2000 Continental-Mitarbeiter protestieren in Babenhausen
Die Demo gegen den Conti-Kahlschlag in Babenhausen zieht mehr Teilnehmer auf die Straßen als erwartet. Dass das Werk nicht gut dasteht, habe das Management zu verantworten, heißt es.
Von Anja Ingelmann
Reporterin Wirtschaft Südhessen
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BABENHAUSEN - "Was machen wir?", rufen die Mitarbeiter in den roten Westen mit IG Metall-Aufdruck. "Wir bleiben hier!" schallt es aus hunderten Kehlen zurück. Der Protestzug, der sich am Donnerstagmittag durch Babenhausen schlängelte, dürfte mehrere hundert Meter lang gewesen sein. Mehr als 2000 Mitarbeiter von Continental demonstrierten gegen den geplanten Kahlschlag im Werk - fast genauso viele werden wohl ihre Jobs verlieren. Der Konzernvorstand will in Babenhausen 2250 von zurzeit 3700 Arbeitsplätze streichen und die Produktion bis 2025 auf kostengünstigere Standorte im Ausland verlagern. Einen Stellenabbau dieser Größenordnung dürfte es mit Ausnahme von Opel in der Region lange nicht gegeben haben.
Die Mitarbeiter sind enttäuscht, viele sind seit Jahrzehnten im Betrieb, verstehen sich als Teil der Conti-Familie und nehmen dem Vorstand die Entscheidung und die Art der Kommunikation persönlich übel. Mit Protestaktionen wollen sie in den kommenden Monaten deutlich machen, dass sie dies keinesfalls akzeptieren. Zum Auftakt kamen über 2000 Mitarbeiter, erwartet wurden 1800. Viele haben die Arbeit unterbrochen, sodass die Produktion fast komplett stillsteht. Auch Beschäftigte aus anderen Werken waren angereist, etwa aus Karben, Frankfurt-Rödelheim, Schwalbach, Wetzlar, Regensburg, Roding und Gifhorn - sowie einige Kollegen von Opel. Dabei blieb die Stimmung friedlich, von Aggression keine Spur. "Damit setzen wir ein Zeichen, und das wird gehört bis Hannover", heißt es von der Bühne.
Andere Zulieferer schauen auf den Standort
"Der Vorstand meint, den Stellenabbau in Babenhausen, den machen wir so nebenher, ganz geräuschlos", sagt Roland Weihert, Betriebsratschef in Babenhausen. Die eigenen Unternehmenswerte seien dem Vorstand offenbar nichts mehr wert, "wie sollen wir als Arbeitnehmer Vertrauen und Verbundenheit erzielen, wenn wir so hintergangen und betrogen werden?". Seit Januar 2010 habe man durch einen Ergänzungstarifvertrag auf mehr als 100 Millionen Euro Lohn verzichtet, dazu auf Weihnachts- und Urlaubsgeld, die Beschäftigten hätten zeitweise zwei Stunden pro Woche mehr gearbeitet ohne Bezahlung - nur, damit das Werk erhalten bleibt. Nun läuft der Vertrag aus und es soll dichtgemacht werden.
Mehr Teilnehmer als erwartet: Zur Demo mit anschließender Protestkundgebung kommen über 2000 Mitarbeiter, auch aus anderen Conti-Standorten. Foto: Guido Schiek
Dass die Zahlen für den Standort nicht gut seien, liege in der Verantwortung der Manager. So habe man innovative Produkte, etwa ein Touchpad oder ein Kombi-Instrument für Daimler, anlaufen lassen, bevor sie fertig entwickelt waren. Daraus resultierten mehrere Millionen Anlaufkosten. Zudem seien alle Produkte, die schwierig waren, ins Werk gesteckt worden, "weil es sonst keiner auf der Welt hinbekommen hat". Damit habe man anderen Standorten geholfen und einigen Managern "den Allerwertesten gerettet". Mit guten Gewinnen in China habe man den Makel lange übertüncht, doch diese seien nun weggefallen.
Conti meldete Abschreibungen von 2,5 Milliarden Euro
2,5 MILLIARDEN ABSCHREIBUNGEN
Abschreibungen von 2,5 Milliarden Euro im dritten Quartal reißen Continental im dritten Quartal und im Gesamtjahr in die roten ZahlenDies teilte der Dax-Konzern am Dienstag mit. Allein 1,5 Milliarden entfallen auf die Sparte Interior, auf Chassis & Safety 724 Millionen und auf Powertrain 244 Millionen. Im vergangenen Jahr hatte Conti noch einen auf die Aktionäre entfallenden Gewinn von 2,9 Milliarden Euro erzielt. Die Autozuliefersparte schrammte auch im Tagesgeschäft nur mühsam am Verlust vorbei, mit einer operativen Marge vor Zinsen, Steuern und Sondereffekten von nur 1,6 Prozent.
Insgesamt steigerte Conti den Umsatz um 2,9 Prozent auf rund 11,1 Milliarden EuroWeil die Autozuliefersparte kaum noch profitabel ist, sackte die konzernweite operative Rendite von 7,1 Prozent auf 5,6 Prozent ab. (ain/dpa)
Jochen Homburg, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Darmstadt, äußerte scharfe Kritik an den Geschäftszahlen fürs dritte Quartal, die man "schlechtgeschrieben" habe. Conti meldete Abschreibungen von 2,5 Milliarden Euro, davon 1,5 Milliarden für die Babenhäuser Sparte Interior. Dies resultiere aus einer Neubewertung des Goodwills, der vor allem auf Zukäufe vor 2008 zurückgeht. "Über Nacht hat Conti festgestellt, dass Geld, das vorher da war, auf einmal nicht mehr da ist. Wer soll das glauben?", so Homburg. Damit wolle der Konzern lediglich den Stellenabbau rechtfertigen. In zehn Jahren habe Conti rund 200 Milliarden Gewinn eingestrichen, sich aber nicht um die Zukunft des Werks gekümmert. Andere Autozulieferer wie Bosch, ZF oder Schaeffler schauten ganz genau hierher. "Alle wollen wissen, ob es geht, billig einen Standort zu schließen. Wir sagen nein!".
Denn was jetzt an Stellen abgebaut werde, werde nie wieder aufgebaut, so Lorenz Pfau vom Gesamtbetriebsrat. Unterstützung sagte auch die Politik durch die Landtagsabgeordnete Heike Hofmann (SPD) und den Babenhäuser Stadtrat Reinhold Rupprecht zu.