt für sie wieder die heimische Liga. Foto: dpa
Die Spieler des ukrainischen Rekordmeisters Dynamo Kiew haben wie hier gegen Borussia Dortmund in Freundschaftsspielen Spenden für die vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine gesammelt. Nun beginnt für sie wieder die heimische Liga. Foto: dpa

Auch Anton Ivanov hat darauf noch keine genaue Antwort parat. "Es wird ein paar Probleme am Anfang geben", ist er im Gespräch mit dieser Zeitung überzeugt. Aber der stellvertretende Generaldirektor für Finanzen des ukrainischen Erstligisten FC Metalist 1925 Charkiw ist sicher, dass die Zeit Antworten auf die offenen Fragen bringen werde. "Niemand weiß, wie es sein wird. Es ist eine neue Erfahrung, aber ich hoffe, es wird klappen", so Ivanov.

Liga-Auftakt an einem symbolträchtigen Tag

Wenn es am kommenden Dienstag in der ukrainischen Premjer-Liha wieder losgehen soll, ist ohnehin die Symbolik wichtiger. "Der Tag, an dem die Liga startet, ist nicht irgendein Tag, sondern der Tag der Nationalflagge. Und am darauffolgenden Tag ist Unabhängigkeitstag", erklärt die Sportjournalistin Iyrina Koziupa von "Tribuna". Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj soll sich persönlich für den Re-Start stark gemacht haben. "Die Russen haben ihre Meisterschaft, die ganz normal weiterläuft. Mit der Wiederaufnahme der Liga in der Ukraine soll den Menschen ein Gefühl von Normalität geben werden", glaubt Koziupa.

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Fußball mitten im Krieg? Das kommt nicht überall gut an. Man solle den Fokus auf die Unterstützung der Armee richten, sagen die Kritiker. Oder: Warum Fußballspielen, wenn wir im Winter nicht wissen, wie wir heizen sollen? Doch in Kiew geht das Leben inzwischen wieder seinen Gang. Kinos, Einkaufszentren, Cocktailbars haben geöffnet. Fußballfan Oleksandr Kuzmenko kommt wie Ivanov aus Charkiw, ist trotz des täglichen Raketenbeschusses in der Stadt geblieben. Der 27-Jährige findet: "Wir müssen die Saison starten, denn wir wissen nicht, wie lange dieser Krieg dauern wird. Was, wenn er zwei, drei Jahre dauert?" Schon eine ausgesetzte Saison würde den Fußball für Jahre zurückwerfen, gibt Kuzmenko zu Bedenken. "Es ist eben auch ein Geschäft und bringt zum Beispiel Steuern."

Hier gelangen Sie zu unserem Dossier zum Krieg in der Ukraine.

Auch Metalist-Manager Ivanov sieht das so: "Wir müssen zeigen, dass das Leben weitergeht", sagt er. "Fußball gibt den Menschen Hoffnung und Ablenkung." Viele Fußball-Anhänger hätten sich den Streitkräften angeschlossen und die Spiele der Nationalelf mithilfe Elon Musks Starlink-Internet in den Schützengräben verfolgt. Ivanovs Wohnung in Charkiw wurde, kurz nachdem er im März geflüchtet ist, bei einem Raketeneinschlag in der Nähe schwer beschädigt. Genauso wie das Trainingscamp des Vereins. Bilder zeigen einen metertiefen Krater. Auch mithilfe von Unterstützung des 1. FC Nürnberg, mit dem eine Partnerschaft besteht, haben sie das Camp in Eigenregie wieder hergerichtet.

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Aber noch immer wird die Stadt beinahe täglich von Russland mit Raketen angegriffen. Erst in der Nacht zu Donnerstag starben laut ukrainischen Angaben elf Zivilisten. Fußball spielen wäre hier zu gefährlich. Daher trägt Metalist 1925 - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Stadtrivalen Metalist - seine Heimspiele in Kiew aus. Darüber hinaus soll in der Westukraine gespielt werden. Viele Details hat der Verband noch nicht bekannt gegeben - wohl auch aus Sicherheitsgründen. Denn am Nationalfeiertag rechnet die Ukraine mit verstärkten Luftangriffen. Zuschauer sind jedenfalls keine zugelassen. Alle Stadien sollen mit einem Luftschutzbunker ausgestattet sein, in dem Spieler, Trainer und Referees Zuflucht bei Luftalarm finden können. "Sollte der länger als zwei Stunden andauern, wird das Spiel am Folgetag fortgesetzt", erklärt Ivanov.

Das Eröffnungsspiel von Ivanos Metalist 1925 gegen Schachtjor Donezk wird im Kiewer Olympiastadion stattfinden. Eigentlich hätte es diese Paarung am ersten Spieltag am 26. Februar geben sollen. Doch zwei Tage vorher überfiel Russland die Ukraine. Yuri Vernydub hat damals nicht lange gezögert. Der Fußballtrainer vom moldawischen Team Sheriff Tiraspol reiste vom Europapokalspiel in Portugal ab und meldete sich direkt bei den Streitkräften. Bilder von ihm in Uniform gingen um die Welt. Wenige Monate zuvor hatte Vernydubs Team noch in der Champions League überraschend Real Madrid geschlagen. Nun ist er zurück als Trainer: bei Krywbas Krywyi Rih, dem Aufsteiger aus der Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Selenskyj.

Sheriff Tiraspol manager Yuriy Vernydub is primed and ready!

He defeated Real Madrid in the autumn

Now he's joined the territorial defence effort too ???????????? pic.twitter.com/8OsY7kOHST

Schachtjor fordert Schadenersatz von der Fifa

Vernydub kann dabei auch auf den Kroaten Dragan Lovric setzen. Er ist einer der wenigen Ausländer, die zurück sind, nachdem die Fifa den Spielern die Möglichkeit gegeben hatte, wegen des Krieges ihre Verträge einseitig auszusetzen und anderswo unterzukommen. Besonders betroffen davon ist Schachtjor Donezk, deren Team mit einigen Brasilianern gespickt war. 50 Millionen Euro Schaden sollen sie durch fehlende Transfereinnahmen erlitten haben. Der Bergbau-Club fordert von der Fifa diese Summe als Schadenersatz. Noch schlimmer hat es Desna Tschernihiw und den FC Mariupol erwischt. Ihre Infrastruktur wurde durch russische Raketen komplett zerstört. Sie werden beim Neustart nicht dabei sein. Sie wollen erst in Friedenszeiten zurückkehren.