Amazon baut in Deutschland Schritt für Schritt eine eigene Paketzustellung auf. Die Post mit ihrer Paket-Tochter DHL gibt sich gelassen. Denn Amazon konzentriert sich bisher...
RAUNHEIM/MAINZ. Amazon baut in Deutschland Schritt für Schritt eine eigene Paketzustellung auf. Die Post mit ihrer Paket-Tochter DHL gibt sich gelassen. „Amazon verlässt sich nachhaltig auf unsere Infrastruktur und unser umfassendes Paketnetz“, betont das Unternehmen. Auch in den Städten, in denen Amazon selbst ausliefere, „stellen wir nach wie vor einen nicht unerheblichen Teil der Pakete zu“.
Beim Post-Vorstand läuten die Alarmglocken
Doch intern läuten die Alarmglocken. Schon in zwei Jahren könnte das Internet-Warenhaus aus den USA deutschlandweit mit eigener Zustelllogistik vertreten sein, zitiert das Handelsblatt Manager aus dem Führungskreis der Post. Amazon bleibt zugeknöpft. Man fange mit der eigenen Zustellung mittels kleinerer Lieferdienst jetzt erst einmal an, „und zwar da, wo wir es brauchen“, erklärte ein Sprecher des Konzerns auf Anfrage. Zu weiteren Plänen will man sich nicht äußern.
Die Region gehört offenbar zu jenen Räumen in Deutschland, wo Amazon eine eigene Paketzustellung für nötig erachtet. Der Konzern verfügt in deutschen Ballungsgebieten aktuell über sieben Verteilzentren (siehe Karte). Eines davon steht in Raunheim, von dem von Amazon beauftrage kleine Lieferdienste in die Region ausschwärmen. Bedient werden nach Angaben des Sprechers die Prime-Kunden, die ihre Ware mindestens am Tag nach der Bestellung, möglichst sogar noch am selben Tag bekommen wollen. Daneben verfügt Amazon noch über elf große Logistikzentren; ein weiteres soll im August in Frankenthal eröffnet werden (siehe Artikel unten). In den Logistikzentren werden die Waren verpackt und an die Verteilzentren weitergeleitet.
DHL und Hermes können nicht mithalten
In das Bild vom Lückenfüller, dass sowohl Amazon als auch die großen Zustellpartner vom Ausbau der Lieferkapazitäten des US-Konzerns zeichnen, passen Zahlen aus einer internen Post-Präsentation für den Vorstand, aus der das Handelsblatt zitiert. Demnach wuchs das Paketvolumen Amazons im ersten Quartal 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent, die Aufträge des US-Riesen an DHL nahmen jedoch nur um 17 Prozent zu. DHL und Hermes können mit dem Wachstum des Amazon-Paketgeschäfts nicht mithalten und suchen händeringend Zusteller beziehungsweise Dienstleister. Doch der Arbeitsmarkt ist leer gefegt.
Doch belässt es Amazon in Deutschland wirklich bei einer Lückenfüller-Rolle? Entwicklungen im Heimatmarkt USA, wo sich große Trends immer als erstes zeigen, sprechen dagegen. Auch dort will sich der Onlineriese unabhängiger von Zustelldiensten wie UPS und Fedex machen. Der Online-Marktplatz fordert dort US-Medienberichten zufolge Kleinunternehmer dazu auf, eigene Zustelldienste zu gründen und bietet dazu eine Starthilfe an.
Eigene Flugzeugflotte
Dazu gehören Leihlieferwagen zu „attraktiven Konditionen“, passende Uniformen sowie Versicherungen und Unterricht zum Thema Firmengründung. Amazon verspricht einen operativen Gewinn von rund 300.000 US-Dollar (etwa 257.000 Euro) jährlich. Darüber hinaus baut der Konzern im Heimatmarkt neben einer eigenen Lkw-Flotte auch mit „Amazon Air“ gleich eine eigene Flugzeugflotte auf.
Davon ist man in Deutschland noch weit entfernt. Aber auch dort hat der US-Riese bereits die eigene Paketzustellung mit rund 350 automatischen Paketstationen, so genannten Lockers, aufgerüstet, die an Tankstellen oder Supermärkten stehen. Das sind hierzulande bereits rund zehn Prozent des Packstationen-Volumens der Post. Über sie lassen sich Pakete deutlich günstiger zustellen als durch aufwendige Fahrten bis zu Haustür. Zudem gründete der Konzern kürzlich vier regionale Transportgesellschaften.
Ob der neue Lieferservice durch Amazon selbst besser oder schlechter ist, lässt sich noch nicht feststellen. „Uns liegen bislang keine Reaktionen von Kunden vor“, sagt Christina Gollner von der Verbraucherzentrale. Grundsätzlich sieht er ähnliche Lieferbedingungen wie bei den etablierten Zustellern. Zum Beispiel mit einem bevorzugten Nachbarn, bei dem die Sendung im Falle von Abwesenheit abgegeben werden soll, oder mit einem geschützten Ablageort.
Die Gewerkschaft Verdi beobachtet die neue Amazon-Strategie mit Argusaugen. Von den kleinen Lieferdiensten, die für Amazon ausfahren, sei keiner Mitglied in einem Arbeitgeberverband, die sich verpflichteten, den branchenüblichen Tarif zu zahlen, so Verdi. Das US-Unternehmen betont hingegen, dass man nur Dienstleister verpflichte, die einen hohen Anteil festangestellter Fahrer hätten und mindestens zehn Euro pro Stunde bezahlten.
Zum Mindestlohn lässt sich kein Zusteller mehr finden
Zum Mindestlohn von aktuell 8,84 Euro die Stunde lässt sich Hermes zufolge wegen der Personalknappheit selbst in ländlichen Regionen kaum noch jemand finden. „In Ballungsräumen liegt der Stundenlohn inzwischen bei elf, in hochpreisigen Metropolen wie München bei 12 bis 15 Euro“, so Hermes. DHL kommt auf höhere Personalkosten. Während Hermes die Pakete „mehrheitlich durch Servicepartner“ – also Subunternehmen – zustellt, werden bei DHL laut Post gut 98 Prozent der Pakete von eigenen Zusteller ausgeliefert, insgesamt rund 60.000. Und die erhielten einen durchschnittlichen Stundenlohn von ca. 17,80 Euro, so DHL.
Der Paketboom wird für die Großen nun zum Finanzproblem. Amazon trotzte DHL, Herms und Co. für seine Millionen Sendungen in der Vergangenheit niedrige Sonderpreise ab. Die Kosten bei den Lieferdiensten aber steigen und steigen. Denn deutlich mehr Sendungen brauchen entsprechend mehr Personal und Fahrten.