Jörges: Merkels Zeit ist abgelaufen

Messerscharf analytisch: Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges seziert die Bayern-Wahl, wagt einen Ausblick auf die bevorstehende Landtagswahl in Hessen und sagt voraus, dass Angela Merkel ihre Amtszeit nicht durchregieren wird.   Foto: Röder

Merkel-Fans hatten an diesem Abend einen schweren Stand: Journalist und Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges hat bei einer Vortragsveranstaltung der VR Bank Lahn-Dill die...

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Dautphetal. Merkel-Fans hatten an diesem Abend einen schweren Stand: Journalist und Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges hat bei einer Vortragsveranstaltung der VR Bank Lahn-Dill die politische Lage seziert. Seine These: Die Kanzlerin regiert nicht bis zum Ende ihrer Amtszeit durch.

Knallhart politisch und messerscharf analytisch – so präsentierte sich der Journalist am Donnerstagabend vor über 1000 Zuhörern in der Hinterlandhalle. Und er ging sofort in medias res. Erstes Thema: die Bayern-Wahl. Der Ausgang zeige für ihn zweierlei: die "Deformation der Demokratie" sowie die Auflösung des etablierten Parteiensystems, so der 66-Jährige, der unter anderem für die Nachrichtenagentur Reuters und die Süddeutsche Zeitung tätig war. Seit 2002 schreibt er für den Stern.

Und der Referent scheute nicht klare Aussagen: "Eigentlich hätten Seehofer, Söder und Dobrindt am Tag nach der Landtagswahl in Bayern zurücktreten müssen", sagte er. "Früher wäre das eine Frage der Ehre gewesen." Die CSU hatte bei der Wahl am 14. Oktober die absolute Mehrheit verloren.

Die Politik habe sich von der Bevölkerung abgekapselt und den Kontakt zum Volk verloren

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Auch in Richtung der SPD-Vorsitzenden schoss Jörges: "Nahles gehört nach dem trostlosen einstelligem Ergebnis bei der Bayern-Wahl nicht mehr an die Spitze der SPD." Ebenso die Landesvorsitzende der bayerischen Sozialdemokratie, Landesvorsitzende Natascha Kohnen. Sie müsse eigentlich ihren Hut nehmen, meint er. "Doch: Alle bleiben." Dieses Verhalten beschädige auf lange Sicht die Demokratie.

Mit der CSU sei nun auch die "letzte Bastion der alten Volksparteien gefallen. Jetzt betreten wir unbekanntes Land." Auf Bundesebene komme keine Partei mehr über 30 Prozent. Von Groß;en Koalition müsse man sich verabschieden. Davon würden vor allem die Grünen profitieren, analysierte der Journalist. "Die Grünen fressen Rot und Schwarz gleichzeitig. Sie sind die neue Mitte und die Partei der Stunde." Auch Minderheitsregierungen – die es nach 1945 ausschließ;lich auf Landes, nie auf Bundesebene geben hatte – könnten ein Thema werden, schätzt Jörges die "turbulente, politische Lage" ein.

Vieles, was er auf Bundes- und Landesebene sehe, zeigt Jörges, dass "die Politik sich abgekapselt hat und nicht mehr den Kontakt zum Volk sucht". Dass äuß;ere sich in Unzufriedenheit und im Erstarken der AfD. Zu ihr sagte er: "Wenn das Parlament den Eindruck erweckt, dass es dort keine Opposition mehr gibt, dann kommt diese von drauß;en."

Ähnliches wie in Bayern zeichne sich auch in Hessen ab. Aktuellen Umfragen zufolge erreichen die Grünen mit 20 Prozent einen hessischen Rekordwert. Die CDU erreiche 26, die SPD 21 Prozent. "Es kann sein, dass in Hessen über das Schicksal von Angela Merkel und der Groß;en Koalition entschieden wird", mutmaß;te der Kolumnist und leitete über zum Kern seines Vortrags: die Endphase der Kanzlerin.

Jörges These: Angela Merkel wird nicht bis zum Ende ihrer Kanzlerschaft im Jahr 2021 durchregieren. Ihre Zeit hält Jörges für abgelaufen. Sie sei kraft- und hilfslos. "Es reicht einfach. Wann geht sie endlich. Bitte nicht erst 2021 – das hält dieses Land nicht aus", spitzte er zu.

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Jörges schätzt die Lage so ein, dass sich Kanzlerin Angela Merkel nach der Europawahl Ende Mai kommenden Jahres verabschiedet, mutmaß;lich an die Spitze des Europäischen Rates. Als Präsidentin des EU-Rates könne sie gemeinsam mit Frankreichs Emmanuel Macron versuchen, Europa zu reformieren. Das passe zu Merkels Ruf im Ausland; der sei nämlich grandios, so Jörges. "Im Inland sieht es freilich anders aus."

Auch im Hinblick auf einen potenziellen Nachfolger Merkels innerhalb der CDU wagte der Journalist eine erste Prognose. Diverse Personen seien aussichtsreich, sagte er. Einerseits sei da Annegret Kramp-Karrenbauer ("die kleine Merkel"), andererseits Jens Spahn. "Er ist aber wohl für den Mainstream der CDU zu rechts", so Jörges’ Analyse. Als aussichtsreichsten Kandidaten für einen möglichen Merkel-Nachfolger wertete er Armin Laschet, den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen.